Rheinische Post Hilden

Der digitale Wandel weht viele Mittelstän­dler, aber auch große Konzerne von der Bühne, oft erschrecke­nd rasant. Unternehme­n müssen sich auf die neue Zeit einstellen, um Abbrüche und den Untergang zu vermeiden, raten Sanierungs­experten.

- VON JÜRGEN GROSCHE

Die Digitalisi­erung verändert alles. Was wie ein banaler Satz klingt, gewinnt eine besondere Bedeutung in einer Branche, für die Umbruch und Disruption, also der Abbruch bislang funktionie­render Modelle, zum alltäglich­en Geschäft gehören. Insolvenzv­erwalter und Sanierer beschäftig­en sich ja mit Unternehme­n, die in Schwierigk­eiten geraten oder nach Wegen suchen, solche zu vermeiden. Und sie sind selbst natürlich von den neuen Entwicklun­gen betroffen.

Entspreche­nd groß ist der Diskussion­sbedarf beim RPWirtscha­ftsforum „Sanierung und Beratung“und das Interesse an den Erkenntnis­sen des Digitalunt­ernehmers Christophe­r Peterka zum Thema. Den Begriff Disruption erläutert Peterka anschaulic­h an Zahlenmate­rial. So sind im Verlauf der vergangene­n 15 Jahre über die Hälfte der 500 Unternehme­n im US-Standardin­dex S&P vom Markt verschwund­en. Hatten Unternehme­n 1955 noch eine durchschni­ttliche Lebensdaue­r von 61 Jahren, sank sie bis zum Jahr 2015 auf 17 Jahre.

„Treiber dieser Entwicklun­g sind mehr Technologi­e und mehr Daten“, fasst Peterka prägnant zusammen. Die Adaption von Technologi­e habe sich beschleuni­gt. Erfolgreic­h seien heute Unternehme­n, die auf Datenauswe­rtung basieren, und 90 Prozent aller zur Verfügung stehenden Daten seien in den vergangene­n beiden Jahren entstanden. Hier hakt Corinne Rennert-Bergenthal (ADK Consulting) aus Berater-Sicht ein: „Der Zugang zu relevanten Daten ist häufig blockiert. Das schafft Probleme für Unternehme­n, die einen Marktzugan­g suchen.“

Besondere Aufmerksam­keit findet Peterka bei den Sanierern und Insolvenzv­erwaltern natürlich mit einem Hemingway-Zitat, nach dem es zwei Phasen auf dem Weg in den Bankrott gibt: erst allmählich, dann ganz plötzlich. „Der Mensch beharrt auf Bestehende­m“, erklärt Dr. Paul Fink (FRH) die Beobachtun­g, dass Veränderun­gen für Unternehme­n und insbesonde­re die Mitarbeite­r häufig schwer zu akzeptiere­n seien – zumal dann, wenn sich ein drohender Absturz noch hinzieht.

„Arbeitnehm­er wehren sich oft gegen Veränderun­gen“, beobachtet auch Dr. Marco Wilhelm (Mayer Brown). Allerdings habe gerade der Mittelstan­d die Gefahr erkannt. Ein Problem liege darin, dass häufig das Know-how fehle, um neue Ideen umzusetzen. Die von Hemingway beschriebe­ne Kurve – allmählich­er, dann starker Abfall einer Entwicklun­g zum Beispiel von Umsätzen – beschäftig­t auch die anderen Teilnehmer an der Runde.

Dr. Wolf von der Fecht (von der Fecht LLP) bezweifelt indes, dass die erwarteten Disruption­en schon bald die Märkte nach unten ziehen: „Bei allen Unsicherhe­iten wird eine Fortsetzun­g des Aufschwung­s aufgrund des niedrigen Zinsniveau­s für weitere drei, vier Jahre erwartet.“Damit verbunden seien niedrige Insolvenzz­ahlen und eine hohe Beschäftig­ungsquote. „Dennoch müssen sich alle den Herausford­erungen stellen“, mahnt der Sanierungs­experte. Von der Fecht rät Unternehme­n, ihre Strategien und Geschäftsm­odelle schon jetzt zu hinterfrag­en, nicht erst in Ertrags- oder gar Liquidität­skrisen.

Wenn die Disruption sichtbar wird, dann könne es ganz schnell bergab gehen, greift Dr. Dirk Andres (AndresPart­ner) Hemingway auf. In einer solchen Phase hätten Mittelstän­dler „echte Probleme mit einer schnellen Umstellung ihrer Geschäftsm­odelle.“Zum einen, weil die Wertschöpf­ungskurve nur geringe Spielräume zulasse, aber auch, weil die Voraussetz­ungen für einen Wandel fehlen. „Sie können nicht einfach einen Dreher oder Schweißer zum Datenverar­beiter machen“, benennt Andres ein Problem.

„Bei der Gestaltung des Geschäftsm­odells ist Innovation das wichtigste Thema“, meint auch Robert Buchalik (Buchalik Brömmekamp). Er nennt die Autozulief­erer als Beispiel. Schon jetzt zwingen sie die DieselDeba­tte und die damit verbundene­n technische­n Änderungen zum Nachdenken. „Aber wenige Unternehme­n nehmen die Bedrohung wahr“, beobachtet Buchalik. Er sieht es daher als Aufgabe der Berater, das Thema den Unternehme­n nahezubrin­gen.

Doch genauso bedroht von Disruption und radikalem Wandel seien auch die Neuen, die, die mit ihren Innovation­en beim Wandel vorne mitspielen, warnt Dr. Marc d’Avoine (ATN). „Wir werden Unternehme­n auch aus diesem Kreis als ‚Kunden‘ haben“, prognostiz­iert der Insolvenzv­erwalter, „auf dem Weg wird es viele Opfer geben.“

Auf dem Weg in den Bankrott gibt es zwei Phasen: erst allmählich, dann ganz plötzlich

„Bei der Gestaltung des Geschäftsm­odells ist Innovation das wichtigste Thema“

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FOTOS: ALOIS MÜLLER Vertreter aus Sanierungs- und Beratungsf­irmen sowie Insolvenzk­anzleien tauschten sich beim RP-Wirtschaft­sforum „Sanierung und Beratung“um Themen aus, die sowohl ihre Kunden als auch sie selbst betreffen: Wie geht man mit radikalen Veränderun­gen um? Mehr zum Forum auf den folgenden Seiten.
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