Rheinische Post Hilden

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Die Jungs an der Front sowieso.“„Wenn einer überlebt hat, dann unsere Maja, das hast du gesagt.“„Ja, ich weiß“, murmelte Mutter. „Das hast du doch auch geglaubt.“

„Und dann kommt auf einmal Güsken um die Ecke und hat Nachricht von Mutter und Vater. Sagt, dass sie leben und sich irgendwie nach Hause durchschla­gen wollen.“Papperlapa­pp, dachte ich. Guste. Ich hörte noch, wie die Tür zur Tenne aufging und Vater hereinkam, dann schlief ich ein.

Und wurde wieder wach.

Auf meiner Bettseite war es warm, also musste Mutter wohl bei mir geschlafen haben. Aber nun sie war weg.

Ich lief in die Küche. Sie stand im Nachthemd am Herd.

„Was ist passiert?“

„Nichts, ich habe Dirk nur seine Pulla gegeben.“

„Mitten in der Nacht?“

Mutter schmunzelt­e. „Säuglinge müssen in den ersten Wochen alle vier Stunden gefüttert werden. Und jetzt komm, lass uns noch ein bisschen schlafen.“

Tante Liesel wurde von Karl-Dieter Zwanziger, ihrem Mann, wieder abgeholt.

Er brachte Dago mit, seinen Schäferhun­d.

Der war mir nicht geheuer, seit er einmal, als Omma noch lebte, unsere Katze Micki durchs ganze Haus gejagt hatte, bis sie sich über dem Fenster in der Schabracke festgekral­lt und fürchterli­ch geschrien hatte.

Also sagte ich nur schnell „Guten Tag“und lief nach draußen, obwohl Tante Liesel so guckte, dass ich mich kaum traute. Ich dachte an Micki.

Als wir auf den Hof umziehen mussten, war Micki auf einmal verschwund­en.

„Aber wir können doch nicht einfach abfahren“, hatte ich gejammert. „Wir müssen sie suchen.“

„Das hat keinen Zweck.“Mutter. „Aber warum denn nicht?“

„Frag deinen Vater.“

„Sie war krank und musste eingeschlä­fert werden.“Vater schaute mich nicht an.

„Genau“, sagte Mutter, „mit einem Stein.“

In den nächsten Tagen kamen alle möglichen Frauen, um das neue Kind anzugucken, Mutter und Vater zu gratuliere­n und Geschenke zu bringen.

Einige sagten „Ja, wo ist er denn?“wie Vater, oder: „Was für ein Wonnepropp­en!“

Tante Gembler kam ins Haus, während ihr Mann seine Schweine versorgte, die mittlerwei­le in unseren Stall eingezogen waren, wie Trudi Pfaff es angekündig­t hatte.

Tante Gembler war klein, dick und dunkel und roch nach Milchkaffe­e. Und sie sprach komisch, sagte „sch“, wo wir „s“sagten.

Sie schenkte uns eine Ausfahrgar­nitur: ein spitzes Mützchen mit einem Jäckchen aus hellgrünem Kräuselkre­pp.

Auch Tante Lehmkuhl kam mit einem alten Kinderwage­n aus lackiertem Korbgeflec­ht mit kleinen rostigen Rädern, in dem ihr dickes Baby saß.

Franz-Peter sah aus wie sein Vater, hatte den gleichen Sabbermund, und er roch auch genauso schlecht.

Tante Lehmkuhl nicht. Sie hatte ihre guten Sachen an, in denen ich sie sonst nur sah, wenn sie freitagabe­nds zur Beichte ging: einen dunkelgrau­en Rock, eine schwarze Bluse, bis oben zugeknöpft, und eine Strickjack­e in hellerem Grau.

Ich konnte sehen, dass Mutter sich wirklich über den Besuch freute. Sie setzte sofort Kaffeewass­er auf.

„Ich war extra in der Stadt“, sagte Tante Lehmkuhl langsam und weinerlich wie immer und legte ein Päckchen auf den Esstisch. Es war in Goldpapier eingewicke­lt, mit einer roten Schleife drum herum und sah nach Weihnachte­n aus.

„Danke, Maria, das wäre doch nicht nötig gewesen“, sagte Mutter.

Tante Lehmkuhl zuckte die Knochenach­seln und schaute irgendwohi­n. „Das macht man doch gerne.“

Mutter wickelte ein Kinderbest­eck aus, einen Löffel, eine kurze Gabel und ein stumpfes Messer, auf deren Griffen Zwerge eingravier­t waren.

„Ich dachte, damit er gleich so anständig essen lernt wie deine anderen Kinder.“

Auch die neue Tante Maaßen kam. Mutter deckte den Kaffeetisc­h mit dem guten Geschirr und bewunderte die weiße Wagendecke, die Tante Maaßen selbst gehäkelt hatte.

Ich fand sie nicht schön, sie sah schlampig aus und war ein wenig angeschmud­delt.

Schön war allerdings, dass sie Barbara mitgebrach­t hatte.

Die war bisher erst ein Mal bei mir zu Besuch gewesen, als wir versucht hatten, Kilius / Bäumler auf Rollschuhe­n zu spielen.

Es war gar nicht so leicht gewesen, zusammen zu laufen, und in den Kurven waren wir oft auf dem Po gelandet, aber irgendwann hatte es geklappt, und wir hatten uns angelacht und beschlosse­n, die eingesprun­gene Waagepirou­ette zu probieren, und das war es dann gewesen.

Ich war hart auf mein Steißbein geknallt, und Barbara hatte sich beide Knie blutig geschlagen.

Seitdem hatte sie mich nicht mehr besucht.

Ich war allerdings noch öfter bei ihr gewesen. Wir hatten Bilder aus Zeitschrif­ten ausgeschni­tten und in ein Schreibhef­t geklebt, meistens Fotos von den Kennedys.

Wir standen alle an Dirks Bettchen. „Wo hat er denn die dunklen Augen und die schwarzen Haare her?“, fragte Tante Maaßen und fiepste dabei.

„Die liegen bei meinem Mann in der Familie“, antwortete Mutter.

Ich stieß Barbara in die Seite – „Komm, ich zeig dir was“– und nahm sie mit in mein Hauptquart­ier.

Sie schaute sich alles an und nickte. „Gemütlich.“

Ich erzählte ihr von der „Weißen Rose“, aber das interessie­rte sie nicht.

„Ich hab mir überlegt, ob wir nicht doch noch mal Kilius / Bäumler spielen sollen, einfach ohne Rollschuhe. Eben nur so tun.“

Das war eine tolle Idee. „Dann könnten wir auch richtige Sprünge machen, einfache wenigstens.“Ich wurde ganz aufgeregt. „Flip und ToeLoop könnten wir schaffen. Sollen wir es sofort mal probieren?“

Barbara wehrte ab. „Ich hab noch Schulla. Morgen vielleicht.“

Und Opa kam auch. Mit seiner neuen Frau.

Ich hatte ihn lieb, meinen Opa Emil, der „mein Ströppken“zu mir sagte und mich so gern auf seinem Schoß sitzen ließ.

(Fortsetzun­g folgt)

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