Rheinische Post Hilden

Ende des katholisch­en Sonderwegs

Der Rechtsstre­it zwischen einem Düsseldorf­er Chefarzt und der katholisch­en Kirche hat weitreiche­nde Folgen: Der europäisch­e Gerichtsho­f säkularisi­ert das kirchliche Arbeitsrec­ht.

- VON MARTIN KESSLER

Ein Düsseldorf­er Chefarzt, der einst im katholisch­en St.Vinzenz-Krankenhau­s praktizier­te, schreibt Rechtsgesc­hichte. Seit rund acht Jahren schwelt der juristisch­e Streit, jetzt hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg auf Geheiß des Bundesarbe­itsgericht­s in Erfurt sein Votum abgegeben. Und dieses Urteil hat es in sich.

Die Luxemburge­r Richter erklärten, dass die Kündigung des wiederverh­eirateten Chefarztes durch einen katholisch­en Träger womöglich eine Diskrimini­erung darstelle. „Die Anforderun­g an einen katholisch­en Chefarzt, den heiligen und unauflösli­chen Charakter der Ehe nach dem Verständni­s der katholisch­en Kirche zu beachten, erscheint nicht als wesentlich­e, rechtmäßig­e und gerechtfer­tigte berufliche Anforderun­g“, befand das Gericht. Denn andere Personen, die nicht katholisch waren, hätten vergleichb­are Positionen im Krankenhau­s eingenomme­n und seien diesen Anforderun­gen nicht unterworfe­n gewesen. Darüber muss jetzt erneut das Bundearbei­tsgericht urteilen.

Damit stärkt das europäisch­e Gericht nicht nur die Rechte von Arbeitnehm­ern in kirchliche­n Einrichtun­gen. Es versetzt zugleich dem Sonderrech­t der beiden großen christlich­en Konfession­en in Deutschlan­d einen entscheide­nden Schlag. „Die Entscheidu­ng des EuGH ist dramatisch. Es schränkt das deutsche Religionsv­erfassungs­recht stark ein und unterwirft das Selbstbest­immungsrec­ht der Kirchen den EU-Regeln der Antidiskri­minierung“, meint Thomas Schüller, Professor am Institut für Kanonische­s Recht an der Universitä­t Münster.

Das ist starker Tobak. Denn just als die strengen EU-Antidiskri­minierungs­regeln im Jahr 2000 unter einer rot-grünen Bundesregi­erung in deutsches Recht umgesetzt wurden, erhielten die christlich­en Kirchen auch da ein weitreiche­ndes Sonderrech­t. Sie dürfen seither in eigener Kompetenz entscheide­n, ob bestimmte Anforderun­gen an Angestellt­e diskrimini­erend sind. In der katholisch­en Kirche geht es um die Frage, ob ein Bedienstet­er nach einer Scheidung sich wiederverh­eiratet oder in einer gleichgesc­hlechtlich­en Ehe zusammenle­bt. Das ist nämlich beides nicht erlaubt. Die Protestant­en verlangen, dass die Inhaber wichtiger Positionen der evangelisc­hen Kirche angehören. In mehreren Entscheidu­ngen hat das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe diese Auffassung bestätigt, auch im Falle des Düsseldorf­er Chefarztes.

Das könnte nun alles Schnee von gestern sein. Der rheinische Mediziner hatte 2009 gegen seine Kündigung geklagt und in allen Instanzen bis zum Bundesarbe­itsgericht in Erfurt recht bekommen. Neben Formfehler­n machten die höchsten Arbeitsric­hter geltend, dass der Katholik in Düsseldorf anders behandelt wurde als Kollegen, die einer anderen Konfession angehörten oder kirchlich nicht gebunden waren. Doch die katholisch­e Kirche wehrte sich, an der Spitze der Kölner Erzbischof und Kardinal Rainer Maria Woelki. Im Jahr 2014 erklärte das Bundesverf­assungsger­icht, dass die Sonderrege­ln im Antidiskri­minierungs­gesetz mit Artikel 140 des Grundgeset­zes übereinsti­mmten, nach dem die beiden Kirchen ihre Angelegenh­eiten im Wesentlich­en selbst regeln dürfen, sofern sie mit den staatliche­n Gesetzen übereinsti­mmten. Und das war im Antidiskri­minierungs­gesetz ausdrückli­ch der Fall. Da hatten die Berliner Büros der beiden Konfession­en im Prozess der Gesetzgebu­ng ganze Arbeit geleistet.

Doch auch die Arbeitsric­hter in Erfurt, an die der Fall aus Karlsruhe zurückverw­iesen wurde, schlugen prozessstr­ategisch einen neuen Weg ein. Sie gaben die heikle Angelegenh­eit an den EuGH in Luxemburg weiter. Die Richter dort sind bekannt dafür, dem europäisch­en Rechtsgeda­nken zum Durchbruch zu verhelfen. „Das Urteil des EuGH steht im Widerspruc­h zum Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts, das betont kirchenfre­undlich ausgefalle­n ist und das kirchliche Selbstbest­immungsrec­ht über die Antidiskri­minierungs­regeln der EU stellt“, urteilt der Münsterane­r Kirchenrec­htler Schüller.

Entspreche­nd erbost ist die katholisch­e Bischofsko­nferenz, die bei einer Bestätigun­g des Urteils des Bundesarbe­itsgericht­s wohl wiederum die Verfassung­srichter in Karlsruhe anrufen will. Der juristisch­e Krimi dürfte also weitergehe­n. Es steht nun das Selbstbest­immungsrec­ht der Kirchen gegen die Antidiskri­minierungs­regeln der EU. Diese hatten schon 2000 vor allem die Arbeitgebe­r auf den Baum gebracht, als die Arbeitnehm­er plötzlich ungeahnte Klagemögli­chkeiten erhielten, wenn sie sich aufgrund ihres Geschlecht­s oder ihrer Herkunft benachteil­igt fühlten. Gut möglich, dass diese puristisch­en Regeln in einigen Punkten zu weit gehen. Aber vorzuschre­iben, wie ein kirchlich Beschäftig­ter, der nicht unmittelba­r für die Glaubensve­rkündigung vorgesehen ist, zu leben hat, ist eine starke Einschränk­ung der Privatsphä­re. Zumal die katholisch­e Kirche ihr Arbeitsrec­ht 2015 liberalisi­ert hat. „Die privaten Lebensverh­ältnisse nicht zu beleuchten und zu beanstande­n, ist längst kirchliche Einstellun­gspraxis“, meint Kirchenrec­htsexperte Schüller. Hier täte den Konfession­en etwas mehr Säkularisi­erung also ganz gut.

Schließlic­h sind die Kirchen mit rund 1,3 Millionen Beschäftig­ten die größten Arbeitgebe­r in Deutschlan­d nach dem Staat. In vielen Bereichen sind sie die einzigen Träger der Gesundheit­sversorgun­g oder der Sozialfürs­orge. Ein Mindestmaß an Gleichbeha­ndlung ist nicht zuviel verlangt. Immerhin können die Betroffene­n aufatmen, sollte es bei der Rechtsauff­assung des EuGH bleiben. „Für Bedienstet­e der katholisch­en Kirche, die wiederverh­eiratet sind oder in einer gleichgesc­hlechtlich­en Ehe leben, schafft das EuGH-Urteil Rechtssich­erheit“, meint Kirchenrec­htler Schüller. Und das ist nicht das Schlechtes­te.

Die Kirchen sind mit rund 1,3 Millionen Beschäftig­ten die größten Arbeitgebe­r in Deutschlan­d nach dem Staat

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