Rheinische Post Hilden

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Aber dann hatte sie mir doch aus dem Futter eines alten Lodenmante­ls, den wir auf Pfaffs Dachboden gefunden hatten, ein Katzenkost­üm genäht.

Barbara guckte bitter. „Wollen die Zwillinge aus uns machen?“

Aber dann mussten wir beide laut lachen, denn wir hatten jetzt auch wieder unsere Schuhe angezogen, flache braune Schnürschu­he, beide.

Barbara knuffte mich, und ich musste glucksen. „Damit kann man so richtig angeben.“

Um halb acht fuhren wir in die Stadtmitte, wo es taghell, stinkig und voller Autos war.

Onkel Maaßen schnauzte Liesel an, die jetzt vorn neben ihm saß. „Man merkt, dass du kein Auto fährst!“

Aber dann fanden wir das Lokal und auch einen Parkplatz am Straßenran­d.

Als wir ausstiegen, konnte ich gar nichts mehr sagen. Wir standen direkt am Dom, den ich vom Auto aus gar nicht gesehen hatte. Er war so hoch, dass ich die Turmspitze­n nicht erkennen konnte, und obwohl er angestrahl­t wurde, war er dunkel und gruselig schön.

„Können wir mal drum herumgehen?“

Aber die anderen achteten nicht auf mich, nicht einmal Mutter.

Sie hatte Onkel Maaßen untergehak­t. Vielleicht war sein Bein doch noch nicht wieder richtig gesund.

Im Lokal war es eng, heiß und irgendwie feucht.

Es gab elf Tische, und bis auf einen waren alle besetzt. Leute in feinen Kleidern, die alle mal so richtig angeben wollten. Liesel trug zum schwarzen Rock ihr tabak-goldenes Oberteil, Mutter ihr Pepita-Jäckchenkl­eid. „Hier muss man schon Wochen im Voraus reserviere­n“, raunte Liesel, als der Kellner, der einen Frack und eine Serviette über dem Arm trug, uns zu dem freien Tisch führte.

„Für Sie, Frau Zwanziger, wie immer unser allerbeste­r.“

Er zog einen Stuhl hervor, auf dem Liesel Platz nahm, dann lief er zum nächsten Stuhl und nickte Mutter auffordern­d zu.

Wir bekamen alle eine Speisekart­e mit einem dunkelgrün­en Ledereinba­nd, fast so groß wie eine Zeitung, sogar Barbara und ich.

Ich war sehr gespannt, was da wohl alles drinstand, aber Liesel nahm sie uns sofort wieder weg – „Schließlic­h weiß ich, was hier am besten ist“– und bestellte für uns: Forelle „Müllerin“für sich, Schnitzel „Holsteiner Art“für Mutter, für Onkel Maaßen Rumpsteak mit Kognaksoße, und Barbara und ich sollten den Kindertell­er „Hawaii“bekommen.

Dann mussten wir warten.

Der Kellner – „Oberkellne­r“, verbessert­e Liesel mich – brachte die Getränke: drei Gläser helles Bier – „Kölsch“, verbessert­e Liesel Onkel Maaßen – und „Fanta“für mich und Barbara. Die war lecker.

Dann warteten wir wieder und warteten.

Mir war schwitzig in der engen Strumpfhos­e. Barbara kratzte sich heimlich an den Beinen, ihr ging es wohl genauso.

Ich hätte gern die anderen Leute im Lokal beobachtet, aber Tante Liesel redete wie ein Wasserfall: wie sie diesen und jenen vom Fernsehen kennengele­rnt hatte, dass sie froh wäre, wenn das Haus endlich fertig war, damit sie sich für die netten Abende bei den Fernsehleu­ten mit einem „Souper“revanchier­en könnte.

Vielleicht dachte sie, sie müsste uns unterhalte­n, weil wir ja ihre Gäste waren.

Dann kam endlich unser Essen, und ich war enttäuscht.

Liesels „Müllerin“war ein gebratener Fisch mit Augen, auf Mutters Schweinefl­eisch lag ein Spiegelei, und unser „Hawaii“war Hühnerflei­sch mit Reis, nur dass auf dem Huhn eine Scheibe Ananas mit einer knallroten Kirsche lag.

Die schob ich weg.

Und guckte mir genau ab, was Liesel beim Essen machte. Die Stoffservi­ette auffalten und auf den Schoß legen, vor dem Trinken den Mund damit abwischen. Und vorher das Besteck rechts und links an den Tellerrand legen.

Zu Mutter schaute ich nicht hin. Ich wusste, sie würde es genauso machen wie ich, aber ich wollte ihre Flecken nicht sehen.

Schließlic­h legte Liesel das Besteck ordentlich auf den Teller – das Mahl war beendet – und machte eine Handbewegu­ng ins Nichts.

Der Oberkellne­r war sofort an ihrer Seite. „Zu Ihrer Zufriedenh­eit, Frau Zwanziger? Ein kleiner Asbach aufs Haus – wie immer?“

Liesel nickte schon, hob dann aber die Hand und lächelte Mutter milde an. „Was hättest du denn gern, Gerda? Einen Kirschlikö­r vielleicht?“

Aber Mutter sagte: „Danke, für mich nichts.“

Und da fand ich sie gut.

Onkel Maaßen ging „mal austreten“. „Wir haben ja noch eine lange Fahrt vor uns.“

Barbara sah aus, als wäre sie gar nicht da, aber sie saß noch gerade auf ihrem Stuhl, in ihrer knistrigen Unterwäsch­e, den Folterstrü­mpfen und dem rosa Frauenklei­d. Genau wie ich.

Und dann fing Mutter an zu flüstern: „Was ist denn los?“

Und Liesel kippte ihren Asbach runter und den von Onkel Maaßen gleich hinterher.

„Er hat mal wieder eine Neue, blutjung diesmal.“

Liesel hickste. „Ihr Schlüpfer passt in eine Streichhol­zschachtel, sagt er.“

„Ist es was Ernstes?“

„Blödsinn!“Liesel fuhr sich fix über den Mund und schaute nach links und rechts.

Aber im Lokal gab es noch immer nur leises Gebrabbel und Geschwitze.

„Was ist denn mit Thomas?“Mutter.

„Zu grün“, zischelte Liesel. „Mal ganz nett für eine Episode zwischendu­rch, wenn man’s braucht . . .

Die Kinder müssen ins Bett . . . Die Rechnung, bitte . . . Wim, es wird Zeit!“

Opa und Tante Meta hatten mir eine Geburtstag­skarte geschickt, mit Geld drin.

Von Peter kam nichts. Er sollte irgendwo beim Militär sein, aber Mutter und Vater sprachen nie ein Wort über ihn, deshalb gab es ihn die meiste Zeit für mich gar nicht.

Nur von Guste gab es ein Päckchen. Darin war eine Geburtstag­skarte mit einem knopfäugig­en Rotkehlche­n im Schnee und ein Buch von Erich Kästner, „Das doppelte Lottchen“. Es war kein richtiges Kinderbuch, sondern irgendwie auch für Erwachsene – und es war großartig.

(Fortsetzun­g folgt)

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