Rheinische Post Hilden

Die Junge Union und Merkels Gradmesser

Die CDU-Chefin will sich im Dezember wiederwähl­en lassen. Beim Parteinach­wuchs kann sie jetzt die Stimmung testen.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Paul Ziemiak kann sich nicht ganz sicher sein. In seiner Union hält man inzwischen alles für möglich. Es sind nur noch wenige Stunden, bis er am Freitagabe­nd beim Deutschlan­dtag der Jungen Union ( JU) in Kiel zur Wiederwahl für den Vorsitz antritt. Er weiß nichts von einem Gegenkandi­daten. Aber so etwas weiß man neuerdings auch bei CDU und CSU nicht mehr genau.

„Wir müssen jetzt nicht über die Kandidatur sprechen“

Paul Ziemiak Vorsitzend­er der Jungen Union

Ralph Brinkhaus hat in der vorigen Woche Maßstäbe gesetzt, als er überrasche­nd – allerdings mit ein paar Wochen Vorlauf – gegen den langjährig­en Bundestags­unionsfrak­tionschef Volker Kauder kandidiert­e und gewann. Jetzt fühlen sich der hessische Unternehme­r und CDU-Neuling Andreas Ritzenhoff (61) und der Berliner Jura-Student Jan-Philipp Knoop (26) berufen, im Dezember auf dem CDU-Parteitag gegen die Vorsitzend­e Angela Merkel zu kandidiere­n. Noch nie hatte sie in ihrer mehr als 18-jährigen Amtszeit einen Gegenkandi­daten.

Im Gegensatz zu Brinkhaus, der seit 2009 im Bundestag ist und seit 2014 Vize-Fraktionsv­orsitzende­r war, traten die beiden Merkel-Herausford­erer bisher nicht in Erscheinun­g. Ganz ohne Erfahrung dürfte es dann wohl doch nicht gehen. Der hessische CDU-Landesverb­and mit Ministerpr­äsident Volker Bouffier an der Spitze ist aber ziemlich verschnupf­t, weil er rund drei Wochen vor der Landtagswa­hl gern Ruhe und keine unnötige Personalde­batte Armin Laschet (57) am Hals hätte. Ziemiak sagt: „Bis zum Parteitag ist noch genug Zeit. Wir müssen jetzt nicht über die Kandidatur sprechen.“Er sagt nicht: Wir haben eine Vorsitzend­e und die wählen wir wieder.

Es wird in der CDU nicht ausgeschlo­ssen, dass Ritzenhoff nur ein ganz kleiner Vorgeschma­ck einer für Merkel heiklen Debatte ist, wenn Bouffier bei der Wahl eine Schlappe erleidet. Dann könnte es mehr als bisher um Namen gehen, die das Potenzial haben, das Ende der Ära Merkel einzuläute­n: NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet, Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Annegret KrampKarre­nbauer (56) Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn, Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther. Sie alle sind Gastredner bei dem bis Sonntag dauernden Kongress. Es bricht jedenfalls etwas auf in der Union. Die einen nennen es Demokratie, die anderen Rebellion. Warum soll das gerade in der Nachwuchso­rganisatio­n von CDU und CSU anders sein?

Ziemiak, geboren in Polen und aufgewachs­en in Iserlohn, bewirbt sich zum letzten Mal für den JU-Vorsitz. Denn 2020 ist er 35 Jahre alt und damit zu alt für die JU. Sie ist mit 115.000 Mitglieder­n Europas Jens Spahn (38) größte Jugendorga­nisation, gilt als konservati­ver Antreiber der Parteivors­itzenden und Kanzlerin. Beim Deutschlan­dtag vor einem Jahr in Dresden hatten die Delegierte­n – Frauen sind hier übrigens deutlich in der Unterzahl – Merkel die Zusicherun­g abgenommen, dass ein Sonderpart­eitag über den Koalitions­vertrag abstimmt. Nun liegt aus dem JU-Landesverb­and Hessen ein Antrag vor, wonach in die Parteisatz­ung aufgenomme­n werden soll, dass über Koalitions­verträge auf Bundeseben­e – sofern der Koalitions­partner ebenso verfährt – mit einer Urabstimmu­ng entschiede­n Daniel Günther (45) werden soll.

Urabstimmu­ng in der CDU? Eine solche Basisdemok­ratie leben die Christdemo­kraten nicht. Die Antragskom­mission empfiehlt so auch die Annahme in abgeschwäc­hter Form: Implementi­erung in der Satzung, dass ein Bundespart­eitag abstimmen soll. Aber sicher ist eben auch so etwas nicht. Der Verband Baden-Württember­g fordert nach dem Vorbild der JU, welche CDU und CSU vertritt, die Schaffung eines „Unionsrate­s“von Delegierte­n beider Parteien. Dieses Gremium solle das Programm für Bundestags­und Europawahl­en erarbeiten sowie einen gemeinsame­n Kanzlerkan­didaten wählen und bei strittigen Entscheidu­ngen einberufen werden. Die Antragskom­mission schwächt auch dies in ihrer Empfehlung ab. Der „Unionsrat“soll demnach nur beratende Funktion haben und nicht zu strittigen Entscheidu­ngen zusammenge­trommelt werden.

Eine kleine Provokatio­n gegen Merkel hat die JU auch mit ihrer Gästeliste parat. Zum Auftakt hält der umstritten­e US-Botschafte­r Richard Grenell, der einen engen Draht zum Merkel-Kritiker Spahn hat, ein „Grußwort“. Immerhin darf vorher noch Daniel Günther sprechen, als Landesvate­r des gastgebend­en Bundesland­es.

Eine Premiere hat Ralph Brinkhaus vor sich. Erstmals wird er als Fraktionsc­hef vor einem so großen Parteipubl­ikum auftreten. Ziemiak sagt, er sei sehr gespannt darauf, wie der 50-Jährige die von ihm angekündig­te Rolle der Fraktion als von der Regierung unabhängig­e Einheit darstellen werde. Merkel ist auch in Kiel. Zwei Monate vor ihrer eigenen Wahl ist der Deutschlan­dtag der JU für sie ein Gradmesser: Warmherzig­er Empfang oder abgekühlte Stimmung beim Parteinach­wuchs?

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