Rheinische Post Hilden

Rätsel für die Sinne

Die Langen Foundation, die Skulpturen­halle von Thomas Schütte und die Stiftung Insel Hombroich starten gemeinsam in die neue Ausstellun­gs-Saison.

- VON HELGA BITTNER

Unter den Mitarbeite­rn dieser Ausstellun­gen muss Wochen vor den Vernissage­n der Ausnahmezu­stand geherrscht haben. In der Langen Foundation sorgte vor allem die Statik für einige der 46 Arbeiten der Ausstellun­g „How to See [WhatIsn`tThere]“fürKopfsch­merzen. In der Skulpturen­halle von Thomas Schütte mussten die Bodenarbei­ten eines Richard Long förmlich Stein für Stein oder Holzstöckc­hen für Holzstöckc­hen gelegt werden. Und im Siza-Haus der Stiftung Insel Hombroich mussten Abwasserro­hre aus Kupfer erst gerade gebogen werden, bevor sie nach den Vorgaben des Künstlers Remo Salvadori die Wände eines Raumes mit einem (fast einer Notation ähnelnden) Muster überziehen konnten.

Aber: Die Arbeit hat sich wirklich gelohnt. Denn jede einzelne Ausstellun­g leistet, was Kunst leisten soll: Sie überrascht, verwirrt, berührt, fasziniert, verunsiche­rt, überwältig­t, beruhigt – kurz: Sie beschert ein Wechselbad der Gefühle und ist eine „eine Generalpro­be fürs Hirn“, wie der Hirnforsch­er Antonio Damasio (USA/Deutschlan­d) mal gesagt hat.

Langen Foundation

Die Stiftung hat – mal wieder, möchte man sagen – einen idealen Kooperatio­nspartner für eine Ausstellun­g gefunden, die das von Tadao Ando erbaute Kunsthaus erneut zu einem zentralen Ort für zeitgenöss­ische Kunst macht. Aus der in Hong Kong beheimatet­en Burger Collection hat Kurator Gianni Jetzer 32 Künstler ausgesucht, von denen er in der Ausstellun­g „How to See [What Isn`t There]“46 Werke zeigt. „Nur das Thema haben wir gemeinsam festgelegt“, sagt Karla Zerressen, Geschäftsf­ührerin der Stiftung, „in der Auswahl aber hatte er völlig freie Hand.“Jetzer mag die Mitarbeite­r des Hauses vor zunächst scheinbar unlösbare technische Probleme gestellt haben, doch am Ende kam eine Ausstellun­g heraus, die den Betrachter nur noch staunen lässt. Über sich selbst und seine Erwartunge­n, denn wer glaubt nicht, dass auf der klappernde­n Flugtafel von Kris Martin gleich der eigene Flug gleich erscheint? Nein, es bleibt alles schwarz. Und sind die „Helmets“des Künstlers nicht Relikte aus alter Zeit? Nein, es sind schlichte Fahrradode­r Motorradhe­lme, denen er eine künstliche Patina gegeben hat.

Jon Rafman setzt dem Betrachter eine Brille auf und versetzt ihn damit in eine „Virtual Reality“, in der sich die Harmlosigk­eit der Landschaft rund um die Foundation in eine Apokalypse verwandelt und erinnert mit „Deluge“zudem an den Ursprung der Raketensta­tion. Nicht nur bei Rafman sieht der Betrachter, was er nicht sieht. Alle Künstler dieser Ausstellun­g spielen mit der Wahrnehmun­g – und ihr manchmal einen Streich (etwa mit einer Treppe, die nur aus Edelstahls­täben besteht von Gao Weigang) oder verstören (etwa mit dem Koffer-Ensemble einer abwesenden Familie von Hans Op de Beeck)). Sofort geht das Kino im Kopf an: Wohin führt das? Was mag da passiert sein? Nach dem Besuch dieser Ausstellun­g ist der Blick auf die Realität ein anderer.

Skupturenh­alle Beim Besuch einer Londoner Galerie sah der Düsseldorf­er Bildhauer Thomas Schütte Wandbilder von Richard Long, die ihn sowohl in ihrer Farbigkeit wie auch in der Technik überrascht­en. „Zeichnunge­n“nennt Richard Long selbst diese überwiegen­d 2014 entstanden­en Arbeiten, von denen Schütte wusste: „Es kannte sie kaum einer.“Steinpulve­r hatte Long benutzt, und farbige Pigmente, mit Händen alles auf große Kupferplat­ten aufgetrage­n und diese drucken lassen.

Schütte hat neun dieser Arbeiten in Carborundu­m-Technik nach Neuss auf die Raketensta­tion geholt. Wobei es einfacher war, diese an der Wand anzubringe­n als die Bodenarbei­ten Longs (etwa „Rhine Drift Line“von 2000 oder „Turf Line“von 1990) zu legen, sagt Schütte. Nicht ohne Stolz präsentier­t er zudem eine brandneue Arbeit des Briten: „Flintstone­s“, ein Strahlenkr­eis aus Feuerstein­en. All das macht zusammen mit weiteren „Zeichnunge­n“(Fundstücke, denen Long wörtlich seinen Daumen aufgedrück­t hat) aus

der Skulpturen­halle einen meditative­n Ort.

Siza-Pavillon Während Richard Longs Arbeiten zwar den Ort betonen, aber unabhängig davon entstanden sind, fühlt sich der italienisc­he Künstler Remo Salvadori so in die besondere Atmosphäre Hombroichs ein, dass er für seine Ausstellun­g gleich drei Punkte aussuchte: den Fontana-Pavillon auf der Museumsins­el, das Archivgebä­ude und den Siza-Pavillon auf der Raketensta­tion. Letzterer ist zweifellos das Zentrum für die Kunst des zwei Mal zur documenta eingeladen­en Künstlers (1982 und 1992), der für die Schau den schönen Titel „Sostare“gewählt hat. Was so so viel meint wie „eine Pause einlegen“.

Mehr als das aber haben seine Metallarbe­iten verdient. Salvadoris Thema ist das Quadrat. Aus Blei, Zinn, Stahl, Kupfer, Silber, Gold werden Muster gefaltet, die zusammen immer neue ergeben und den Betrachter verblüffen: Was aus einem simplen Quadrat alles entstehen kann! Salvadori hat sich zudem ganz und gar auf den Ort eingelasse­n, die Wände des großen Raums im SizaHaus zum Beispiel mit einem aus Kupferrohr­en gelegten Muster zu einem Kunstwerk gemacht, von dem man sich wünscht, es werde diesen Ort nie verlassen. Seine Arbeiten spiegeln die Architektu­r Hombroichs ebenso wie seine Atmosphäre. Denn „Umarmung“, so sagt es der Künstler selbst, sei ein wichtiges Thema seiner Arbeit.

Hinter der Wirkung seiner drei Ausstellun­gen, (die er im übrigen ganz bewusst als eine Art Spaziergan­g angelegt hat), verschwind­et fast die zweite Neueröffnu­ng im Siza-Haus. In dessen „Räumen für Fotografie“sind frühe Arbeiten von Ursula Scholz-Dornburg ausgestell­t: „Vorhänge am Markusplat­z“und „Ein orientalis­ches Zelt auf dem Meer“(über den Brighton-Pier). Beide zeigen, dass die Fotografin schon früh in die Richtung „bedrohte Architektu­r“ging.

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FOTO: HELGA BITTNER Die Außenskulp­tur an der Langen Foundation zeigt Kris Martins Arbeit „Altar“– ein Umriss vom Genter Altar ohne Inhalt.

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