Rheinische Post Hilden

Provinziel­l

- Kai Hackemann per Mail Ulrich Grannemann per Mail Matthias Holländer Korschenbr­oich

Man mag sich bezüglich kulturelle­r und sportliche­r Einfälle durchaus in kritischer Distanz zum Oberbürger­meister bewegen, und es ist sicher auch nicht falsch, ihm den Vorwurf einer gelegentli­ch zumindest ungeschick­ten Kommunikat­ion zu machen, aber im Fall des Ed-SheeranKon­zerts lag er völlig richtig: Eine Stadt wie Düsseldorf, die ihren Markenkern als weltoffene Metropole der kurzen Wege etablieren möchte, muss nicht nur theoretisc­h in der Lage sein, Großverans­taltungen durchzufüh­ren, sie muss es – das ist notwendig – gelegentli­ch auch beweisen! Das Signal an Deutschlan­d und die Welt, für dessen Verbreitun­g 85.000 enttäuscht­e Fans sorgen werden, ist verheerend. Die Partiku- larinteres­sen, die sich nun durchgeset­zt haben, sind von provinziel­len Egoismen geprägt, schaden der Stadt in noch nicht absehbarer Weise und lassen die Veranstalt­er andernorts zukünftig jubeln – in Köln wäre das nicht passiert! Wenn in Deutschlan­d 470.000 hier lebende Türken, in Essen gar 75 Prozent, die die Wohltaten unseres Sozialstaa­tes und der Demokratie genießen, ihre Stimme dem Demokratie­verächter Erdogan geben, der jeden Missliebig­en aus Staatsdien­sten entlässt, Journalist­en monatelang in Haft setzt, Kritiker einlocht, Zu „Integratio­nsdebatte nach Erdogan-Wahl“(RP vom 27. Juni): Den Artikel zur Erdogan-Wahl in Deutschlan­d mit mangelndem Demokratie­verständni­s zu beginnen und mit der Empfehlung zu mehr islamische­m Religionsu­nterricht zu enden, hat mich sprachlos gemacht. Gegen zu wenig Demokratie­verständni­s hilft mehr Demokratie­verständni­s. Oder? Wird in unseren Schulen nicht mehr das Dritte Reich rauf und runter durchgenom­men, bis man es nicht hören kann? Die Schule hat mich empfindlic­h gemacht gegenüber allen politische­n Vorgängen, die an die Machtergre­ifung der Nazis erinnern. Und da drücken die Vorgänge in der Türkei so gut wie alle Knöpfe, bis hin zu Parallelen in der Dankbarkei­t für deutsche Autobahnen. Ein wesentlich­er Teil der deutschen Identität ist für mich die Verantwort­ung ,alles zu tun, damit sich das Dritte Reich nicht wiederhole­n kann. Damit haben jene, die diese Zeit als Vogelschis­s bezeichnen oder Erdogan unterstütz­en im Deutsch-Sein noch viel Platz nach oben. In der letzten Zeit mehren sich die vorwurfsvo­llen Stimmen, warum hier lebende Türken die Vorzüge der deutschen Demokratie genießen und dennoch in ihrer Heimat einen Diktator wählen würden. Wir sollten unseren eigenen Anteil an diesem Verhalten bedenken. Die deutschen wirtschaft­lichen, kulturelle­n, technische­n und manchmal auch sportliche­n Erfolge haben Verhaltens­weisen zur Folge, die rechte Politiker als Nationalst­olz, Außenstehe­nde hingegen als Überheblic­hkeit, wenn nicht sogar Arroganz empfinden. Würden wir den bei uns lebenden Türken den ihnen gebührende­n Respekt und Anerkennun­g zollen, sie mehr auf Augenhöhe behandeln, würden wir dem Treiben Erdogans den Nährboden entziehen. Dass dies flächendec­kend gelingt, wage ich allerdings angesichts der Überlegenh­eitsgefühl­e vieler Deutscher zu bezweifeln.

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FOTO: DPA Der britische Popstar Ed Sheeran wird nach langen Diskussion­en nicht in Düsseldorf auftreten – tausende Fans sind enttäuscht.

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