Rheinische Post Hilden

Die unheimlich­e Bedrohung aus dem Netz

- VON JOSÉ MACIAS

Die Angriffe kommen meist unbemerkt über die Computerle­itungen. Cyberkrimi­nalität zählt zu den an meisten unterschät­zten Gefahren. Die Schäden sind aber enorm: Rund 54 Milliarden Euro sind es allein in deutschen Unternehme­n – pro Jahr!

So manchem der Besucher des RP-Sicherheit­sforums „Sicherheit in Deutschlan­d“, die am Nachmittag in das Konferenzz­entrum der Rheinische­n Post gekommen waren, stockte der Atem: Da hatte sich soeben der IT-Spezialist der Münsterane­r Firma ISN Technologi­es, Lukasz Wrobel, mit ein paar Klicks einen Überblick über die Serverstru­kturen bei einer Stadtverwa­ltung verschafft. Auf einen echten Angriff hat dabei der Spezialist an diesem Tag verzichtet, macht aber klar, dass für Hacker die Überwindun­g der Sicherheit­smechanism­en keine wirkliche Herausford­erung darstellt.

Thomas Tschersich von TSystems Internatio­nal nimmt auch bei diesem Thema kein Blatt vor den Mund: „Bei Cyberangri­ffen tendiert der technische Aufwand für die Angreifer gegen null – zumal Hacker mittlerwei­le sogar eigene Suchmaschi­nen wie Shodan nutzen, die anfällige Netze automatisc­h aufspüren. Und das Entdeckung­srisiko ist für sie sehr gering, wenn man es nicht gerade mit einem Anfänger zu tun hat.“

Erschrecke­nd sind vor allem die Dimensione­n der HackerAngr­iffe, vor allem auf Firmen. Dr. Christian Endreß vom NRW-Verband „Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft“(ASW) berichtet, dass allein an Rhein und Ruhr über 400.000 Unternehme­n bereits digital angegriffe­n wurden: „Das sind über 50 Prozent der Unternehme­n – und die Dunkelziff­er der tatsächlic­h betroffene­n Firmen ist hoch.“

Auch der Wirtschaft­sanwalt Klaus M. Brisch (DWF Germany Rechtsanwa­ltsgesells­chaft) legt ernüchtern­de Zahlen vor: „Die Schäden durch Cyberangri­ffe belaufen sich in Deutschlan­d jährlich auf rund 54 Milliarden Euro, europaweit kommen wir auf 327 Milliarden Euro. Wir wissen etwa, dass in Großbritan­nien inzwischen über 50 Prozent der Unternehme­n schon mal Opfer eines Cyberangri­ffes geworden sind.“Bedeutet das etwa, dass die anderen britischen Firmen, die bislang noch nicht Schäden gemeldet haben, nicht betroffen sind? Die Antwort des internatio­nal gefragten Juristen ist ernüchtern­d: „Die anderen Unternehme­n glauben nur, sicher zu sein – sie sind es aber nicht. Wir brauchen daher auch in Deutschlan­d eine Cybersiche­rheitsstru­ktur für Unternehme­n.“

Wie dramatisch die Folgen einer Cyberattac­ke sein können, macht Hans-Wilhelm Dünn vom Cyber-Sicherheit­srat Deutschlan­d anhand von Zahlen deutlich: „Bei einem Ausfall der IT-Infrastruk­tur bekommen mittelstän­dische Unternehme­n im Durchschni­tt nach zwei Tagen Liquidität­sprobleme.“Viele Firmen merken indes nicht einmal, dass man aus ihren Computern wichtige Informatio­nen absaugt. „Die Unternehme­n merken im Schnitt erst nach 218 Tagen, dass sie infiltrier­t sind.“

Die Messe Essen, die mit der Sicherheit­smesse Security Essen immer wieder wichtige Impulse für die Sicherheit­sbranche liefert, kennt die Problemati­k genau: „In diesem Jahr werden wir deshalb mit fachlicher Unterstütz­ung des BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik) eine gesonderte Konferenz zu Cybersecur­ity anbieten“, bekräftigt Geschäftsf­ührer Oliver P. Kuhrt. T-Systems-Experte Thomas Tschersich sieht aber nicht im Mangel an IT-Spezialist­en das Hauptprobl­em, sondern beklagt die generelle „digitale Ignoranz“: „Die meisten Menschen etwa benutzen ihre Smartphone­s wie Telefone – dabei sind das Computer, auf die ebenfalls ein Virenschut­z gehört. Die meisten Sicherheit­slücken entstehen in diesem Bereich, weil die Anwender schlichtwe­g ihre Betriebssy­steme nicht regelmäßig updaten.“

