Von der Autofelge zur Glitzerkapelle
Kunsthalle und Kunstverein zeigen zwei Ausstellungen unterschiedlicher Stimmungen: Yngve Holen und Sol Calero.
Hölzerne Felgen unterschiedlicher Bauart reihen sich im Kinosaal und im Obergeschoss der Düsseldorfer Kunsthalle aneinander. Der Titel der Ausstellung, „Horses“, lässt an Pferdewagen von anno dazumal denken. Doch ihr Schöpfer, der norwegisch-deutsche, in Berlin lebende Bildhauer Yngve Holen (Jahrgang 1982), hatte anderes im Sinn. Die insgesamt 20 Ausführungen von fünf Felgenformen sind vergrößerte, in Holz übersetzte Autofelgen von heute. Fünf SUV-Fahrzeuge der Hersteller Land Rover und Mercedes haben Modell gestanden.
Das klingt nach Kritik an der schlechten Öko-Bilanz hochgezüchteter Geländewagen für die Stadt, doch der Künstler dachte beim dreidimensionalen Scannen der Vorlagen aus Aluminium und der Herstellung seiner Vergrößerungen aus Holz auf einen Durchmesser von zwei Metern an mehr. Ihm geht es vor allem um das Verhältnis zwischen dem Design und der Funktion von Dingen, die Erzeugung von Werten und ihre daraus folgende Erhebung zum Fetisch.
Spricht man den Künstler darauf an, wie er selbst es mit dem Auto hält, antwortet er verblüffend: „Ich habe gerade erst den Führerschein gemacht. Wenn ich etwas zu transportieren habe, benutze ich Basic-Autos. Aber ich könnte mir auch vorstellen, einen SUV zu fahren.“So unergründlich sind sie, die Künstler und ihre Kunst.
Jenseits des Treppenhauses, im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, bietet die in Venezuela geborene, ebenfalls in Berlin lebende und mit Yngve Holen gleichaltrige Sol Calero ein lateinamerikanisches Kontrastprogramm aus überbordenden Farben und Formen. „Pica Pica“, der Titel der Ausstellung, nimmt Bezug auf eine Legende aus ihrer Heimat.
Es geht um ein Wunder, das sich unter dem Pica-Pica-Baum zugetragen haben soll. Ein kranker Hirte legte sich in den Schatten eines solchen Baums. Ein anderer, der gerade sein Vieh verloren hatte, legte Zweige zum Schutz auf den Körper des ersten Hirten. Für den Fall, dass er seine Herde wiederfinden sollte, versprach er dem Sterbenden eine angemessene Beerdigung. Als er sein Vieh endlich wieder um sich hatte, löste er dann auch sein Versprechen ein.
Heute gilt Pica Pica als Wallfahrtsstätte, als Ort, an dem Menschen für die Erfüllung ihrer Wünsche danken. Dafür bilden sie diese Wünsche als Objekte nach: in Gestalt einer Hand, eines Hauses, eines Autos.
Sol Calero hat bei der Inneneinrichtung einer Kapelle zu Ehren des Wunders alle Register ihrer Kunst gezogen. Rings an den Wänden und in der Mitte des Kunstvereins-Raums hängen reich verzierte Wunsch-Nachbildungen, auf die sich jeder selbst einen Reim machen muss: ein großes Herz, in dem ein Dolch steckt, ein überdimensionierter Stiefel, ein goldenes Hufeisen, ein riesiges Bein, Jalousien sowie Rechtecke aus Glanzpapier, welche die Besucher von der Wand nehmen und an zwei Tischen mit Scheren
bearbeiten dürfen. Wer die teilweise von der Decke hängenden Gegenstände von Nahem betrachtet, dem wird klar, warum alles glitzert. Kunstperlen sind da aneinandergereiht, Mosaiksteinchen und manch Reflektierendes mehr, das alles vor kräftigen Farben von Orange über Rot bis Blau.
Sol Caleros Kapelle in der Kunsthalle hat ein Vorbild: eine dem Pica-Pica-Baum gewidmete Kapelle, die sich auf dem Weg zum Haus ihrer Großmutter im ländlichen Venezuela befindet. Einst legte man dort auf der Reise einen Zwischenstopp ein, um Pica Pica seine Reverenz zu erweisen und damit eine sichere Fahrt zu gewährleisten.
In den politischen Turbulenzen, in denen sich Venezuela heute befindet, ist Sol Caleros Kapelle womöglich ein Ort, um Frieden zu erbitten. Ob Pica Pica weiter Wunder wirkt?