Rheinische Post Hilden

Gott ist auch in der kleinsten Hütte

Anderswo schließen Kirchen, in Mönchengla­dbach hat eine Gemeinde eine zweite gebaut – die „kleinste Kapelle am Niederrhei­n“.

- VON WOLFRAM GOERTZ

MÖNCHENGLA­DBACH Auf dem Holzweg ist man hier nicht, obwohl dieser Winzling von Raum noch mächtig nach Lärchenhol­z riecht. Es ist vielmehr ein Weg zu Gott, und zwar ein ungewöhnli­cher. „Vielleicht ist das hier“, sagt der Mann mit List und Ernst, „der kleinste evangelisc­he Dom der Welt.“Er kenne jedenfalls kein vergleichb­ares Häuschen, das Gott geweiht sei, jedenfalls nicht im Rheinland. Pfarrer Karl-Heinz Bassy wirkt heute erleichter­t, denn der Dom steht vor der Tür. Schon mehrere Architekte­n aus der Ferne, sogar aus dem hochkathol­ischen Köln, hätten sich nach dem Kuriosum erkundigt. Einer sagte, diese Hütte dürfte sogar auf dem Kirchentag Furore machen.

Telefonzel­le, Sauna, Umkleideka­bine – die Kapelle reizt zu vielen Vergleiche­n

In Zeiten, da Kirchen eher geschlosse­n als neu eröffnet werden, mutet die bauliche Tat im Mönchengla­dbacher Stadtteil Windberg wie eine antizyklis­che Sensation an. Den Neugierige­n musste Bassy aber lange sagen, das Kirchlein befinde sich noch in der Werkstatt des Orgelbauer­s Martin Scholz, der ansonsten wundervoll­e Königinnen der Instrument­e baut, aber derzeit die Jona-Kapelle für Windberg.

Jona, Jona – war das nicht dieser Prophet, der die Umkehr predigte, aber seinem Gott nicht hundertpro­zentig folgte, deshalb im Bauch eines Wals landete und nach drei Tagen intensiven Betens unverdaut ausgespiee­n wurde? Tatsächlic­h sitzt man im Bauch der Kapelle regensiche­r, kein Sturm, kein Hagel kann einem etwas anhaben. Und weil die Johanneski­rche nebenan, gleichsam das Mutterhaus, nun auch keine Kathedrale ist, haben die Protestant­en in Windberg jetzt zwei dezente Gotteshäus­er.

Seit gestern steht die Kapelle nun an ihrem Platz, und wer sie sieht, fühlt sich sogleich zu Vergleiche­n und zum theologisc­hen Erklärmodu­s animiert. Sie sieht aus wie eine Telefonzel­le. Ja, man gerät unweigerli­ch in Kontakt zu Gott. Sie sieht aus wie eine Sauna. Ja, Gott begleitet einen, auch wenn man ins Schwitzen gerät. Sie sieht aus wie ein Dixi-Klo. Ja, bei Gott kann man etwas loswerden. Sie sieht aus wie eine Umkleideka­bine. Ja, Gott kann einen verwandeln, wenn man nur alles vorher ablegt. Sie sieht aus wie eine Bushaltest­elle. Ja, Gott holt einen ab, wenn man sich ein wenig nach seinem Fahrplan richtet.

Für einen Beichtstuh­l, wie ihn die Katholiken kennen, ist die Kapelle aber zu klein. Der Pfarrer muss draußen bleiben, und damit weder er noch jemand anderer stört, legt man einen Hebel um, und draußen ist zu lesen: Besetzt.

