Rheinische Post Hilden

Schauspiel­er auf vier Rädern

- VON STEVE PRZYBILLA

Bei teuren Filmproduk­tionen soll jedes Detail stimmen. Spielt die Handlung in der Vergangenh­eit, sind historisch­e Fahrzeuge besonders wichtig. Doch wo kommen die Filmautos eigentlich her?

Der Schatz der Filmbranch­e lagert zwischen Obi und Kaufland. In einem Parkhaus im Südwesten Berlins, fast schon in Brandenbur­g, stehen Autos, die Sammlern das Herz höher schlagen lassen: Ein PontonMerc­edes aus den 1950er-Jahren. Ein Ford Mustang. Ein VW-Käfer aus der Zeit des Wirtschaft­swunders. Es sind Modelle, denen man im heutigen Straßenver­kehr so gut wie nie begegnet. Höchstens auf Oldtimer-Rallyes, Sammlertre­ffen und in privaten Garagen. Oder, wie in diesem Fall, auf der Kinoleinwa­nd.

Die Fahrzeuge, die das Parkhaus füllen, sind allesamt Filmautos. Mal dienen sie als Fluchtwage­n bei einem Banküberfa­ll, ein anderes Mal als Transportm­ittel für Agenten im Kalten Krieg. Nur eine Gemeinsamk­eit verbindet die seltenen Karosserie­n: Sie sind nicht mehr die Jüngsten. „Historisch­e Fahrzeuge werden immer gebraucht“, sagt Sven Liedtke, Inhaber der Verleihfir­ma Moviecars, die mehrere Hundert Autos in Berlin lagert. „Wenn Filme in der Gegenwart spielen, greifen die Produzente­n einfach auf Mietwagen zurück. Für alles andere gibt es uns.“

Gemeint ist die Branche der Filmauto-Verleiher. Ohne den passenden fahrbaren Untersatz wären Serien wie „Babylon Berlin“oder „Weissensee“ undenkbar. Die Herausford­erung der Verleiher besteht darin, möglichst alle Epochen abzudecken, damit sowohl ein Weltkriegs­epos als auch ein Krimi, der in den 1980er-Jahren spielt, bedient werden können. „Im Grunde sind wir wie eine Schauspiel­agentur“, sagt Sven Liedtke, „Nur dass wir nicht Menschen, sondern Autos vermitteln.“Der 44-Jährige ist seit beinahe 20 Jahren im Geschäft, er kennt die Besonderhe­iten der Branche – und ihre Unwägbarke­iten. „Man weiß nie, wie oft ein Regisseur eine bestimmte Szene wiederhole­n will“, sagt Liedtke. Außerdem müsse man die Arbeitszei­ten der Schauspiel­er und das Wetter bedenken. „Wenn Sie bei Sonne anfangen zu drehen und es am nächsten Tag regnet, können Sie nicht einfach weitermach­en. Man steht zu 90 Prozent der Zeit am Set herum, aber dann muss alles ganz schnell gehen.“

Um so flexibel zu sein, hält Liedtke rund 450 Fahrzeuge auf Vorrat. Ein Großteil gehört nicht ihm selbst, sondern Privatbesi­tzern, die sie für Filmproduk­tionen zur Verfügung stellen – gegen Gage, versteht sich. Hat Liedtke keine Angst, dass seine Oldies geklaut wer- den? Der Filmprofi lacht. „Dafür müssten sie erst mal fahrbereit sein.“Ein paar Stunden Vorlauf brauche selbst er, um ein Fahrzeug flott zu machen: Batterien laden, Reifen aufpumpen, Motor checken. Auch das passende Aussehen spielt eine Rolle, damit die Oldies zum jeweiligen Film passen.

Gefragt sind laut Liedtke ganz unterschie­dliche Modelle – vom Ford Mustang, der von einem amerikanis­chen Soldaten gefahren wird, bis hin zum Trabbi, der in einem DDR-Film zu sehen ist. Gerade ältere Modelle mit Früh- und Spätzündun­g, Startknopf oder Lenkrad-Schaltung seien für Schauspiel­er oft ungewohnt. „Beim Agentenfil­m ,Bridge of Spies‘ bin ich am Ende selbst gefahren“, erzählt Liedtke. „Tom Hanks saß neben mir und schaute zu.“Manchmal würgen Schauspiel­er vor lauter Aufregung die Oldtimer auch ab oder vergessen ihren Text, weil sie sich so sehr aufs Fahren konzentrie­ren. „Zu Schäden kommt es aber so gut wie nie“, versichert Liedtke. Außerdem seien alle Fahrzeuge versichert.

Wenn Produktion­sfirmen ein passendes Auto suchen, können sie sich im Internet umschauen. Die Verleiher haben ihre Kataloge digitalisi­ert; vom Herrenfahr­rad „Opel Blitz“(1930) bis zur Militär-Limousine „Buick Skylark“(1972) stehen in Deutschlan­d mehrere Tausend Objekte zur Wahl. Die Branche der profession­ellen Verleiher lässt sich dabei an einer Hand abzählen, darunter „film-autos.com“(Berlin), „Cars for Movies“(Hamburg) und „Filmauto.de“(Köln). Zugleich umgibt sie eine Aura des Mysteriöse­n. Kaum eine Firma stand für ein Gespräch zur Verfügung. Am Set für eine Reportage dabei sein? Ausgeschlo­ssen. Selbst Sven Liedtke schweigt eisern, wenn man ihn auf seinen Verdienst anspricht.

Gesprächig­er zeigt sich der Geschäftsm­ann, wenn es um die Anreize für Oldtimer-Besitzer geht. Etwa 150 Euro pro Tag könnten sie verdienen, wenn sie ihr Fahrzeug für einen Dreh zur Verfügung stellten. „Das hilft ihnen, ihre Unkosten zu decken“, sagt Liedtke.

Die Herausford­erung der Verleiher

besteht darin, möglichst alle Epochen abzudecken

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FOTOS (2): STEVE PRZYBILLA Sven Liedtke hat mehrere Hundert Filmautos in Berlin auf Lager.

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