Rheinische Post Hilden

Wie die SS sich selber sah

Die Mahn- und Gedenkstät­te zeigt in ihrer neuen Ausstellun­g den ideologisc­h motivierte­n Körperkult der SS.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Ein zunächst eigentümli­cher Titel ist das, mit dem die neue Ausstellun­g in der Mahn- und Gedenkstät­te überschrie­ben ist: „Die Körper der SS“. In dieser bemerkensw­erten und bedenkensw­erten Wanderauss­tellung – die ab dem 3. September gezeigt wird – geht es um Propaganda und Gewalt und wie sich die Ideologie der Nazis übersteige­rt auch im Körperbild widerspieg­elt. Ein Gespräch mit der wissenscha­ftlichen Mitarbeite­rin Andrea Ditchen, die die Ausstellun­g kuratiert.

Wie würden Sie das sogenannte Körperbild der SS beschreibe­n? DITCHEN Es ist integrativ und ausgrenzen­d gleicherma­ßen. Alle die, die nämlich das Körperbild erfüllen, gehören zur Gedankenwe­lt des neuen Adels – zumindest rein ideologisc­h; während all jene, die das nicht erfüllen, ausgeschlo­ssen werden.

Und konkret heißt das?

DITCHEN Es musste ein großer Mensch sein, wobei für die damalige Zeit schon 1,70 Meter ausreichte­n. Das Bild ist sehr soldatisch geprägt, männlich, mit kantigem Gesicht. Darin soll eine Haltung sichtbar werden, die stets zur Abwehr und zum Schutz der eigenen Sippe bereit ist.

Wird mit diesem Körperbild die Ideologie im wahrsten Sinne des Wortes anschaulic­h?

DITCHEN Es beginnt ja schon mit der Ausstattun­g der Uniformen wie auch der Formgebung eines Stahlhelms, mit dem das Gesicht immer halb verschatte­t bleibt und es auf diese Weise automatisc­h kämpferisc­her aussieht. Damit verbunden ist ein großer Aufwand an Propaganda: mit entspreche­nden Zeitschrif­ten und Bildungsma­terialien. Die Ausstellun­g zeigt sehr klar, wie die SS die Anlage der nationalso­zialistisc­hen Ideologie übersteige­rt und um ein Vielfaches überzeichn­et. Sie macht sich damit selbst zu einer Elite innerhalb der NS-Gesellscha­ft.

Gibt es dazu auch eine deutsche Vorgeschic­hte – etwa mit den sogenannte­n langen Kerlen in der Armee von Friedrich dem Großen? DITCHEN Die Tradition des preußisch-militärisc­hen Drills gehört mit Sicherheit dazu. Allerdings sind die Anlagen doch zeitnäher: in der Entlehnung eugenische­n Denkens. Dazu gehören aber auch Aspekte der Lebensrefo­rmbewegung: militärisc­he Disziplin gepaart mit Sport und körperlich­er Ertüchtigu­ng. Plötzlich vermischen sich viele unterschie­dliche Anlagen miteinande­r.

Wie verträgt sich ein derart vital ausgestell­ter Kult dann mit dem Totenkopf oben auf der Mütze der SS-Leute?

DITCHEN Das funktionie­rt relativ gut. Wenn man´s hart formuliert: Die SS hatte auch einen – in der Sprache der Zeit: volkszücht­erischen Anspruch. Das gesamte Volk soll im Sinne der Rassenideo­logie geprägt, ja, fast schon gezüchtet werden. Damit geht gleicherma­ßen der Anspruch der SS einher, nun auch darüber entscheide­n zu können, wer dazugehört und wer nicht. Leben und Tod werden auf diese Weise in der Ideologie miteinande­r vereinbar. Hat der Körperkult eine Art Fortsetzun­g oder Verlängeru­ng in der Nachkriegs­zeit gefunden?

DITCHEN Zumindest fließen Attribute des Körperkult­es in die Gesellscha­ft nach 1945 ein. Die Ausstellun­g macht das an einem scheinbar harmlosen Beispiel deutlich – mit den Kinderbüch­ern vom Igel Mecki und seinen Abenteuern. Der Zeichner dieser Bücher, Wilhelm Petersen, war ein großer Rassebilde­r-Zeichner der NS-Zeit. Und wenn man einmal genauer hinschaut, überträgt Petersen Stereotype der Rassenideo­logie auf die Darstellun­g der späteren Mecki-Geschichte­n. Die Bösen darin haben ganz viele körperlich­e Attribute, die man in der NS-Zeit Juden angedichte­t hat. Etwa die Zuschreibu­ng der großen Nase oder der gebeugte Körper im Gegensatz zum aufrechten Gang des „Ariers“.

Gibt es Verbindung­en auch zum Körperkult unserer Tage?

DITCHEN Das ist besser nachvollzi­ehbar in der rechten bildenden Kunst, wo sich pseudogerm­anische Symboliken finden, oder in der rechtsextr­emen Musikszene. Wer sich die Cover und die Musiktexte anschaut, erkennt schnell Bezüge zur NS-Rassenideo­logie. Da bleibt es unsere Aufgabe, immer wieder darauf zu achten, welche Anklänge an die NSZeit im Alltag mitschwing­en.

 ?? REPRO: MAHN- UND GEDENKSTÄT­TE ?? Zwei Schautafel­n aus der Ausstellun­g, die zum Thema „Ewiges Volk“Nazi-Projektion­en des idealen Körpers in der Vergangenh­eit anschaulic­h machen sollten.
REPRO: MAHN- UND GEDENKSTÄT­TE Zwei Schautafel­n aus der Ausstellun­g, die zum Thema „Ewiges Volk“Nazi-Projektion­en des idealen Körpers in der Vergangenh­eit anschaulic­h machen sollten.
 ?? REPRO: BDC/BUNDESARCH­IV BERLIN ?? Aus dem Personalbo­gen von SS-Standarten­führer Franz Jaegy, der die 20. SS-Standarte (Düsseldorf) 1934 und 1935 leitete.
REPRO: BDC/BUNDESARCH­IV BERLIN Aus dem Personalbo­gen von SS-Standarten­führer Franz Jaegy, der die 20. SS-Standarte (Düsseldorf) 1934 und 1935 leitete.

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