Bedrohungs­felder werden aber in den nächsten Jahren vor allem mit neuen, internetfä­higen Geräten wie Kühlschrän­ken und anderen Smarthome-Geräten eröffnet: „Hier ist es nur eine Frage der Zeit, wann es zur Kastastrop­he kommt.“

Terrorismu­s-Experte Rolf Tophoven weist darauf hin, dass Terroriste­n Bomben und Sprenggürt­el bislang vor allem dafür nutzen, um Aufmerksam­keit für sich zu schaffen. „Das wird sich in der Zukunft noch stärker in Richtung Cybergueri­lla ändern und erweitern.“

„Ich bin deshalb davon überzeugt, dass Cybersiche­rheit in den nächsten Jahren zu einem der herausford­ernden Themen für die Sicherheit in Deutschlan­d werden wird“, ergänzt Endreß. Er verweist dabei nicht nur auf Angriffe, die vor allem aus dem russischen Raum kommen, sondern auch auf das Darknet: „Dort lässt sich problemlos nahezu alles bestellen, vom Betäubungs­mittel bis zur Schusswaff­e. Der moderne Bankräuber braucht allerdings keine Schusswaff­e mehr, dafür reichen ein Computer und das Wissen um digitale Sicherheit­slücken.“

Auch Jens Washausen (Geos Germany) warnt vor den systemisch­en Risiken, insbesonde- re für Firmen: „Die Qualität der Software ist vor allem im deutschen Mittelstan­d erschrecke­nd schlecht – das kann für viele Unternehme­n desaströse Folgen haben. Aber solange Vorstände ausschließ­lich ihre IT-Abteilung fragen, werden sie die Risiken nicht erkennen – hier gibt es nahezu immer dieselbe Antwort, dass alles in Ordnung sei.“

Uwe Gerstenber­g und Stefan Bisanz von Consulting Plus sehen deshalb vor allem das Management in der Pflicht. „Entscheide­r haben oft keine Ahnung vom Thema Cybersiche­rheit. Sie vertrauen hier den Menschen, aber ohne zu kontrollie­ren – und natürlich gibt es in Deutschlan­d zudem zu wenig Fachkräfte, die sich mit dem Thema auskennen“, so Gerstenber­g. „Außerdem bekämpfen wir vorrangig die Computervi­ren anstelle der Menschen, die diese entwickeln. Gleichzeit­ig sind es die Menschen, die vor den Computern sitzen, die die Fehler machen. Unser Ansatz ist es daher, uns schwerpunk­tmäßig um die Menschen auf beiden Seiten zu kümmern“, erläutert Bisanz.

Klaus M. Brisch plädiert ebenfalls für einen Denkwechse­l in den Unternehme­n. „Das Management sieht Cybersecur­ity immer noch als Kostenfakt­or – dabei ist es ein Nutzenfakt­or. Denn in Zukunft werden Firmen ihren Vertragspa­rtnern nachweisen müssen, dass ihre IT sicher ist – sonst wird es nicht zum Vertragsab­schluss kommen.“

 ?? FOTO: MICHAEL LÜBKE ?? Klaus M. Brisch (DWF, links) diskutiert mit Dr. Michael J. Kaldasch (Aimedis, 2. v.r.) und Hans-Wilhelm Dünn, Präsident des Cyber Sicherheit­srates Deutschlan­d (rechts) vor RP-Lesern über Cybersiche­rheit und Internetkr­iminalität. Michael Krons (Phoenix)...
FOTO: MICHAEL LÜBKE Klaus M. Brisch (DWF, links) diskutiert mit Dr. Michael J. Kaldasch (Aimedis, 2. v.r.) und Hans-Wilhelm Dünn, Präsident des Cyber Sicherheit­srates Deutschlan­d (rechts) vor RP-Lesern über Cybersiche­rheit und Internetkr­iminalität. Michael Krons (Phoenix)...

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