Regierungsbunker im Weinberg
Die Dokumentationsstätte Regierungsbunker in Ahrweiler ist seit zehn Jahren ein Museum. Bislang waren schon 800.000 Besucher dort. Museumschefin Heike Hollunder zeigt die faszinierendsten Orte.
AHRWEILER Die Geheimnisse offenbaren sich in den Nebensätzen. Man muss die Ohren spitzen, wenn Heike Hollunder spricht. Die Chefin der Dokumentationsstätte Regierungsbunker in Ahrweiler hat viel zu sagen. Die Kernbotschaft: Als der Ostteil des Atombunkers 1965 fertiggestellt wurde, war er schon längst unterdimensioniert. Einer Bombe der neuesten Generation hätte er schon damals nicht mehr standgehalten. Er war auf die Sprengkraft der Hiroshima-Bombe konzipiert.
Dennoch probte man regelmäßig mit 3000 Nato-Geheimnisträgern den Ernstfall. Auch wenn es damals Gerüchte gab: Im Ernstfall werden die Regierungsspitzen nach Florida ausgeflogen. Das alles ist Geschichte, und das Bunkermuseum im Weinberg ist ein Zeugnis der bizarren Gedankenwelt des Kalten Krieges. Bei einer Innentemperatur von zwölf Grad sind die Schauer auf dem Rücken nicht nur inhaltlich verursacht.
Hollunder ihrerseits ist ein wandelndes Lexikon. Sie kann drei Stunden am Stück erzählen, ohne sich zu wiederholen. „Dies hier ist ein Gebäude der Angst“, sagt sie. Und das sehen sich pro Jahr 80.000 Menschen an, 10.000 davon sind Schüler. 60 Mitarbeiter zeigen seit zehn Jahren die Überbleibsel einer längst vergangenen Epoche. Insgesamt waren bis dato 800.000 Menschen in dem Geheimversteck am Rotweinwanderweg.
Von 2001 bis 2006 ist das Labyrinth aus Gängen und Räume, das sich kilometerlang durch den Weinberg zog, zurückgebaut worden. 200 Meter vom Atombunker sind übrig geblieben und zeigen komprimiert, was noch immer zwiespältige Gefühle auslöst. Die Dunkelheit und die Enge, die Technik vergangener Tage. Kaum zu glauben, dass hier jemand einen Atomkrieg überleben wollte. Zwar war an alles gedacht, jede Schraube war dreimal vorhanden. Mit buchhalterischer Akribie und enormem logistischen Aufwand wurde eine reelle Überlebenschance vorgegaukelt. Realisten mussten es aber damals schon besser wissen.
Ausgangspunkt des Überlebenswillens war die 30-Tage-Regel der befreundeten Amerikaner. Demnach sollten die Vorräte an Wasser, Luft und Lebensmitteln für den etwaigen Atomschlag erst einmal 30 Tage reichen. Und was ist am 31. Tag? Das ist so eine Frage, die Schüler gerne stellen. Antwort: Man ging davon aus, dass – laienhaft ausgedrückt – die Radioaktivität schon ein bisschen abgeklungen wäre und man das Tor mal aufmachen könnte. Was man dann draußen vorfände, war damals weniger Gegenstand der Betrachtung.
Das Beton-Rolltor ist heute jedenfalls eine der Attraktionen des Gebäudes. Hinter dem Eingang Nummer 123 schließt die 25 Tonnen-Tür wenn nötig in zehn Sekunden. Das passierte in seinen aktiven Zeiten alle zwei Jahre zum Nato-Manöver. 3000 Menschen lebten dann 14 Tage hinter dickem Beton und spielten Krieg. Natürlich vor realitätsnaher Kulisse. Zwar waren die tatsächlichen Spitzen der Bundespolitik nicht persönlich anwesend, aber sie wurden vertreten. So etwa der Bundeskanzler durch den „Bundeskanzler-Üb“. Und die Feldpritsche des Bundespräsidenten war definiert. Sein Ruheraum war karg und leer. Ebenso wie alle anderen. Nach der ersten Übung wurde den Psychologen klar, dass die Schlichtheit zu Problemen führen kann, und man hängte in die Schlafstuben Bilder von Bergen und Meeren. Gegen den Bunkerkoller.
