Herr Shi Mingde sagt, was ist
Die Riesen China und USA wetteifern. Das muss die Zwerge beunruhigen.
Vor Kurzem las ich in dieser Zeitung ein bemerkenswertes Interview mit Shi Mingde, dem Botschafter Chinas in Deutschland. Mein erster Gedanke bei der Lektüre war: China, vor Selbstbewusstsein berstend, begreift sich nicht nur als „Reich der Mitte“, es ruht in Gestalt seiner Eliten auch sicht- und hörbar in sich. Pekings Abgesandter in Berlin verströmt jene fast geheimnisvolle innere Kraft, die man in Europa von Angehörigen alter Familien kennt oder die eben Eliten des Jahrtausende alten chinesischen Kulturvolkes eigen ist. Shi Mingdes Land tritt nun spürbar mit der vergleichsweise jungen, dynamischen Zivilisation Nordamerikas in einen Wettstreit um die Weltherrschaft auf militärischem sowie ökonomisch-technologischem Sektor ein. Der Wettstreit der beiden Riesen könnte irgendwann in diesem Jahrhundert mit den schlimmsten Waffen ausgetragen werden und alle Zwerge auslöschen. Der Traum vom ewigen Frieden ist bloß ein Traum.
Noch befinden sich China und die USA in einem Handelskrieg. Auch dazu passt der fabelhafte Spott des Journalisten Johannes Groß über Friedrich Schillers Idee, dass alle Menschen Brüder werden mögen. Dahinter, so Groß, verberge sich wohl der Traum eines Einzelkindes. Botschafter Shi Mingde ist kein Träumer. Seine Äußerungen strotzen vor politischem Realismus: Natürlich könne sich sein Land nicht vom US-Präsidenten erpressen lassen. Natürlich ergreife es Notwehrmaßnahmen. Und natürlich verwahre sich das 1,3-Milliarden-Volk lehrmeisterhaftes Auftreten anderer in China. Ach, denkt man, wann sagt einmal ein hoher Repräsentant der moralischen Weltmacht D Sätze, die jenen von Shi Mingde ähneln: „Wenn Sie nach China wollen, müssen Sie die chinesischen Gesetze respektieren. Man kann nicht die eigenen Maßstäbe dem anderen Land aufdrängen.“
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