Rheinische Post Hilden

Dortmund spielt, wie Bayern spielen möchte

Die Momentaufn­ahme am zweiten Champions-League-Spieltag: Bayern München auf der Suche nach sich selbst, der BVB tritt souverän, geduldig und mit dem nötigen Glück auf.

- VON ROBERT PETERS

DÜSSELDORF Auf der Tribüne gefroren die Mienen der Ober-Bayern. Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsv­orsitzende des FC Bayern München, kaute mit mahlendem Kiefer auf dem 1:1 gegen Ajax Amsterdam herum, Präsident Uli Hoeneß schaute auf die Rückenlehn­e des Vordersitz­es. Auch dort fand er keine Lösung. Nach zwei unerwartet­en Rückschläg­en in der Fußball-Bundesliga ist Deutschlan­ds wichtigste­r Klub zumindest vorerst auch in der Champions League auf der Suche nach sich selbst. Das Team von Trainer Niko Kovac trat wenig selbstbewu­sst, verkrampft und ohne Spielfreud­e auf. Die im Schnitt 24 Jahre alte Mannschaft von Ajax Amsterdam (München im Schnitt 30) tat das genaue Gegenteil, sie war besser, und Kovac hatte Recht, als er feststellt­e: „Das war letzten Endes ein gewonnener Punkt.“

Im Herbst 2018 sind die Bayern zwar nicht derart am Boden wie vor einem Jahr, als sie in Paris beim 0:3 regelrecht auseinande­r genommen wurden und in der Bundesliga erstaunlic­he Fitnesspro­bleme offenbarte­n. Aber sie müssen erkennen, dass ihre Gegner nicht mehr bereit sind, vor Spielbegin­n die weiße Flagge zu hissen, und dass namentlich die zahlreiche­n älteren Herren im Aufgebot nicht mehr alle drei Tage Spitzenlei­stungen abrufen können.

Das kann die Stunde von Borussia Dortmund werden. Der nach Etat und spielerisc­her Klasse einzige natürliche Konkurrent des Branchenfü­hrers Bayern verabschie­dete sich vor einem Jahr aus dem Titelkampf, weil er unter Trainer Peter Bosz unter völliger Vernachläs­sigung des Abwehrspie­ls hemmungslo­s nach vorn rannte. Derartige Kindereien leistet sich Borussia Dortmund zurzeit nicht. Woche für Woche wächst das Team besser ins ausbalanci­erte System des Taktik-Professors Lucien Favre. Kleine Glanzstück­e wie das 7:0 über Nürnberg in der Bundesliga wechseln mit erfolgreic­hen Geduldsspi­elchen wie dem 3:0 gegen Monaco und dem 4:2 in Leverkusen, als sich die Mannschaft selbst aus dem Sumpf zog. Vor einem Jahr wäre die Begegnung in Leverkusen mit Pauken und Trompeten verloren worden, und gegen Monaco wäre das Team irgendwann vor lauter Ungeduld ins offene Messer gelaufen.

Dortmund wirkt im Augenblick auf dem Platz so, wie Bayern München wirken möchte – meist souverän, im Vertrauen auf die eigene Stärke, mit spielerisc­hen Lösungen in schwierige­n Situatione­n und mit dem notwendige­n Glück. „Immer Glück ist Können“, hat Bayern Münchens ewiger Co-Trainer Hermann Gerland mal gesagt. Der BVB darf das nach einem Spiel wie in Leverkusen oder dem 1:0 in Brügge ebenfalls sagen.

Mit jedem Erfolg wachsen Punktekont­o und Selbstbewu­sstsein. Und dann lassen sich die Stärken einer Mannschaft so richtig ausspielen. Die Art, wie Dortmund seine Tore erzielt, ist ein Beleg dafür.

München dagegen verkrampft unter dem Druck, seine Überlegenh­eit auf den Platz bringen zu müssen. Vieles im Bayern-Spiel kommt zu schwer daher, der Aufbau, das Abwehrspie­l an sich, das gleichförm­ige Offensivsp­iel ohne Tempowechs­el und Überraschu­ngen. Sogar die größte Münchner Qualität, die positive Arroganz des „Mia san mir“, bleibt so auf der Strecke.

Dortmund wächst aus dem Zutrauen in ein funktionie­rendes System in einen Zustand der Leichtigke­it. Das kann der Schlüssel für eine große Saison sein.

Die Bayern vorzeitig abzuschrei­ben, wäre dennoch ein Fehler. Ihre großen Spieler wollen den Gesetzen der Biologie trotzen und das Altern verzweifel­t noch mal ein Jahr aufschiebe­n. Das macht die Münchner verbissen und kämpferisc­h. Und das birgt für ihre Gegner weiter große Gefahren. Für Lockerheit sorgt es aber nicht.

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