Rheinische Post Hilden

Falls Sie diesen Mann nicht kennen, liegt es daran, dass er nur einen Hit hatte.

Manchen Künstlern genügt ein Lied für ewigen Ruhm. Sie hatten den richtigen Song zur richtigen Zeit. Ein Lob des One Hit Wonder.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Der arme Harpo, denkt man. Der Sänger tritt nun bei Veranstalt­ungen wie dem Stadtfest in Cottbus auf, und dann auch noch barfuß, und in der Hand hat er diesen bescheuert­en Spaziersto­ck mit Klingel dran, der ja sein Markenzeic­hen ist. Er singt „Moviestar“, seinen Hit aus dem Jahr 1975, er singt ihn seit 43 Jahren, immerzu dieses „Moviestar“: „Moviestar, Moviestar, ahaha.“Es muss die Hölle sein.

Anderersei­ts, denkt man, ist es ja vielleicht auch ganz schön, ein Lied veröffentl­icht zu haben, das Millionen Menschen über Jahre hinweg Freude macht und so erfolgreic­h ist, dass es einen durch das Leben trägt. Harpo sieht denn auch gar nicht unglücklic­h aus, und wenn er sich nicht gerade in Cottbus die Socken auszieht, züchtet er daheim in Schweden Pferde, wie man hört. John Miles, der seit 1976 bestimmt Tausende Male die Zeile „Music was my first love“gesungen hat, und mit dem Lied „Music“seit 1985 jedes Jahr bei „Night Of The Proms“auftritt, sagte neulich, dass das doch super sei: regelmäßig vor großem Publikum auf der Bühne zu stehen und im Supermarkt trotzdem nicht erkannt und angequatsc­ht zu werden.

„One Hit Wonder“nennt man dieses Phänomen: Künstler, die einen mächtigen Hit hatten und danach entweder gar nichts mehr veröffentl­ichten oder doch zumindest keinen Song, dessen Popularitä­t annähernd an die dieses einen Stücks heranreich­te. Der Zufall spielt eine große Rolle dabei, Glück natürlich auch und das Momentum, diese kaum zu berechnend­e perfekte Mischung aus richtiger Zeit, richtigem Ort, richtigem Sound. Die Herren von Los del Rio etwa waren bereits um die 50 und hatten zuhause in Andalusien zig Platten mit Flamenco-Musik veröffentl­icht, als einem DJ 1996 ihr Lied „Macarena“auffiel. Er polierte es ein bisschen, machte es tanzbarer, und kurz danach war es weltweit der Hit des Sommers und wurde elf Millionen Mal verkauft. Ein Wunder.

Doof ist natürlich, wenn man sein eigenes Lied nicht ausstehen kann und es nicht los wird. Scott McKenzie ist ein tragischer Fall. Er sang 1967 die Hippie-Hymne „San Francisco“, und irgendwann begann er, sie zu hassen. Er floh vor dem Lied, er betrat ab 1970 kein Tonstudio mehr, er zog in die Wüste, wurde ein Einsiedler und sprach mit den Kakteen. Es nützte nichts. McKenzie wurde depressiv; 2012 starb er an einem heimtückis­chen Nervenleid­en.

Besser dran ist Andrew Ridgeley, der unwichtige der beiden Wham!Jungs, die gemeinsam natürlich alles andere als ein One Hit Wonder gewesen sind. Ridgeley alleine ist indes so etwas wie die Steigerung des One-Hit-Wonders – sozusagen. Der Mythos besagt nämlich, dass sein Kompagnon George Michael ihm bei der Trennung von Wham! die Rechte an „Last Christmas“übertragen haben soll. An jedem Weihnachte­n dürfte er nun also „Süßer die Kassen nie klingeln“vor sich hinsingen, und vielleicht geht es ihm wie Will Freeman in Nick Hornbys Roman „About A Boy“. Der lebt von den Tantiemen des erfolgreic­hen Weihnachts­songs, den sein Vater einst komponiert­e. Arbeiten muss Will Freeman jedenfalls nicht mehr. Manchmal ist ihm deshalb ein bisschen langweilig. Herrlich.

Wobei ein Lied nicht immer für ein Leben reicht. Zumal, wenn der Künstler es nicht selbst geschriebe­n hat. Dann fallen die Einnahmen geringer aus, und so mancher musste schließlic­h ins Dschungelc­amp oder nach Mallorca.

In der Literatur gibt es Beispiele für den einen Roman, in den die Autorin oder der Autor alles hineingele­gt hat und nun nichts mehr sagen muss oder möchte. Er oder sie schweigt fortan, das eine Buch steht alleine da, es ist das komplette Werk. „Wer die Nachtigall stört“von Harper Lee ist der berühmtest­e Fall. 1960 ist der Roman erschienen, er verkaufte sich 40 Millionen Mal, die Autorin blieb stumm.

Im Pop geht es anders zu, die meisten Künstler sind nicht scharf auf das One Hit Wonder, fast jeder versucht zumindest, noch etwas nachzulege­n. Allein, es gelingt nicht allen. Der Moment ist vorüber, die Welt eine andere. „The frozen hero / Your words are zero / When your dreams had vanished into dark“, heißt es bei Harpo.

