Der digitale Wandel weht viele Mittelständler, aber auch große Konzerne von der Bühne, oft erschreckend rasant. Unternehmen müssen sich auf die neue Zeit einstellen, um Abbrüche und den Untergang zu vermeiden, raten Sanierungsexperten.
Die Digitalisierung verändert alles. Was wie ein banaler Satz klingt, gewinnt eine besondere Bedeutung in einer Branche, für die Umbruch und Disruption, also der Abbruch bislang funktionierender Modelle, zum alltäglichen Geschäft gehören. Insolvenzverwalter und Sanierer beschäftigen sich ja mit Unternehmen, die in Schwierigkeiten geraten oder nach Wegen suchen, solche zu vermeiden. Und sie sind selbst natürlich von den neuen Entwicklungen betroffen.
Entsprechend groß ist der Diskussionsbedarf beim RPWirtschaftsforum „Sanierung und Beratung“und das Interesse an den Erkenntnissen des Digitalunternehmers Christopher Peterka zum Thema. Den Begriff Disruption erläutert Peterka anschaulich an Zahlenmaterial. So sind im Verlauf der vergangenen 15 Jahre über die Hälfte der 500 Unternehmen im US-Standardindex S&P vom Markt verschwunden. Hatten Unternehmen 1955 noch eine durchschnittliche Lebensdauer von 61 Jahren, sank sie bis zum Jahr 2015 auf 17 Jahre.
„Treiber dieser Entwicklung sind mehr Technologie und mehr Daten“, fasst Peterka prägnant zusammen. Die Adaption von Technologie habe sich beschleunigt. Erfolgreich seien heute Unternehmen, die auf Datenauswertung basieren, und 90 Prozent aller zur Verfügung stehenden Daten seien in den vergangenen beiden Jahren entstanden. Hier hakt Corinne Rennert-Bergenthal (ADK Consulting) aus Berater-Sicht ein: „Der Zugang zu relevanten Daten ist häufig blockiert. Das schafft Probleme für Unternehmen, die einen Marktzugang suchen.“
Besondere Aufmerksamkeit findet Peterka bei den Sanierern und Insolvenzverwaltern natürlich mit einem Hemingway-Zitat, nach dem es zwei Phasen auf dem Weg in den Bankrott gibt: erst allmählich, dann ganz plötzlich. „Der Mensch beharrt auf Bestehendem“, erklärt Dr. Paul Fink (FRH) die Beobachtung, dass Veränderungen für Unternehmen und insbesondere die Mitarbeiter häufig schwer zu akzeptieren seien – zumal dann, wenn sich ein drohender Absturz noch hinzieht.
„Arbeitnehmer wehren sich oft gegen Veränderungen“, beobachtet auch Dr. Marco Wilhelm (Mayer Brown). Allerdings habe gerade der Mittelstand die Gefahr erkannt. Ein Problem liege darin, dass häufig das Know-how fehle, um neue Ideen umzusetzen. Die von Hemingway beschriebene Kurve – allmählicher, dann starker Abfall einer Entwicklung zum Beispiel von Umsätzen – beschäftigt auch die anderen Teilnehmer an der Runde.
Dr. Wolf von der Fecht (von der Fecht LLP) bezweifelt indes, dass die erwarteten Disruptionen schon bald die Märkte nach unten ziehen: „Bei allen Unsicherheiten wird eine Fortsetzung des Aufschwungs aufgrund des niedrigen Zinsniveaus für weitere drei, vier Jahre erwartet.“Damit verbunden seien niedrige Insolvenzzahlen und eine hohe Beschäftigungsquote. „Dennoch müssen sich alle den Herausforderungen stellen“, mahnt der Sanierungsexperte. Von der Fecht rät Unternehmen, ihre Strategien und Geschäftsmodelle schon jetzt zu hinterfragen, nicht erst in Ertrags- oder gar Liquiditätskrisen.
Wenn die Disruption sichtbar wird, dann könne es ganz schnell bergab gehen, greift Dr. Dirk Andres (AndresPartner) Hemingway auf. In einer solchen Phase hätten Mittelständler „echte Probleme mit einer schnellen Umstellung ihrer Geschäftsmodelle.“Zum einen, weil die Wertschöpfungskurve nur geringe Spielräume zulasse, aber auch, weil die Voraussetzungen für einen Wandel fehlen. „Sie können nicht einfach einen Dreher oder Schweißer zum Datenverarbeiter machen“, benennt Andres ein Problem.
„Bei der Gestaltung des Geschäftsmodells ist Innovation das wichtigste Thema“, meint auch Robert Buchalik (Buchalik Brömmekamp). Er nennt die Autozulieferer als Beispiel. Schon jetzt zwingen sie die DieselDebatte und die damit verbundenen technischen Änderungen zum Nachdenken. „Aber wenige Unternehmen nehmen die Bedrohung wahr“, beobachtet Buchalik. Er sieht es daher als Aufgabe der Berater, das Thema den Unternehmen nahezubringen.
Doch genauso bedroht von Disruption und radikalem Wandel seien auch die Neuen, die, die mit ihren Innovationen beim Wandel vorne mitspielen, warnt Dr. Marc d’Avoine (ATN). „Wir werden Unternehmen auch aus diesem Kreis als ‚Kunden‘ haben“, prognostiziert der Insolvenzverwalter, „auf dem Weg wird es viele Opfer geben.“
Auf dem Weg in den Bankrott gibt es zwei Phasen: erst allmählich, dann ganz plötzlich
„Bei der Gestaltung des Geschäftsmodells ist Innovation das wichtigste Thema“