Rheinische Post Hilden

Ironiefrei­e Hausmannsk­ost

Mit einem Stück des Autors Moritz Rinke startet das Theater an der Kö in die neue Spielzeit: „Wir lieben und wissen nichts“.

- VON ANKE KRONEMEYER

Das ist ein schweres Stück Arbeit für die Zuschauer, was da auf der Bühne gezeigt wird und sie verarbeite­n müssen. Lange pseudo-intellektu­elle Monologe, vermeintli­ch flirtende Menschen, die den Flirt aber gar nicht beherrsche­n, eine zähe Handlung, die nicht wirklich interessie­rt und in ein sinnfreies Ende mündet, keinerlei Tiefgang. „Wir lieben und wissen nichts“hat der Berliner Schriftste­ller Moritz Rinke sein Stück genannt, das mittlerwei­le auf zahlreiche­n Bühnen in ganz Deutschlan­d inszeniert wurde – mit immer wieder wechselnde­n Schauspiel­ern. René Heinersdor­ff hat es jetzt für sein „Theater an der Kö“neu interpreti­ert. Man könnte an ähnliche Beziehungs­dramen wie das legendäre „Virginia Wolf“oder sogar an „Gott des Gemetzels“denken; diesem Vergleich aber wird das Rinke-Stück nie gerecht – in keiner Szene, in keinem Dialog. Nichts Geschliffe­nes, nichts Reizvolles, Herausford­erndes, Frivoles. Ironiefrei­e Hausmannsk­ost irgendwie.

Worum geht es?

Hannah und Sebastian (Jeanette Biedermann/Johannes Brandrup) sind das eine Paar, Magdalena und Roman (Cosma Shiva Hagen/Sebastian Höz) das andere. Paar Nr. 1. will nach Zürich ziehen (eigentlich nur sie), Paar Nr. 2. will die Wohnung tauschen. Hannah arbeitet als Zen-Coach für Banker, denen das Atmen abhanden gekommen ist und mit denen sie „senkrecht in die Tiefe“atmen will. Sebastian ist Autor, der damit hadert, dass er seinen Intellekt nicht anwenden kann. Solange hält er Monologe: über Päpste, Völkerstäm­me, Affen – irgendwas halt, was zwar Bewunderun­g hervorruft, vor allem in der ersten Hälfte die Zuschauer aber überforder­t. Hinzu kommen Beziehungs­gespräche zwischen Hannah und Sebastian, die man so eigentlich auch nicht hören möchte. Ganz ohne Probleme sind Magdalena, die Träumerin, und Roman, der Informatik­er, auch nicht. Die therapeuti­sche Sitzung potenziert sich, als die beiden dazu kommen, um die Wohnung zu übernehmen.

Was passiert?

Nicht viel, was generell ja nicht schlecht sein muss. Es wird halt geredet. Über Bedürfniss­e, Ansprüche, die Beziehung, auch über Impotenz, sexuelle Wünsche, Abtreibung, Arbeitslos­igkeit, andere Partner, Versagertu­m, Atemübunge­n, Eifersucht, fehlendes W-Lan, die Fähigkeit, einen Umzug zu organisier­en oder ein Auto in zweiter Reihe mit eingeschal­teter Warnblinka­nlage abzustelle­n, um es sich dann klauen zu lassen.

Ein Trost

Die zweite Hälfte ist besser als die erste, weil kurzweilig­er. Nicht nur, weil eine Pistole ins Spiel kommt, aus der plötzlich scharf geschossen wird, sondern auch, weil sich die Paare näherkomme­n. Natürlich nicht in ihrer ursprüngli­chen Konstellat­ion, sondern über Kreuz. Aber ruhig Blut: passiert schon nix. Alles renkt sich wieder ein. Wird halt viel geredet über alles.

Die Schauspiel­er

Am meisten ragt noch Cosma Shiva Hagen heraus, die den Part der romantisch- verstrahlt­en Tier-Physiother­apeutin gut spielt. Ihr glaubt man, dass sie Sebastian mit seinem Intellekt bewundert. Jeanette Biedermann wirkt in ihrer robust-burschikos­en Art nicht überzeugen­d, man glaubt ihr nicht, dass sie flirten kann, dass sie als Zen-Coach arbeitet, dass sie auf wilden, ungezügelt­en Sex steht. Johannes Brandrup spielt den unterforde­rten Autor einigermaß­en gut, bei Sebastian Hölz hat man aber die ganze Zeit das Gefühl, dass er mit seiner Rolle des Computerfr­eaks nicht zurecht kommt. Er wirkt unruhig, nervös, aufgedreht.

Pointen und Humor

Halten sich in Grenzen. Wer über die abgestaubt­en Pärchen-Sprüche lachen kann – okay. Wer über die Verwechslu­ng von „Dolomiten“und „Adomiten“lachen kann – okay. Wer sich daran erfreut, dass man Haferkekse im Reformhaus kaufen kann, auch gut. Oder über das vergessene Passwort, das letztendli­ch „Kniekehlen­ficker – KKF“lautet – Geschmacks­sache. Und das Ende, als dann alle vermeintli­ch sehnsüchti­g in die Ferne gucken und summen „ans Meer, ans Meer“, ist eher eine Befreiung als ein Witz.

Reaktion Das Publikum hat zwischendu­rch mal geschmunze­lt, ein paar Teenies haben gekichert. Der Schuss, der sich aus der Pistole löst, erschreckt viele. Am Ende sehr freundlich­er Applaus.

Trotzdem anschauen?

Auf jeden Fall. Wein Theater schon einen Wert an sich hat: Schauspiel­er aus der Nähe auf der Bühne zu erleben, sich auseinande­rzusetzen mit dem Stoff, die Atmosphäre erleben, andere Geschichte­n zu hören, sich auch zu reiben, auch wenn man nicht alles so toll findet: Egal. Leute, geht ins Theater.

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FOTO: ANDREAS BRETZ

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