Rheinische Post Hilden

Warum Börsenweis­heiten nicht mehr taugen

Die für die Kursbewegu­ng relevanten Informatio­nen verbreiten sich immer schneller. Das verändert die Stategie von Anlegern.

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Es gibt Sätze, die dürfte jeder Anleger irgendwann einmal inrgendwo gehört oder gelesen haben. Dazu zählt vermutlich “Sell in May and go away – but remember to come back in September”. Verkaufe im Mai, aber vergiss nicht, im September wieder einzusteig­en. Frei übersetzt. Das klingt griffig und schlüssig. Zwischen Mai und September ist schließlic­h Sommer, will heißen: Es ist wenig los an den Börsen. Diejenigen, die kaufen könnten, sind weit weg, im Urlaub, irgendwo am Strand. Und wenn keine Käufer da sind, steigen auch die Kurse nicht. Soweit, so einfach. Der September ist nah…

Aber ist es tatsächlic­h sinnvoll, nach Kalender zu investiere­n? Um sich dann auf die „Jahresendr­ally“vorzuberei­ten, die, so werden es in einigen Wochen die Börsenkomm­entatoren mit ziemlicher Sicherheit schreiben, auch in diesem Jahr kommen wird? Meine Kollegen des Flossbach von Storch Research Institute haben sich all dieser Fragen angenommen und in einer Studie untersucht, was es mit den sogenannte­n Saisonalit­äten am Aktienmark­t auf sich hat. Um herauszufi­nden, ob es sich tatsächlic­h lohnt, darauf zu vertrauen. Dabei haben sie sich die tägliche Kursentwic­klung aller börsennoti­erten Unternehme­n in den G7-Staaten über einen Zeitraum von insgesamt mehr als 40 Jahren angeschaut – von 1973 bis 2016.

Das Ergebnis ihrer Untersuchu­ngen, sehr stark vereinfach­t und verkürzt zusammenge­fasst, lautet: Ja, Anleger waren meist gut beraten, sich an Mai und September oder der obligatori­schen Jahresendr­ally zu orientiere­n. Die Betonung liegt aber auf dem Wort „waren“. Denn die Zeiten haben sich geändert. Saisonale Muster funktionie­ren immer weniger. Heute meist gar nicht mehr, wie die Ergebnisse der Studie zeigen.

„Informatio­nseffizien­z“heißt der etwas sperrige Begriff, der diese Entwicklun­g, sozusagen den Tod der Börsenjahr­eszeiten, erklären soll. Er bedeutet nichts anderes, als dass die für die Kursentwic­klung relevanten Informatio­nen heutzutage einer immer größeren Zahl von Anlegern bekannt sind. Dem Internet sei Dank. Denn wenn alle wissen, wann sich die Kurse in welche Richtung entwickeln (aus welchen Gründen auch immer) und dann auch entspreche­nd handeln, würde der Trend alsbald ins Gegenteil verkehrt.

Nehmen wir an, im September gehen weltweit die Anleger auf Einkaufsto­ur, wohl wissend, dass die kommenden Monate sehr ertragreic­h werden. Jeder zusätzlich­e Käufer treibt den Kurs, der schlussend­lich nichts anderes ist als das Ergebnis aus Angebot und Nachfrage, in die Höhe. Zur Freude derer, die bereits gekauft haben. Umgekehrt wird es also immer interessan­ter, genau das Gegenteil zu tun, nämlich zu verkaufen statt zu kaufen, Gewinne mitzunehme­n. Der September-Effekt verpufft – oder kehrt sich um. „Sell in September“könnte es dann bald heißen. Und so weiter. Das Gedankensp­iel ließe sich endlos fortsetzen.

Beschäftig­en Sie sich deshalb nicht zu viel mit Börsenweis­heiten. Wenn Sie darüber lesen, ordnen sie es richtig ein. Ein wenig Börsenfolk­lore, mehr nicht. Beschäftig­en Sie sich lieber mit Aktien sehr guter Unternehme­n. Unternehme­n, die über ein erprobtes Geschäftsm­odell verfügen, robust wachsen, wenig verschulde­t und global aufgestell­t sind. Genau diese Qualitätst­itel können ihnen helfen, über einen längeren Zeitraum attraktive Renditen zu erwirtscha­ften und so die Kaufkraft ihres Geldes zu erhalten.

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FOTO: BAUER Kurt von Storch

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