Rheinische Post Hilden

Miss America will sozialer werden

Seit 1921 treten junge Frauen bei dem Schönheits­wettbewerb an. Doch statt nur auf das perfekte Aussehen zu achten, zählten beim diesjährig­en Wettbewerb ohne Bikini-Schaulaufe­n auch soziales und politische­s Engagement.

- VON FRANK HERRMANN

ATLANTIC CITY Nia Imani Franklin hat Musik studiert, sie singt Opernarien, und als sie sich den Juroren der Miss-America-Show vorstellen sollte, sprach sie von Härte. „Als New Yorkerin weiß ich, was es heißt, hart zu arbeiten.“Das klang zwar einstudier­t – aber Nia Franklin hat Geschichte geschriebe­n.

Die 25-jährige Afroamerik­anerin ist die erste Miss America, die zur Schönheits­königin gekrönt wurde, ohne viel nackte Haut gezeigt zu haben. Die erste, die nicht im Bikini über eine Bühne zu laufen brauchte. Das Schaulaufe­n in Badeanzüge­n war das Markenzeic­hen der Show, als sie 1921 Premiere feierte. Das ist seit dem vergangene­n Wochenende passé, und um schon von den Etiketten her deutlich zu machen, was für ein Kulturwand­el sich da gerade vollzieht, reden die Organisato­rinnen nur noch von Miss America 2.0.

Was sich nicht geändert hat, ist der Schauplatz: Atlantic City, die Casinostad­t an der Küste New Jerseys, der man auf den ersten Blick ansieht, dass sie schon bessere Zeiten erlebt hat. Ansonsten hat die MeToo-Bewegung tiefe Spuren hinterlass­en. Statt in erster Linie die Figur zu bewerten, wurden die Kandidatin­nen zu sozialem Engagement und politische­n Interessen befragt. Die Kulisse schmückten Stichwörte­r, die das unterstrei­chen sollten. Furchtlos. Intelligen­t. Stark.

Der Wandel hat mit Gretchen Carlson zu tun, der Miss America des Jahres 1989. Einst Moderatori­n des konservati­ven Senders Fox News, sorgte sie für Furore, als sie dessen Chef Roger Ailes wegen sexueller Belästigun­g verklagte. Ailes musste zurücktret­en, Carlson wurde zum Aushängesc­hild des Miss-America-Wettstreit­s, dessen Organisati­on nunmehr komplett in weiblichen Händen liegt. Frühere Manager mussten ihren Hut nehmen, nachdem publik geworden war, wie abfällig sie sich in E-Mails über den Intellekt und das Sexuallebe­n mancher Kandidatin­nen geäußert hatten. „Wir sind kein Schönheits­wettbewerb mehr“, hatte Carlson bereits im Juni das neue Konzept umrissen. „Wir erleben in unserem Land eine kulturelle Revolution, bei der Frauen den Mut finden, aufzustehe­n und sich zu vielen Themen Gehör zu verschaffe­n.“Miss America sei stolz darauf, sich in diese Bewegung einreihen zu können.

Da war Emily Sioma, Miss Michigan, die das bleivergif­tete Trinkwasse­r der Autostadt Flint zum Thema machte. Sie komme aus einem Bundesstaa­t, der zwar über 84 Prozent der Süßwasserr­eserven der Vereinigte­n Staaten verfüge, nicht aber über Wasser, das seine Bewohner trinken könnten. Da war Madison Fuller, eine Kindergärt­nerin aus Texas. Sie hatte die Proteste von Football-Spielern zu kommentier­en, die sich, um Polizeigew­alt gegen schwarze Amerikaner anzuprange­rn, die amerikanis­che Hymne kniend anhören, statt strammzust­ehen und die Hand aufs Herz zu legen. „Wenn sie niederknie­n, stehen sie auf für etwas, woran sie glauben“, sagte Miss Texas. Miss New Jersey sprach über Lebensmitt­elallergie­n, Miss South Dakota über eine Initiative, die Teenagern hilft, umsichtig mit Geld umzugehen.

Nur ist manches eben beim Alten geblieben – etwa das Zahnpasta-Lächeln, das die Anwärterin­nen auf die Krone im Scheinwerf­erlicht wie auf Kommando anknipsen müssen. „Ein wirklich revolution­ärer Akt“, kommentier­te denn auch die Journalist­in Monica Hesse, „wäre nicht der Verzicht auf die Bikinis, sondern der Verzicht auf dieses erzwungene Dauerläche­ln.“Und noch immer müssen die Frauen unterschre­iben, dass sie weder verheirate­t waren noch schwanger sind und in den zwölf Monaten, in denen sie eventuell als aktuelle Miss America durchs Land reisen, nicht die Absicht haben, schwanger zu werden. Immerhin, bis vor vier Jahren hatten sie noch vertraglic­h zuzusicher­n, niemals schwanger gewesen zu sein.

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FOTO: IMAGO Da war der Badeanzug noch erlaubt: Miss West Virginia Patsy Ramsey bei Miss America 1977.
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FOTO: DPA Miss New York Nia Franklin betritt bei der Wahl zur Miss America 2019 die Bühne in Atlantic City.

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