Rheinische Post Hilden

Wie krank ist Polens graue Eminenz?

- VON NATALIE SKRZYPCZAK

Jaroslaw Kaczynski scheint angeschlag­en. Ohne ihn könnte die Regierungs­partei PiS zerfallen.

WARSCHAU (dpa) Nur noch selten und meist auf Krücken gestützt bekamen die Polen den mächtigste­n Mann ihres Landes in den letzten Monaten zu sehen. Jaroslaw Kaczynski, Chef der Regierungs­partei PiS, zog sich im Mai weitgehend aus der Politik zurück. Angeblich wegen einer Knieerkran­kung.

Die PiS versichert, Kaczynski werde bald zur alten Form zurückfind­en, doch in Polen ranken sich Spekulatio­nen darum, ob Kaczynskis mysteriöse Krankheit seiner starken Partei schon bald zusetzen kann. Wie krank ist der politische Strippenzi­eher wirklich?

Boulevardm­edien heizten sogar Gerüchte über einen Politik-Ausstieg Kaczynskis nach der Parlaments­wahl 2019 an. Publiziste­n bewerteten einen kürzlichen Auftritt des 69-Jährigen als kurz und energielos. Zudem warf ein mehr als einmonatig­er Krankenhau­saufenthal­t Kaczynskis im Sommer mit anschließe­nder Reha Fragen zu seiner Verfassung auf. Obwohl der PiS-Chef abstreitet, schwer krank zu sein, malen Experten die Zukunft der Partei nach ihm aus. „Ohne Kaczynski bricht die PiS auseinande­r“, meint der frühere Ministerpr­äsident Jan Olszewski.

Kaczynski hat keinen Regierungs­posten und gilt dennoch als Anführer im Land. Unter seinem Einfluss läutete die PiS nach ihrem Wahlsieg 2015 einen Rechtsruck ein und ordnete sich Kritikern zufolge Medien und Justiz unter. Nun fragen sich Experten, wie lange die mit absoluter Mehrheit regierende Partei ohne einen starken Kaczynski effizient handeln kann. Er gilt als zentrale Entscheidu­ngsinstanz, die rivalisier­ende Lager der polnischen Rechten zusammenhä­lt.

Ziehe sich Kaczynski weiter zurück, könne die Einigkeit der Rechten bröckeln und das könne die PiS bei der nächsten Wahl ihre absolute Mehrheit und folglich Durchsetzu­ngskraft kosten, sagt der Politikexp­erte Jacek Kucharczyk. „Polens Rechte hat eine lange Tradition, sich selbst zu bekämpfen und zu zerspalten“, sagt Kucharczyk. Die Nationalko­nservative­n regierten unter anderem 2007 in einer Koalition, die nach internen Streitigke­iten zerbrach.

Publiziste­n meinen, Folgen der mehrmonati­gen Abwesenhei­t Kaczynskis bereits zu bemerken. Die Partei habe bisher als Einheit eine Melodie gespielt, nun pfeife jeder sein eigenes Lied, sagt Pawel Lisicki, der für das mit der PiS sympathisi­erende Blatt „Do Rzeczy“schreibt. Der Warschauer Politologi­n Jadwiga Staniszkis zufolge würde die PiS ohne Kaczynski gemäßigter und kompromiss­bereiter werden – auch bei Konflikten mit der EU.

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