Die neue soziale Wohnungs-Frage
Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen in vielen Städten alarmiert die Parteien. Ein Wohngipfel am Freitag bei der Kanzlerin soll Abhilfe schaffen, doch Experten kritisieren schon die bisherigen Maßnahmen Berlins.
BERLIN Für den Wohnungsbau zeichnet in der Bundesregierung eigentlich Horst Seehofer (CSU) verantwortlich. Doch der Innenminister hat mit vielen Krisen alle Hände voll zu tun, manche davon hat er selbst angezettelt. Deshalb nimmt sich jetzt Seehofers Chefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), des Themas an, das die SPD zur sozialen Frage schlechthin erklärt hat: den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Am Freitag hat Merkel Vertreter der Wohnungswirtschaft, Gewerkschaften, Länder und Kommunen, des Mieterbunds und Seehofer zum „Wohngipfel“eingeladen. Am Mittwoch beschließt das Kabinett bereits das Baukindergeld für Familien und Sonderabschreibungen für Wohnungsinvestoren.
Warum sind Immobilien in Ballungsgebieten so teuer geworden?
Nach dem Ausbruch der Finanzkrise hatte die Europäische Zentralbank ihren Leitzins auf null gesenkt und massiv frisches Geld zur Verfügung gestellt. Die Hypothekenzinsen sanken drastisch und Sparen wurde unattraktiv. Die Nachfrage nach Immobilien ging erheblich in die Höhe. Da in deutschen Städten die Immobilienpreise im europäischen Vergleich noch niedrig waren, strömten zunehmend ausländische Investoren auf den deutschen Markt. Auch der Zuzug von Flüchtlingen und die innerstaatliche Wanderung in die attraktiven Ballungsräume erhöhten bei stagnierendem Angebot die Nachfrage weiter.
Wie viele Wohnungen fehlen pro Jahr?
Jedes Jahr müssten laut Experten etwa 400.000 neue Wohnungen gebaut werden, in den vergangenen Jahren wurden aber nicht einmal 300.000 Wohnungen fertiggestellt. „Die Koalition hat 1,5 Millionen Wohnungen versprochen“, sagte Städtetagspräsident Markus Lewe mit Blick auf die vier Jahre von 2018 bis 2021. „Nun muss ein Gesamtpaket auf die Schiene gesetzt werden, was nötig ist, um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen“, so der Oberbürgermeister von Münster. „Wir brauchen etwa 400.000 neue Wohnungen jedes Jahr, davon bis zu 120.000 Sozialwohnungen.“
Wie will die Koalition den Wohnungsbau ankurbeln?
Ein Steuerbonus soll dafür sorgen, dass private Investoren mehr bezahlbare Mietwohnungen schaffen. Dafür will der Bund zusätzlich zur normalen Abschreibung für vier Jahre eine Sonderabschreibung von jährlich fünf Prozent gewähren. Der Bonus soll für Bauanträge zwischen dem 31. August 2018 und Ende 2021 gelten. Die Kaufund Baukosten dürfen nicht mehr als 3000 Euro pro Quadratmeter betragen und die Wohnung muss mindestens zehn Jahre lang vermietet werden.
Was will die Regierung für den sozialen Wohnungsbau tun?
Der Bund stockt seine Mittel für den sozialen Wohnungsbau, die an die zuständigen Länder gehen, 2019 um 500 Millionen auf 1,5 Milliarden auf. In den Jahren 2020 und 2021 sollen jeweils zwei Milliarden Euro bereitgestellt werden. Damit die Länder das Geld auch tatsächlich für den sozialen Wohnungsbau verwenden, ist eine Zweckbindung geplant. Die Kommunen verlangen eine Verstetigung der höheren Bundesmittel über 2021 hinaus: „Wichtig ist, dass der Bund sein finanzielles Engagement in der Wohnungspolitik dauerhaft über 2021 hinaus fortsetzt“, sagte Lewe. Nach einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung fehlen in den zehn größten Städten rund 880.000 Sozialwohnungen. Bei Beibehaltung des bisherigen Fördervolumens würde es demnach 185 Jahre dauern, diese Lücke zu schließen.
Wie funktioniert das Baukindergeld?
Damit der Immobilienerwerb für Familien erschwinglicher wird, hat die Koalition das Baukindergeld eingeführt, das seit Montag bei der Staatsbank KfW beantragt werden kann. Pro Kind gibt es vom Staat einen Zuschuss von 12.000 Euro, ausgezahlt in zehn Jahresschritten zu je 1200 Euro. Beantragen können es alle Eltern, die seit Januar 2018 bis Ende 2020 einen Kaufvertrag unterzeichnet oder eine Baugenehmigung erhalten haben.
Wie bewerten Experten diese Maßnahmen?
Das Echo fällt überwiegend kritisch aus, denn die Maßnahmen heizen den bereits überhitzten Markt an, was zu höheren Preisen führen dürfte. „Es gibt zahlreiche Investoren, die aufgrund der hohen Preise und der niedrigen Zinsen gerne in den Wohnungsbau investieren möchten, aber es fehlt an Bauland und zunehmend auch an Bauunternehmen“, sagte Michael Voigtländer, Immobilienexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW ) in Köln. „Jede Maßnahme, die also die Nachfrage fördert – sei es das Baukindergeld, die Sonder-Abschreibungen für Investoren oder die zusätzlichen Mittel für den sozialen Wohnungsbau – wird bei gegebenem geringen Baulandangebot die Grundstückspreise weiter erhöhen.“Beim sozialen Wohnungsbau sei die Treffsicherheit gering: Nur 45 Prozent der Mieter seien tatsächlich armutsgefährdet.
Was passiert beim Wohnungsgipfel am Freitag?
Er soll dafür sorgen, dass Bund, Länder und Kommunen mehr Bauland zur Verfügung stellen, Planungsverfahren beschleunigt und überflüssige Regulierungen beseitigt werden. Aus Sicht der meisten Teilnehmer ist das ein richtiger Ansatz. Auch IW-Experte Voigtländer sagte: „Es ist richtig, Kommunen und Länder aufzufordern, mehr Bauland auszuweisen. Die Aufforderung allein reicht aber nicht. Ich würde die Städtebauförderung erweitern um die Möglichkeit, den Bau neuer Stadtviertel zu fördern. Schließlich sind die hohen Infrastrukturkosten ein Grund, warum die Städte sich schwertun, neue Stadtviertel zu gründen.“Kommunen müssten wieder die Möglichkeit haben, aktiv Grundstücke zu kaufen und zu erschließen, verlangte Städtetagspräsident Lewe. Ein vom Bund einzurichtender Wohnbaulandund Erschließungsfonds könne dabei helfen, sagte er bei einem Bundeskongress in Frankfurt. „Bund und Länder sollten dafür sorgen, dass auch auf geeigneten Bundes- und Landesflächen mehr bezahlbarer Wohnraum entstehen kann“, forderte Lewe.