Ende des katholischen Sonderwegs
Der Rechtsstreit zwischen einem Düsseldorfer Chefarzt und der katholischen Kirche hat weitreichende Folgen: Der europäische Gerichtshof säkularisiert das kirchliche Arbeitsrecht.
Ein Düsseldorfer Chefarzt, der einst im katholischen St.Vinzenz-Krankenhaus praktizierte, schreibt Rechtsgeschichte. Seit rund acht Jahren schwelt der juristische Streit, jetzt hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg auf Geheiß des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt sein Votum abgegeben. Und dieses Urteil hat es in sich.
Die Luxemburger Richter erklärten, dass die Kündigung des wiederverheirateten Chefarztes durch einen katholischen Träger womöglich eine Diskriminierung darstelle. „Die Anforderung an einen katholischen Chefarzt, den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe nach dem Verständnis der katholischen Kirche zu beachten, erscheint nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“, befand das Gericht. Denn andere Personen, die nicht katholisch waren, hätten vergleichbare Positionen im Krankenhaus eingenommen und seien diesen Anforderungen nicht unterworfen gewesen. Darüber muss jetzt erneut das Bundearbeitsgericht urteilen.
Damit stärkt das europäische Gericht nicht nur die Rechte von Arbeitnehmern in kirchlichen Einrichtungen. Es versetzt zugleich dem Sonderrecht der beiden großen christlichen Konfessionen in Deutschland einen entscheidenden Schlag. „Die Entscheidung des EuGH ist dramatisch. Es schränkt das deutsche Religionsverfassungsrecht stark ein und unterwirft das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen den EU-Regeln der Antidiskriminierung“, meint Thomas Schüller, Professor am Institut für Kanonisches Recht an der Universität Münster.
Das ist starker Tobak. Denn just als die strengen EU-Antidiskriminierungsregeln im Jahr 2000 unter einer rot-grünen Bundesregierung in deutsches Recht umgesetzt wurden, erhielten die christlichen Kirchen auch da ein weitreichendes Sonderrecht. Sie dürfen seither in eigener Kompetenz entscheiden, ob bestimmte Anforderungen an Angestellte diskriminierend sind. In der katholischen Kirche geht es um die Frage, ob ein Bediensteter nach einer Scheidung sich wiederverheiratet oder in einer gleichgeschlechtlichen Ehe zusammenlebt. Das ist nämlich beides nicht erlaubt. Die Protestanten verlangen, dass die Inhaber wichtiger Positionen der evangelischen Kirche angehören. In mehreren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe diese Auffassung bestätigt, auch im Falle des Düsseldorfer Chefarztes.
Das könnte nun alles Schnee von gestern sein. Der rheinische Mediziner hatte 2009 gegen seine Kündigung geklagt und in allen Instanzen bis zum Bundesarbeitsgericht in Erfurt recht bekommen. Neben Formfehlern machten die höchsten Arbeitsrichter geltend, dass der Katholik in Düsseldorf anders behandelt wurde als Kollegen, die einer anderen Konfession angehörten oder kirchlich nicht gebunden waren. Doch die katholische Kirche wehrte sich, an der Spitze der Kölner Erzbischof und Kardinal Rainer Maria Woelki. Im Jahr 2014 erklärte das Bundesverfassungsgericht, dass die Sonderregeln im Antidiskriminierungsgesetz mit Artikel 140 des Grundgesetzes übereinstimmten, nach dem die beiden Kirchen ihre Angelegenheiten im Wesentlichen selbst regeln dürfen, sofern sie mit den staatlichen Gesetzen übereinstimmten. Und das war im Antidiskriminierungsgesetz ausdrücklich der Fall. Da hatten die Berliner Büros der beiden Konfessionen im Prozess der Gesetzgebung ganze Arbeit geleistet.
Doch auch die Arbeitsrichter in Erfurt, an die der Fall aus Karlsruhe zurückverwiesen wurde, schlugen prozessstrategisch einen neuen Weg ein. Sie gaben die heikle Angelegenheit an den EuGH in Luxemburg weiter. Die Richter dort sind bekannt dafür, dem europäischen Rechtsgedanken zum Durchbruch zu verhelfen. „Das Urteil des EuGH steht im Widerspruch zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das betont kirchenfreundlich ausgefallen ist und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht über die Antidiskriminierungsregeln der EU stellt“, urteilt der Münsteraner Kirchenrechtler Schüller.
Entsprechend erbost ist die katholische Bischofskonferenz, die bei einer Bestätigung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts wohl wiederum die Verfassungsrichter in Karlsruhe anrufen will. Der juristische Krimi dürfte also weitergehen. Es steht nun das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gegen die Antidiskriminierungsregeln der EU. Diese hatten schon 2000 vor allem die Arbeitgeber auf den Baum gebracht, als die Arbeitnehmer plötzlich ungeahnte Klagemöglichkeiten erhielten, wenn sie sich aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft benachteiligt fühlten. Gut möglich, dass diese puristischen Regeln in einigen Punkten zu weit gehen. Aber vorzuschreiben, wie ein kirchlich Beschäftigter, der nicht unmittelbar für die Glaubensverkündigung vorgesehen ist, zu leben hat, ist eine starke Einschränkung der Privatsphäre. Zumal die katholische Kirche ihr Arbeitsrecht 2015 liberalisiert hat. „Die privaten Lebensverhältnisse nicht zu beleuchten und zu beanstanden, ist längst kirchliche Einstellungspraxis“, meint Kirchenrechtsexperte Schüller. Hier täte den Konfessionen etwas mehr Säkularisierung also ganz gut.
Schließlich sind die Kirchen mit rund 1,3 Millionen Beschäftigten die größten Arbeitgeber in Deutschland nach dem Staat. In vielen Bereichen sind sie die einzigen Träger der Gesundheitsversorgung oder der Sozialfürsorge. Ein Mindestmaß an Gleichbehandlung ist nicht zuviel verlangt. Immerhin können die Betroffenen aufatmen, sollte es bei der Rechtsauffassung des EuGH bleiben. „Für Bedienstete der katholischen Kirche, die wiederverheiratet sind oder in einer gleichgeschlechtlichen Ehe leben, schafft das EuGH-Urteil Rechtssicherheit“, meint Kirchenrechtler Schüller. Und das ist nicht das Schlechteste.
Die Kirchen sind mit rund 1,3 Millionen Beschäftigten die größten Arbeitgeber in Deutschland nach dem Staat