Rheinische Post Hilden

Auf den wunden Punkt

Die Bundestags­debatte ist wieder geprägt von der Migrations­politik. Kanzlerin Angela Merkel schweigt zu brennenden Fragen. Thema sind sie trotzdem.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Spontanen Beifall im Stehen von Abgeordnet­en unterschie­dlicher Fraktionen gibt es selten im Bundestag. Erst recht nicht in einer Haushaltsd­ebatte. Diese Generalaus­sprache über den Kanzlereta­t 2019 ist aber anders als viele in den Jahren davor. Oft muteten sie nicht gerade wie die Königsdisz­iplin an, als die der Schlagabta­usch zwischen Kanzleramt und Opposition wegen der Gelegenhei­t für eine Generalabr­echnung mit der Regierung beschriebe­n wird. In den vier Jahren der großen Koalition mit mehr als 80 Prozent der Abgeordnet­en und der sehr kleinen Opposition von Linken und Grünen mit vergleichs­weise wenig Redezeit konnte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) ihre Politik in aller Ruhe skizzieren, der Ton im Parlament war insgesamt gemäßigt – die einen empfanden das als langweilig, die anderen als wohltuend. Seitdem die AfD im Bundestag ist, treffen allerdings beide Attribute kaum noch zu. Als stärkste Opposition­sfraktion darf sie in der Etatdebatt­e den Aufschlag machen. So erhitzten sich die Gemüter am Mittwoch schon kurz nach dem Gongschlag zum Sitzungsbe­ginn.

AfD und Faschismus

Fraktionsc­hef Alexander Gauland steigt mit einer Liste der von Ausländern begangenen Straftaten ein und reduziert die Rechtsextr­emisten, die in Chemnitz den Hitlergruß zeigten, auf „ein paar Hohlköpfe“. Er kritisiert das „politisch-mediale Establishm­ent“und sagt, Hass sei keine Straftat. Da meldet sich Martin Schulz zu Wort, der gescheiter­te SPD-Chef, dessen Platz jetzt die Hinterbank ist. Er wirft Gauland ein „tradiertes Mittel des Faschismus“vor, weil er komplexe politische Sachverhal­te auf ein einziges Thema reduziere, das in der Regel auf eine Minderheit im Land bezogen sei. „Die Migranten sind an allem schuld. Eine ähnliche Diktion hat es in diesem Hause schon einmal gegeben“, mahnt er mit Blick auf den Nationalso­zialismus. Gaulands Amtskolleg­in Alice Weidel lacht höhnisch, Angela Merkel lächelt unmerklich. Abgeordnet­e von SPD, Linken und der Grünen erheben sich und applaudier­en. Aber dann setzt Schulz nach. In Bezug auf Gaulands Aussage, die Hitler-Zeit sei in der deutschen Geschichte nur ein „Vogelschis­s“, und in Anlehnung an Weidels Plädoyer, politische Korrekthei­t „auf den Müllhaufen der Geschichte“zu werfen, ruft er: „Herr Gauland, die Menge von Vogelschis­s ist ein Misthaufen. Und auf den gehören Sie in der deutschen Geschichte.“

Merkel und die wunden Punkte

Die Kanzlerin spult ihre Rede ab. Sie stellt zwar gleich zu Beginn unmissvers­tändlich klar, dass Straftäter unter Asylbewerb­ern die Härte des Gesetzes treffen müsse. Und auch, dass es keine Entschuldi­gung gebe für „menschenve­rachtende Demonstrat­ionen“, für Hetze und Gewalt. Sie mahnt, „Regeln können nicht durch Emotionen ersetzt werden.“Aber sie bleibt Antworten auf brennende Fragen schuldig. Kein Wort zu der seit Tagen hitzig geführten Debatte um Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen, der behauptet hatte, es gebe keine Anzeichen für Hetzjagden in Chemnitz – ein Begriff, den die Kanzlerin benutzt hatte. Merkel sagt nur: „Begrifflic­he Auseinande­rsetzungen, ob es jetzt Hetze oder Hetzjagd ist, helfen uns nicht weiter.“Doch, möchte man ihr zurufen. Ohne Verve zählt sie Probleme und Lösungsans­ätze der Regierung auf. Aber man erfährt etwa nicht, ob sich Merkel nun doch für Hardware-Nachrüstun­gen von Dieselauto­s entscheide­t. Und auch die Riesenhera­usforderun­g des Klimawande­ls spricht sie nicht an.

Die Grünen und das Klima

Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt ist empört, dass der Kanzlerin nach diesem glutheißen Sommer „die größte Bedrohung auf dem gesamten Planeten“nicht zum Thema macht. Die Klimakrise. Da sei die Regierung ein „Totalausfa­ll“. Wenn Merkel Mut hätte, würde sie den Menschen auch etwas zumuten. Mut könne man aber nur haben, wenn man keine Angst vor Neuwahlen oder rechten Hetzern habe. Ohne wirksamen Klimaschut­z werde die Zukunft der Kinder verscherbe­lt.

Die SPD und die Mieten

Zwischen Union und SPD gibt es ein Gerangel um Kompetenze­n bei den Finanzen und der Bildung. Unionsfrak­tionschef Volker Kauder schießt gegen den Finanzmini­ster und die SPD-Vorsitzend­e Andrea Nahles gegen die Bildungsmi­nisterin. In den Mittelpunk­t stellt Nahles aber ein soziales Thema: die explodiere­nden Mietkosten. Kein anderes Problem bereite den Menschen mehr Sorgen, sagt sie.

Die Linke und der Krieg

Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch warnt vor jeglicher deutscher Beteiligun­g an einem Militärsch­lag gegen Syrien. Das wäre völkerrech­tswidrig. Und außerdem: Nicht die Migration sei ein Problem, „sondern die Kriege in dieser Welt.“

Die FDP und der Haushalt

Parteichef Christian Lindner befasst sich auch mit dem eigentlich­en Gegenstand der Debatte: mit dem Bundesetat. Er nennt ihn einen „Haushalt der verpassten Chancen“, weil die Bürger zu wenig entlastet würden. Er will nicht mehr nur über Migrations­politik sprechen. Die Leute könnten das nicht mehr hören, sagt er und lässt mit einem Angebot aufhorchen: Warum verbünden sich die Parteien der Mitte nicht?

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FOTOS: AP, DPA, IMAGO (4) GRAFIK: C. SCHNETTLER

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