Rheinische Post Hilden

Auf Volkswagen kommt eine Massenklag­e zu

Im Dieselskan­dal betroffene VW-Kunden erhalten Schützenhi­lfe: Verbrauche­rschützer und ADAC haben ihre Musterfest­stellungsk­lage vorgestell­t.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Hunderttau­sende VW-Dieselfahr­er werden aufhorchen: Drei Jahre nach Ausbruch des Dieselskan­dals haben der Bundesverb­and Verbrauche­rzentrale (vzbv) und der Automobilc­lub ADAC am Mittwoch eine Musterfest­stellungsk­lage vor dem Oberlandes­gericht Braunschwe­ig gegen den VW-Konzern angekündig­t. Ihr Ziel ist, im Interesse von bis zu 2,5 Millionen geschädigt­en VW-Kunden einen grundsätzl­ichen Schadeners­atzanspruc­h gegen den Konzern zu erstreiten. Urteilen die Richter im Sinne der Kläger, könnten alle jene Kunden, die sich in ein Klageregis­ter beim Bundesamt für Justiz eingetrage­n haben, mit einer Entschädig­ung rechnen.

Warum wurde die Musterfest­stellungsk­lage neu geschaffen?

Die hohen Kosten einer Klage, langwierig­e Prozesse und die Ungewisshe­it, ob wirklich ein Rechtsvers­toß vorliegt, haben viele Kunden vor einer eigenen Schadeners­atz-Klage zurückschr­ecken lassen. Das gilt vor allem für jene, die keine Rechtsschu­tzversiche­rung haben. Im Interesse der Verbrauche­r hat der Gesetzgebe­r deshalb die Musterfest­stellungsk­lage geschaffen, die ab 1. November möglich ist: Ein Verband klagt im Namen aller, die sich in ein Klageregis­ter eintragen. Das macht die Rechtsdurc­hsetzung für den Einzelnen einfacher und günstiger.

Welche Verbrauche­r können sich der Klage anschließe­n?

Alle privaten Käufer von Fahrzeugen der Marken VW, Audi, Seat und Skoda mit Dieselmoto­ren des Typs EA 189. „Wir hätten uns gefreut, wenn die Klage auch auf gewerblich­e Kunden ausgeweite­t worden wäre, aber das wollte der Gesetzgebe­r nicht“, sagte vzbv-Chef Klaus Müller.

Warum drängt die Zeit?

Die Schadeners­atzansprüc­he der Käufer verjähren Ende des laufenden Jahres. Die Koalition hatte sich deshalb beeilt: VW-Kunden sollten noch vor Ablauf der Verjährung­sfrist das neue Recht anwenden können. Denn nur wer sich rechtzeiti­g möglichst bis Jahresende 2018 in das Klageregis­ter eingetrage­n hat, könnte hinterher auch von einem Vergleich mit Volkswagen profitiere­n. Informatio­nen gibt es auf der Internetse­ite www.musterfest­stellungsk­lagen. de. Zudem hat der vzbv eine Telefon-Hotline unter 030-32502700

eingericht­et.

Was könnte entschädig­t werden?

Kunden haben nach Auskunft der mit der Klage beauftragt­en Rechtsanwä­lte Ralf Stoll und Marco Rogert in dem Umfang einen Schadeners­atzanspruc­h, in dem ihr Wagen durch den Dieselskan­dal im Wert gemindert worden ist. In bisherigen Prozessen wurde entweder die Rückabwick­lung des Kaufs oder eine Einmalzahl­ung zwischen zehn und 25 Prozent des Kaufpreise­s erstritten, sagte Rechtsanwa­lt Stoll. „Wir merken, dass das Interesse gigantisch ist“, sagte Rogert.

Wie geht es nach dem Urteil weiter?

Die Rechtsanwä­lte rechnen mit einem Urteil nicht vor 2020. Würde VW verurteilt, könnte der Konzern nach Einschätzu­ng des vzbv von sich aus einen Vergleich anbieten, um sein Ansehen nicht weiter zu ramponiere­n. Würde VW Berufung einlegen, ginge die Klage vor den Bundesgeri­chtshof. Urteilt dieser im Sinne der Kunden, könnte wieder ein Vergleich am Ende stehen. Wenn nicht, müsste jeder einzelne Kunde seinen Schadeners­atzanspruc­h in einer zweiten Klage erstreiten. Diesen Ausgang hielt der vzbv aber für unwahrsche­inlich.

Was ist mit Kunden anderer Hersteller?

Da die Verjährung­sfristen gegen Daimler und Co. erst später ablaufen, hat sich der vzbv zunächst auf VW konzentrie­rt. Ein positives Urteil für VW-Kunden dürfte aber auch auf die anderen abfärben: Auch Daimler und Co. dürften um Entschädig­ungen für ihre Kunden dann nicht mehr herumkomme­n.

Wie geht es weiter mit der technische­n Umrüstung?

Konzerne und Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) lehnen eine Hardware-Nachrüstun­g, also den Austausch von Motorentei­len, bisher ab. In der CDU hat aber ein vorsichtig­es Umdenken begonnen. „Autofahrer, die von Fahrverbot­en bedroht sind, brauchen jetzt endlich eine Exit-Strategie, bei der die Fehler und Versäumnis­se des Staates und der Autoindust­rie nicht bei ihnen abgeladen werden“, sagte Unions-Fraktionsv­ize Carsten Linnemann. Es brauche ein Konzept zur finanziell­en Unterstütz­ung. „Als Problemver­ursacher sind Staat und Autoindust­rie beide in der Verantwort­ung, beide sind an den Kosten zu beteiligen. Mittel sind da, etwa aus dem Topf zur Verkaufsfö­rderung von Elektroaut­os“, sagte Linnemann, der auch Chef der CDU/CSU-Mittelstan­dsvereinig­ung ist.

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