Keine Hintertür für die Kanzlerin
Die Union ist bemüht um Sachthemen. Doch Seehofer heizt den Konflikt um die Migration neu an.
BERLIN/NEUHARDENBERG Die Kanzlerin stiehlt sich an dem Pulk von Journalisten regelrecht vorbei. Angela Merkel hat kein Interesse, den von CSU-Chef Horst Seehofer abermals aufgeworfenen Konflikt um die Flüchtlingspolitik auch noch zu Beginn der Klausur des Unionsfraktionsvorstands in Berlin zu kommentieren. Der Innenminister hatte die Migrationsfrage als „Mutter aller politischen Probleme“bezeichnet. Die CDU-Chefin sieht das freilich anders. Auf den Fluren des Bundestags wird gefeixt, Seehofer ziele mit „Mutter“auf Merkel.
Der Fraktionsvorstand hat eine ganze Reihe von Positionspapieren erarbeitet. Er will: Leistungen für den Schulbedarf von Kindern aus Hartz-IV-Haushalten um ein Fünftel von bisher 100 auf 120 Euro erhöhen, den Besitz von Kinderpornografie härter bestrafen, eine zentrale Clearingstelle zur Aufarbeitung von Zwangsadoptionen in der DDR einsetzen und der Digitalisierung in allen Bereichen der Regierungsarbeit Priorität einräumen. Viel spannender ist für die Abgeordneten aber die Kampfkandidatur zwischen dem seit 13 Jahren amtierenden Fraktionschef Volker Kauder und seinem Stellvertreter Ralph Brinkhaus am 25. September um den Vorsitz. Beide sprechen von Rückhalt in der Fraktion für ihre Kandidatur.
Seehofer hat sich bei der Tagung der CSU-Landesgruppe unmittelbar vor dem Treffen des Fraktionsvorstands bereits für Kauder ausgesprochen. Dieser habe die Kraft, die Union zu einen und mit CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zusammen die Regierung wirksam zu kontrollieren.
Nicht zufällig hatte Dobrindt die CSU-Abgeordneten in Neuhardenberg im „Feldlager vor den Toren Berlins“willkommen geheißen. Feldlager hat etwas mit Aufmarsch zu tun. Und das wies die CSU bereits mit der Auswahl ihrer Gäste nach: Den Trump-Vertrauten und US-Botschafter Richard Grenell und den Merkel-Gegner und EU-Skeptiker Lars Lokke Rasmussen, Dänemarks Regierungschef. Rasmussen bevorzugt, wie die CSU, nicht nur verschärfte Kontrollen an seiner südlichen Grenze, er redete sich auch mit Äußerungen etwa gegen zu viel Macht in Brüssel in die Herzen der Christsozialen.
Den Grenell-Besuch nutzte die CSU zur Vorbereitung einer Attacke, indem sie sich scharf dagegen verwahrte, ein „Gegengewicht gegen die USA“aufzubauen. Davon hatte SPD-Außenminister Heiko Maas gesprochen. Es war nicht der einzige Angriff auf den Koalitionspartner. Hinzu kam die Festlegung, definitiv keinen Spurwechsel für Migranten vom Asylverfahren in den Arbeitsmarkt zuzulassen, wie es die SPD will. Zudem warnte die CSU die SPD davor, Absprachen zu Ankerzentren im Koalitionsvertrag sowie zur Einstufung von mehr Staaten als sichere Herkunftsländer zu ignorieren.
Merkel zwängt sich zwar durch eine Absperrung in den Tagungssaal und sagt amüsiert etwas von „Hintertür“. Hier gibt es nämlich keine. Auf Seehofer hatte sie aber schon am Morgen im RTL-Interview reagiert. Probleme bei der Migration? Ja, sagt sie – und Erfolge.