Wer sich heute mit dem Ablauf und Aufbau der Manöver vertraut machen möchte, ist immer noch auf die Informationen der früheren DDR-Spione angewiesen. Denn die entsprechenden Archive der Westmilitärs sind noch verschlossen. Im Bunker hängt dafür das Organigramm aus der Feder der Ostgeheimdienste. Die waren, wie man heute weiß, stets auf dem Laufenden. Hollunder berichtet von einer Gedenkveranstaltung dieser Tage, als während der Pause der frühere Bunkerarchitekt Hans Walter und ein Mann namens Dieter Popp miteinander ins Gespräch kamen. Sie saßen nebeneinander auf einer Bank. Als sich Walter dem Gegenüber vorstellen wollte, konnte er ihm nicht viel Neues verraten, denn Popp hatte von 1969 bis 1990 für den Militärischen Nachrichtendienst der Nationalen Volksarmee der DDR gearbeitet – und Walter war sein Spezialgebiet.
Bunkerbesucher dürften beeindruckt sein von weitläufigen Gängen und der damaligen Technik. Wählscheibentelefone mögen Kindern von heute vorkommen, als stammten sie aus Steintafelzeiten der Zehn Gebote. Nicht viel moderner wirkt der Zahnarztstuhl, dessen Bohrer vorsorglich auch ohne Strom ausgekommen wären. Schon zeitgemäßer, aber doch auch alt wirkt die Führungszentrale, die viele als Kommandobrücke des Raumschiffs Orion identifizieren würden.
Heute beeindrucken auch die Dimensionen der Verpflegungsinfrastruktur. Die Kaffeemaschine ist beinahe mannshoch, und die Brotschneidemaschine könnte ohne Weiteres ein Spanferkel filetieren. Die Schlaf- und Arbeitsräume waren so weit voneinander entfernt, dass man im Eingangbereich einen Fahrradfuhrpark bereitstellte. Auch heute noch fährt der Hausmeister mit dem Rad durch die Flure.
Als der Bunker zurückgebaut wurde, war keineswegs klar, dass daraus mal solch ein Museum werden könnte. So dass die einzelnen Exponate nach und nach wieder zurückgeholt werden mussten. Da kamen Hollunder und dem Träger, dem Heimatverein „Alt-Ahrweiler“, ihr sorgsam geknüpftes Netzwerk zugute. So kam etwa noch das Bundeskanzlerbett wieder zurück, das ein Arbeiter zuvor mehrere Jahre in seiner Garage gebunkert hatte.
Während die Farbskala im Bunker zwischen Maus-, Beton-, Nacht- und Mondgrau changiert, lässt ein einsamer grellroter Farbtupfer aufmerksam werden: Die Wohnzimmergarnitur von Bundespräsident Gustav Heinemann und dessen Frau Hilda. Als sie 1976 aus der Villa Hammerschmidt auszogen, überließen sie das gute Stück ihren Nachfolgern Walter und Mildred Scheel. Offenbar konnte sich die frisch gebackene Präsidentengattin aber nicht mit dem Ensemble anfreunden und stiftete es für den Bunker. Seitdem ist es dort das farbliche Highlight.
Und was ist das Lieblingsstück von Bunkerchefin Heike Hollunder? Ganz aktuell ausgestellt ist ein Schild, das der Künstler Joseph Beuys seinerzeit traktiert hat. Und zwar im Zusammenhang mit einer Demonstration am 4. April 1981 vor dem Bunkereingang in Marienthal.
Damals ging es um den Protest gegen den Nato-Nachrüstungsbeschluss. Beuys schrieb: „Dies ist nicht mein Bunker.“Und Dienststellenleiter Ernst Walker setzte damals daneben: „Stimmt!“Das Schild war lange in Privatbesitz und steht nun hinter der Splitterwand am Museumseingang in einer Glasvitrine. Es erinnert an eine kaum mehr vorstellbare Zeit.