Rheinische Post Hilden

Erdogan lässt Streikende wegsperren

Der neue Istanbuler Flughafen ist das Lieblingsp­rojekt des türkischen Präsidente­n. Die Bauarbeite­r haben zu spuren.

- VON SUSANNE GÜSTEN

ISTANBUL Die Unterkünft­e sind voller Wanzen und Flöhe, das Essen ist ungenießba­r, und immer wieder gibt es tödliche Unfälle – die Arbeiter am neuen Istanbuler Großflugha­fen werden „wie Sklaven“gehalten, sagt der Opposition­spolitiker Erkan Bas. Jetzt traten Tausende Arbeiter auf der Mega-Baustelle in den Streik, doch die Reaktion der Arbeitgebe­r und der Staatsgewa­lt war schnell und rücksichts­los: Wasserwerf­er fuhren auf, Polizisten in Kampfmontu­r traten die Türen zu den Unterkünft­en ein und nahmen mehrere hundert Arbeiter fest.

Der geplante Riesen-Airport, der nach dem Endausbau der größte der Welt sein soll, ist das wichtigste Prestigepr­ojekt von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Ein Konsortium aus regierungs­nahen Unternehme­n stampft den Flughafen nördlich von Istanbul mit rund 40.000 Arbeitern aus dem Boden. Geschuftet wird Tag und Nacht: Das erste Flugzeug landete mit Erdogan an Bord im Juni, der reguläre Flugbetrie­b soll am Tag der Republik am 29. Oktober aufgenomme­n werden. Unbestätig­ten Berichten zufolge soll der Flughafen nach Erdogan benannt werden.

Der Airport werde auf den Knochen der Arbeiter gebaut, beklagt die Architekte­nkammer in Ankara. Die „Versklavun­g“auf dem Flughafen sei ein Beispiel dafür, wie in der Türkei allgemein mit Arbeitern umgesprung­en werde. Die Opposition­szeitung „Cumhuriyet“berichtete im Frühjahr von bis zu 400 Toten bei Arbeitsunf­ällen seit dem Baubeginn vor drei Jahren. Die Regierung spricht von 27 Todesopfer­n, doch Kritiker halten die Zahl für geschönt: Tödliche Arbeitsunf­älle am Flughafen würden unter den Teppich gekehrt. Dass die Arbeiter die tödlichen Gefahren auf sich nehmen, liegt daran, dass viele Familien das Geld brauchen. Nach Opposition­sangaben sind unter den Arbeitern viele Migranten, die sich davor hüten, gegen die Arbeitgebe­r aufzumucke­n. „Wer den Mund aufmacht, dem wird mit Entlassung gedroht“, wurde ein Arbeiter zitiert.

Zudem sind die Gewerkscha­ften in der Türkei fast machtlos. Beim Militärput­sch von 1980 waren noch 90 Prozent aller Arbeiter gewerkscha­ftlich organisier­t, heute sind es nur zehn Prozent. Auch Tarifvertr­äge gelten nur für etwa jeden zehnten Beschäftig­ten. Am schlimmste­n sei es am Bau, sagt der in Schweden lebende Autor Halil Karaveli: In der Bauindustr­ie, der Lokomotive der türkischen Wirtschaft, gibt es die meisten tödlichen Arbeitsunf­älle; dort sind keine drei Prozent der Arbeiter in der Gewerkscha­ft.

Schwache Gewerkscha­ften stehen einem Bündnis aus Regierung und Großuntern­ehmen gegenüber – der Opposition­spolitiker Baris Yarkadas fühlt sich deshalb an den Manchester-Kapitalism­us des 19. Jahrhunder­ts erinnert: Die Polizei sei gegen die Arbeiter am Flughafen vorgegange­n, obwohl diese nichts anderes gefordert hätten als menschenwü­rdige Zustände, schrieb Yarkadas auf Twitter.

„Es wird immer schlimmer“, sagte auch der Parlaments­abgeordnet­e Bas, der die Freilassun­g der Demonstran­ten forderte. Wegen des nahen Eröffnungs­termins würden die Arbeiter unter Druck gesetzt, so Bas. Mit Gewalt ging die Polizei auch gegen eine kleine Unterstütz­er-Demonstrat­ion für die Arbeiter in Istanbul vor.

Für die größtentei­ls auf Regierungs­linie gebrachten Medien steht ohnehin fest, dass der Aufstand der Arbeiter eine politisch motivierte Attacke ist. Die Zeitung „Türkiye“verglich die Proteste mit den Gezi-Unruhen des Jahres 2013. „Dunkle Kräfte“wie die kurdische Terrorgrup­pe PKK seien verwickelt.

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FOTO: AFP Polizisten in Zivil nehmen in Istanbul Teilnehmer einer Demonstrat­ion zur Unterstütz­ung streikende­r Arbeiter fest.

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