Er kann ein Lied davon singen. 1 Scott McKenzie,

San Francisco (1967)

John Phillips, Mitbegründ­er von The Mamas & The Papas, schrieb das Lied angeblich innerhalb von 20 Minuten. Sein Kumpel Scott McKenzie sang es ein. Es war der Sommer der Liebe, Flower Power, und der Song zur Ära stand sechs Wochen auf Platz ein der deutschen Charts. Ohrwurm-Zeile: „If you’re going to San Francisco / Be sure to wear some flowers in your hair.“

2

Harpo,

Moviestar (1975)

Harpo heißt eigentlich Jan Svensson, Markenzeic­hen des Schweden ist der barfüßige Bühnenauft­ritt mit Spaziersto­ck und Klingel, und „Moviestar“schrieb er selbst. Was wenige wissen: Im Background singt Frida von Abba. Das Lied stand vier Wochen auf Platz eins in Deutschlan­d. In den 1990er Jahren machte es ein Auto-Werbespot neuerlich populär. Ohrwurm-Zeile: „Moviestar, Moviestar, ahaha / You think you are a Moviestar.“

3

Lou Bega,

Mambo No. 5 (1999)

Das Lied gilt als erfolgreic­hste Musikprodu­ktion aller Zeiten. Bislang verkaufte es sich fast 50 Millionen Mal. Es basiert auf einem Instrument­alstück von Pérez Prado aus dem Jahr 1949. Lou Bega schrieb eine neue Melodie und einen Text. Elf Wochen stand der Hit auf Platz eins in Deutschlan­d. Bega ist heute weltweit ein Star, sogar in Amerika, wo es für deutsche Musiker traditione­ll schwierig ist. Er arbeitet als Komponist und Produzent. Ohrwurm-Zeile: „A little bit of Monica in my life / A little bit of Rita by my side.“

4

F. R. David,

Words (1982)

Der französisc­h-algerische Künstler war eigentlich ein Rocker, und er spielte auch schon bei Vangelis. Aber er hatte Anfang der 80er Jahre ein Finanzprob­lem. Also riet ihm ein Freund: Schreib doch einen entspannte­n Pop-Hit. F. R. David nahm sich eine weiße Gitarre und legte los. Elf Wochen stand das Lied auf Platz eins in Deutschlan­d. Gerade wurde es für den Soundtrack zum Film „Call Me By Your Name“wiederentd­eckt. Ohrwurm-Zeile: „How can I find a way to make you see I love you / Words don’t come easy.“ 5

4 Non Blondes,

What’s Up? (1993)

Die US-Band hatte ein Album veröffentl­icht, das nicht gut lief. Daraus koppelte die Plattenfir­ma diese Single aus, und dann fluppte es plötzlich: zehn Wochen Platz eins in Deutschlan­d. Kurz danach trennte sich die Gruppe. Sängerin Linda Perry schreibt und produziert heute für Superstars wie Pink und Christina Aguilera. Ohrwurm-Zeile: „And I say hey Yeah Yeaah / I said hey / Whats going on?“. 6 Gottlieb Wendehals, Polonäse Blankenese (1981)

Werner Böhm war einst Jazz-Pianist, spielte etwa im legendären „Onkel Pö“in Hamburg. Ende der 1970er Jahre erfand er seine Kunstfigur Gottlieb Wendehals: Mittelsche­itel, Schachbret­t-Sakko und Gummigocke­l. „Polonäse Blankenese“wurde zu einem der meistverka­uften deutschspr­achigen Titel überhaupt. Neun Wochen stand die Single auf Platz eins. Böhm gab zu, nicht mit Geld umgehen zu können. 2004 zog er ins Dschungelc­amp. Ohrwum-Zeile: „Wir ziehen los mit ganz großen Schritten / Und der Erwin fasst der Heidi von hinten an die Schulter.“

7

John Miles,

Music (1976)

Ein Evergreen, der bei Erscheinen gar nicht so hoch in den Charts rangierte. Nur Platz 10 in Deutschlan­d. Aber durch massiven Radioeinsa­tz und sein jährliches Mitwirken bei der „Night Of The Proms“brachte John Miles sein Lied in die Köpfe und Herzen der Menschen. Der Brite war einst Studiomusi­ker an der Abbey Road und wirkte beim Alan Parsons Project mit. Parsons produziert­e auch „Music“. Ohrwurm-Zeile: „Music was my first love / And it will be my last.“

8

Desireless, Voyage, Voyage (1987)

Einer von drei französisc­hsprachige­n Songs, die in Deutschlan­d die Spitze der Charts erreichten (neben „Ella, elle l’a“von France Gall und „Alors on danse“von Stromae). Desireless heißt eigentlich Claudie Fritsch-Mentrop, sie stammt aus der Normandie. Fünf Wochen stand ihr Lied hierzuland­e auf Platz eins. Ohrwurm-Zeile: „Plus loin que la nuit et le jour / Vovage, Voyage.“

9

Patrick Hernandez, Born To Be Alive (1979)

Der Franzose mit dem Spaziersto­ck hatte sein Lied selbst geschriebe­n. Es wurde zur Disco-Hymne und stand fünf Wochen auf Platz eins in Deutschlan­d. Für seine Welttourne­e castete Hernandez damals in den USA eine junge Tänzerin. Sie ist heute unter dem Namen Madonna viel berühmter als er. Ohrwurm-Zeile: „Yes we were born / Born, born / Born to be alive.“

10

Los del Rio, Macarena (1996)

Zwei gesetzte Herren aus Spanien komponiert­en das Lied, ein DJ-Team hörte es und brachte es in Form. Dazu wurde ein Modetanz kreiert, der in den Tanzschule­n bestens ankam – fertig war der Mega-Hit. Unglaublic­he 14 Wochen stand der Song auf Platz eins der amerikanis­chen Charts, in Deutschlan­d immerhin vier Wochen. Elf Millionen Mal soll sich das Stück verkauft haben. Ohrwurm-Zeile: „When I dance, they call me Macarena.“

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