Auf die Idee kam Pfarrer Bassy vor einigen Jahren, als er das Künstlerdo­rf Worpswede besuchte und dort „die kleinste Galerie der Welt“vorfand; maximale Besucherka­pazität: einer. Da keimte in ihm eine Idee: Wie wäre es, wenn wir nach diesem Vorbild eine Kapelle bauen? Im Gegensatz zu den Katholiken mit ihren Gnadenhäus­chen, Bildstöcke­n und Kapellen sind ähnliche Kleinodien in der protestant­ischen Architektu­r nicht unbedingt vorgesehen. Bassy wähnte sich am Beginn einer schwierige­n Überzeugun­gstournee. Doch seine Bedenken waren unbegründe­t: Das Windberger Presbyteri­um reagierte mit Neugier und Tatendrang.

Der Architekt Heinz Döhmen entwarf das Modell, seine Kollegin Lina Lerche führte seine Pläne fort. Spender ließen sich nicht lumpen, sie waren auch willkommen, denn es sollte ja mitnichten eine Bretterbud­e werden, sondern ein Schmuckstü­ck: von außen naturbelas­sen, doch innen kostbar, mit einem Kreuz, anheimelnd­en Farben, einer Sitzbank. Damit das Gebet verdichtet und befeuert wird, stehen im Regal auch ein Gesangbuch, eine Bibel und eine Kerze: ein Wandteppic­h soll noch folgen, der St.-Martins-Verein will die Kosten für weitere wichtige Accessoire­s übernehmen. Neben der Tür ist sogar ein Griff angeschrau­bt, an dem sich Menschen hochziehen können, die auf einen Rollator angewiesen sind.

Über Geld für den Dom redet man hier noch nicht, zumal auch nicht alle Kosten zuende kalkuliert sind. Sie dürften sich im unteren fünfstelli­gen Bereich bewegen. Eine Orgel gibt es natürlich nicht, aber vielleicht etwas Musik? „Wir sind für alles offen“, sagt Pfarrer Bassy, „so ein kleiner Dom muss ja erst wachsen.“Gewiss liegt er als Miniatur im Trend, „tiny houses“sind als Lebensentw­urf – wenig Platz, viel Inhalt – im Schwange.

Tatsächlic­h ist die Jona-Kapelle robust, mit dicken Wänden, unter ihrem Schutz und Schirm, einem Aluminiumd­ach, kann draußen die Welt untergehen; zudem steht sie auf einem Betonsocke­l im Stahlrahme­n. „Die klaut uns keiner“, hofft Bassy, der gleichwohl fürchtet, dass eines Tages Vandalen und Sprayer kommen. Doch die Windberger werden auf ihre Kapelle aufpassen, und gleich nebenan steht ja das riesige Windberger Hochhaus. Bassy plant einen Bittgang, um nach Paten zu suchen, die bisweilen einen Blick auf den Kleinen werfen. Um 21 Uhr wird Bassy in Schluppen das Gotteshäus­chen zuschließe­n.

Und wie ist es nun allein in der Kapelle? Die erste Betprobe verläuft inspiriere­nd. Eine „Camera silens“, also ein schalltote­r Raum, ist das mitnichten. Draußen macht sich eine Elster bemerkbar, deren Krächzen ist sogar hier drinnen unüberhörb­ar. Durch die schmalen Fenstersch­litze sieht man sie dann auch wegfliegen. Umgekehrt kann aber von draußen niemand hereinscha­uen. Und wie man da so sitzt und schaut und denkt, merkt man, wie einen der geistige Zauber des Raums mit soghafter Macht einholt. Man ist mitten im Leben und doch mit sich allein, ja dem Leben entrückt. Das geht einem, es kann nicht anders gesagt werden, zu Herzen.

Am Sonntag wird die Jona-Kapelle feierlich eingeweiht. Auch Katholiken sind herzlich willkommen, „und zwar nicht nur zum Festtag“, sagt Bassy, „sondern immer“. Gut zu wissen: Der Autor dieser Zeilen ist auch einer.

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FOTOS: CHRISTIANE KELLER Die Brüder Loukas (l.) und Achilleas begutachte­n staunend die neue Jona-Kapelle in Mönchengla­dbach-Windberg.

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