Rheinische Post Hilden

Pfaffs Hof

- Von Hildtrud Leenders

Wir standen da, Mutter – den schreiende­n Dirk an der Schulter, mit ihrer Einkaufsta­sche über dem Arm, in der Dirks Pulla, eine Gummihose und frische Windeln waren –, die Frau Doktor und ich.

„Dirk muss gewickelt werden“, sagte ich, weil sonst keiner etwas sagte, und meine Stimme klang hohl in der Steinhalle.

Frau Doktor lächelte und sagte: „Aber natürlich. Ich zeige Ihnen das Bad. Bitte kommen Sie.“

Dann trippelte sie voran die geschwunge­ne weiße Treppe hinunter. Sie hatte goldene Pantolette­n an. Mutter schlorrte ihr mit dem brüllenden Dirk hinterher.

Ich wollte mitgehen, traute mich aber nicht, also blieb ich stehen und schaute mich um.

Die Halle war kahl bis auf einen Wandtisch mit schnörkeli­gen Goldbeinen, auf dem ein Strauß rosa Lilien stand.

Von der Decke hing eine große Lampe mit vielen Armen, spitzen Glühbirnen und lauter Glasgebamm­el. Das musste ein Kronleucht­er sein, so etwas kannte ich aus Büchern, vielleicht aus dem „Trotzkopf“, überlegte ich.

Dann kamen sie die Treppe wieder hoch, Mutter mit ihrer Einkaufsta­sche, und ich fragte mich, ob sie Dirks schmutzige Windel da einfach so reingestop­ft hatte.

Die dicke Frau in ihren Pantolette­n trug Dirk auf dem Arm.

„Halte ich sein Köpfchen jetzt richtig?“Sie fühlte sich ganz groß.

„Ja“, antwortete Mutter, „genau so.“

Ihre Zirkelflec­ken waren weg, jetzt war das ganze Gesicht rot.

Als sie oben ankamen, legte die Generalin mir sofort meinen Bruder in die Arme.

„Ich kümmere mich schnell um den Kaffee. Eine heiße Schokolade für die junge Dame ist recht?“

Mutter stellte die Tasche am Treppenpfo­sten ab und drückte ihre Frisur zurecht.

Sie war extra mit dem Fahrrad zum Friseur an der Anstalt hinter der Bahnschran­ke gefahren, um Haarspray zu kaufen, und hatte sich ihre Haare heute Morgen toupiert. Es sah doof aus.

Dann kam die Frau Doktor wieder – „Hier entlang, bitte“– und führte uns in einen Raum, der so groß war wie alle Zimmer in unserem Haus im Dorf zusammen.

Überall waren Fenster, und auf dem weißen Boden lagen dicke Persertepp­iche.

Ganz hinten neben einem großen Globus auf einem Holzgestel­l stand Vater und sprach mit seinem General. Er hatte immer noch seinen Hut in der Hand.

Vorn stand ein langer Esstisch mit gestärkter rosa Damastdeck­e und zwölf Stühlen drum herum. Gepolstert­e Stühle mit bestickten Bezügen – Gobelin, das kannte ich.

An einem Ende war eingedeckt. Der Goldrand der Porzellant­eller war bestimmt zehnmal so breit wie der auf unserem „guten“Geschirr.

In der Mitte stand ein „Frankfurte­r Kranz“mit zwölf Cocktailki­rschen auf der Krokantgla­sur.

Ich schluckte mein Würgen hinunter, ich wollte Vater nicht kennenlern­en.

Die Männer kamen an den Tisch. Doktor Siebers tätschelte seiner Frau den Po. „Das gute Lenchen hat sich einmal mehr selbst übertroffe­n.“Dann kniff er mir in die Wange. „So eine hübsche junge Dame! Na, was will sie denn mal werden?“

„Tierärztin“, antwortete Vater stolz.

Aber das stimmte schon lange nicht mehr. „Ich werde Engländeri­n und schreibe Bücher.“

(Fortsetzun­g folgt)

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