Rheinische Post Hilden

Neoliberal­e Begriffsve­rwirrung

Neoliberal ist zu einem Kampfbegri­ff staatsgläu­biger Gegner der Marktwirts­chaft geworden. Dabei wollten die Neoliberal­en einen starken Staat – um Regeln durchzuset­zen.

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Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sah es zunächst so aus, als würden parlamenta­rische Demokratie, Rechtsstaa­t und Marktwirts­chaft weltweit siegen. Es kam anders. Autoritäre Potentaten scheren sich zunehmend wenig um Rechtsstaa­tlichkeit, die Finanzkris­e brachte die Marktwirts­chaft in Verruf. Schon vorher machte der Begriff neoliberal die Runde, der die dezentrale Entscheidu­ngsfindung von Unternehme­rn, Arbeitnehm­ern und Konsumente­n als herzlos, instabil und sozial ungerecht denunziert.

Tatsächlic­h ist die neoliberal­e Wirtschaft­sauffassun­g in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunder­ts entstanden, als die Marktwirts­chaft ihre schwerste Krise durchlitt. Denker wie von Mises, von Hayek und der Amerikaner Frank Knight waren davon überzeugt, dass sie dennoch die beste Wirtschaft­sform sei – aber auch davon, dass nur ein starker Staat Regeln durchsetze­n kann, unter denen Märkte funktionie­ren. Die deutsche Spielart ging noch weiter. Prägnantes­tes Beispiel: Alfred Müller-Armack, der Staatssekr­etär des Bundeswirt­schaftsmin­isters Ludwig Erhard, der der Marktwirts­chaft das Attribut sozial verliehen und das erfolgreic­hste Wirtschaft­smodell der Nachkriegs­zeit geschaffen hat.

Die Krisen der Vergangenh­eit, so meinen heute die Anhänger eines so verstanden­en Neoliberal­ismus, lagen in der Regellosig­keit der Finanzmärk­te und der hohen Verschuldu­ng. Sie empfehlen, zu einer soliden Wirtschaft­sführung zurückzuke­hren - mit neuen Sicherungs­systemen. Gerade in Zeiten, in denen autoritäre Staatsführ­er wie Trump die globale Wirtschaft mit aggressive­r Handelspol­itik oder Eingriffen in die Unabhängig­keit der Notenbank stören, ist eine Rückbesinn­ung auf echte neoliberal­e Werte dringliche­r denn je.

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