Dortmund spielt, wie Bayern spielen möchte
Die Momentaufnahme am zweiten Champions-League-Spieltag: Bayern München auf der Suche nach sich selbst, der BVB tritt souverän, geduldig und mit dem nötigen Glück auf.
DÜSSELDORF Auf der Tribüne gefroren die Mienen der Ober-Bayern. Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München, kaute mit mahlendem Kiefer auf dem 1:1 gegen Ajax Amsterdam herum, Präsident Uli Hoeneß schaute auf die Rückenlehne des Vordersitzes. Auch dort fand er keine Lösung. Nach zwei unerwarteten Rückschlägen in der Fußball-Bundesliga ist Deutschlands wichtigster Klub zumindest vorerst auch in der Champions League auf der Suche nach sich selbst. Das Team von Trainer Niko Kovac trat wenig selbstbewusst, verkrampft und ohne Spielfreude auf. Die im Schnitt 24 Jahre alte Mannschaft von Ajax Amsterdam (München im Schnitt 30) tat das genaue Gegenteil, sie war besser, und Kovac hatte Recht, als er feststellte: „Das war letzten Endes ein gewonnener Punkt.“
Im Herbst 2018 sind die Bayern zwar nicht derart am Boden wie vor einem Jahr, als sie in Paris beim 0:3 regelrecht auseinander genommen wurden und in der Bundesliga erstaunliche Fitnessprobleme offenbarten. Aber sie müssen erkennen, dass ihre Gegner nicht mehr bereit sind, vor Spielbeginn die weiße Flagge zu hissen, und dass namentlich die zahlreichen älteren Herren im Aufgebot nicht mehr alle drei Tage Spitzenleistungen abrufen können.
Das kann die Stunde von Borussia Dortmund werden. Der nach Etat und spielerischer Klasse einzige natürliche Konkurrent des Branchenführers Bayern verabschiedete sich vor einem Jahr aus dem Titelkampf, weil er unter Trainer Peter Bosz unter völliger Vernachlässigung des Abwehrspiels hemmungslos nach vorn rannte. Derartige Kindereien leistet sich Borussia Dortmund zurzeit nicht. Woche für Woche wächst das Team besser ins ausbalancierte System des Taktik-Professors Lucien Favre. Kleine Glanzstücke wie das 7:0 über Nürnberg in der Bundesliga wechseln mit erfolgreichen Geduldsspielchen wie dem 3:0 gegen Monaco und dem 4:2 in Leverkusen, als sich die Mannschaft selbst aus dem Sumpf zog. Vor einem Jahr wäre die Begegnung in Leverkusen mit Pauken und Trompeten verloren worden, und gegen Monaco wäre das Team irgendwann vor lauter Ungeduld ins offene Messer gelaufen.
Dortmund wirkt im Augenblick auf dem Platz so, wie Bayern München wirken möchte – meist souverän, im Vertrauen auf die eigene Stärke, mit spielerischen Lösungen in schwierigen Situationen und mit dem notwendigen Glück. „Immer Glück ist Können“, hat Bayern Münchens ewiger Co-Trainer Hermann Gerland mal gesagt. Der BVB darf das nach einem Spiel wie in Leverkusen oder dem 1:0 in Brügge ebenfalls sagen.
Mit jedem Erfolg wachsen Punktekonto und Selbstbewusstsein. Und dann lassen sich die Stärken einer Mannschaft so richtig ausspielen. Die Art, wie Dortmund seine Tore erzielt, ist ein Beleg dafür.
München dagegen verkrampft unter dem Druck, seine Überlegenheit auf den Platz bringen zu müssen. Vieles im Bayern-Spiel kommt zu schwer daher, der Aufbau, das Abwehrspiel an sich, das gleichförmige Offensivspiel ohne Tempowechsel und Überraschungen. Sogar die größte Münchner Qualität, die positive Arroganz des „Mia san mir“, bleibt so auf der Strecke.
Dortmund wächst aus dem Zutrauen in ein funktionierendes System in einen Zustand der Leichtigkeit. Das kann der Schlüssel für eine große Saison sein.
Die Bayern vorzeitig abzuschreiben, wäre dennoch ein Fehler. Ihre großen Spieler wollen den Gesetzen der Biologie trotzen und das Altern verzweifelt noch mal ein Jahr aufschieben. Das macht die Münchner verbissen und kämpferisch. Und das birgt für ihre Gegner weiter große Gefahren. Für Lockerheit sorgt es aber nicht.