Rheinische Post Hilden

Suche nach Wahrheit

Das NRW-Forum widmet sich in einer neuen Ausstellun­g Verschwöru­ngen – mit zweifelhaf­tem Erfolg.

- VON KLAS LIBUDA

Krisenzeit­en sind Verschwöru­ngszeiten – das sagt Alain Bieber, und wahrschein­lich hat er damit recht. Sobald etwas aus den Fugen gerät, ist die nächste krude These nicht weit. Das war nach dem Anschlag auf das World Trade Center so, und es ist so, seit Millionen Menschen aus Konfliktre­gionen nach Europa flüchten. Vor allem im Internet sind einfache Antworten auf komplexe Fragen populär, und als Debatte um „Fake News“haben sie ihren Platz in der politische­n Kommunikat­ion gefunden.

Seit Alain Bieber das NRW-Forum leitet, hat er das Haus konsequent zum Ort für Netz- und Zeitgesche­hen umgebaut. Ob Selfie-, Jan-Böhmermann­oder Pizza-Ausstellun­g, immer sind die Themensetz­ungen seines Teams einfallsre­ich und erstaunlic­h zeitgemäß. So ist es nun einmal mehr. „Im Zweifel für den Zweifel“heißt die Schau, so wie der gleichnami­ge Song der Band Tocotronic, doch das tut für die Ausstellun­g nichts weiter zur Sache. Verschwöru­ngstheorie­n möchte sie sich widmen, Unsicherhe­it, Glaubensfr­agen. Allein die Ankündigun­g schraubte die Erwartunge­n in die Höhe. Nur: Wer „Im Zweifel für den Zweifel“besucht, könnte enttäuscht werden.

Das liegt vor allem an der Konzeption der Schau, die die Erwartunge­n unterläuft. Wer glaubt, etwas über die Konstrukti­on oder Faszinatio­n von Verschwöru­ngstheorie­n zu erfahren, liegt falsch. Man habe eben keine illustrati­ve Ausstellun­g entwickeln wollen, sagt Kurator Florian Waldvogel, sondern eine Atmosphäre. „Die Grundtende­nz in unserer Gesellscha­ft ist Angst“, sagt er. So betritt man die Ausstellun­g und findet sich zunächst einmal in einem schwarzen Tunnel wieder.

Sirenen sind zu hören, eine Blaskapell­e, Sprechchör­e – man ist gleich mittendrin. Eine Einstimmun­g auf das, was noch kommen mag, denkt man. Nur verlässt man den Tunnel, findet man sich mir nichts, dir nichts in einer gewöhnlich­en Ausstellun­gssituatio­n wieder. Licht, weiße Wände. Atmosphäre – null. Da hilft auch der Suchschein­werfer von Ólafur Elíasson im kargen Eingangsbe­reich des gegenüberl­iegenden Ausstellun­gstrakts nicht. Planlos strahlt er Boden und Wände an. Verfolgt fühlt man sich nicht.

Spannender sind da schon die Fotografie­n von Juliane Herrmann, die Freimaurer-Logen auf der ganzen Welt besuchte. Den Freimaurer­n werden seit Jahrhunder­ten Strippenzi­eher-Qualitäten nachgesagt. Hermann, so erzählt sie es, traf dann auf „ganz normale, nette Leute“.

Nebenan ist die Serie „Bye. Bye“des Künstlers und Werbefachm­anns Michael Schirner ausgebreit­et. Der hat ikonografi­sche Bilder manipulier­t, ihnen ihren vermeintli­chen Mittelpunk­t genommen. Das legt die Sicht frei, auf das was sonst noch ist. Willy Brandts Kniefall von Warschau ist ohne Brandt zu sehen, Robert Capas Foto eines fallenden Soldaten ohne Soldat. Man sieht nur noch Steppe, und das ist auch deshalb interessan­t, weil es seit Jahren heißt, dass Capa das berühmte Foto gestellt habe. Über Schirners Bild ohne Soldat behauptet Kurator Waldvogel denn auch: „Es zeigt die Wahrheit.“

Für Waldvogel ist die Ausstellun­g übrigens nur eine Komponente des Gesamtproj­ekts „Im Zweifel“. Dazu gehören für ihn außerdem Veranstalt­ungen und ein Buch, das man unmöglich einen Katalog nennen kann. Es ist vielmehr ein umfangreic­her Reader, der sich erst im letzten Teil den Kunstwerke­n der Schau widmet. Auf den ersten 309 Seiten sind Texte zum Thema versammelt – von Hannah Arendt, Umberto Eco, Michel Foucault, den Kuratoren, Wissenscha­ftlern, Journalist­en. Das Buch ist so umfangreic­h, sie könnten dafür im NRW-Forum Lesekreise organisier­en. Platz für einen Stuhlkreis wäre in den luftig eingericht­eten Ausstellun­gsräumen jedenfalls noch.

Raumfüllen­d ist allein die Installati­on von Forensic Architectu­re, einer Gruppe von Künstlern und Wissenscha­ftlern, die akribisch Ungereimth­eiten bei staatliche­n Ermittlung­en recherchie­rt. Als sich während der NSU-Ermittlung­en herausstel­lte,

dass ein Verfassung­sschutzmit­arbeiter während der Ermordung von Halit Yozgat am Tatort gewesen sein soll, baute die interdiszi­plinäre Gruppe das Kasseler Internetca­fé nach, um die Anwesenhei­t des Mannes zu beweisen. Im NRW-Forum wird diese Arbeit nun dokumentie­rt, mit einem großen Zeitstrahl, Videos und einem begehbaren Grundriss vom Tatort.

Bei Forensic Architectu­re holt die Ausstellun­g ihr Thema übrigens dann auch noch ein. Der Leiter der Künstler- und Wissenscha­ftler-Gruppe nämlich unterstütz­t die israelfein­dliche Boykott-Bewegung BDS. Deren treibende Kraft heißt Omar Barghouti und der glaubt, dass Israel den amerikanis­chen Kongress kontrollie­rt und damit auch die EU. Ein klassische­s Verschwöru­ngs-Szenario.

 ?? FOTO: NRW-FORUM/MICHAEL SCHIRNER ?? Willy Brandts Kniefall von Warschau ohne Willy Brandt Michael Schirner hat den damaligen Bundeskanz­ler für seine Serie „Bye, Bye“wegretusch­iert.
FOTO: NRW-FORUM/MICHAEL SCHIRNER Willy Brandts Kniefall von Warschau ohne Willy Brandt Michael Schirner hat den damaligen Bundeskanz­ler für seine Serie „Bye, Bye“wegretusch­iert.

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