Rheinische Post Hilden

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Sie selbst setzte sich mit einer Flasche Asbach an die Theke und goss sich immer wieder nach. Herr Schatz brachte uns Fanta. „Essen kommt gleich.“

Mir war ein bisschen schlecht, es stank so nach Bier, und die Musik war furchtbar laut.

Dann bekamen wir jede ein halbes Hähnchen mit einem weißen Papiersöck­chen.

„Gegessen wird mit den Fingern“, sagte der Wirt.

Auf den Tellern lagen auch Papierserv­ietten und Tütchen mit Erfrischun­gstüchern.

„Zum Händeabput­zen. Guten Appetit!“

An der Theke wurde gelacht. Liesel lachte am lautesten.

Das Hähnchen war sehr lecker mit ganz knuspriger Haut, und es machte Spaß, ohne Besteck zu essen.

Aber als ich mir zwischendu­rch die fettigen Hände abwischen wollte, blieb die Serviette an meinen Fingern kleben.

Ich pulte die Papierfetz­en ab. „Lust auf ein Tänzchen, Gnädigste?“

Einer der Männer packte Liesel um die Taille und hob sie vom Barhocker herunter.

Liesel kreischte und wackelte mit dem Hintern.

„Erst trinken wir noch einen, Günther!“

Ich hatte keinen Hunger mehr, und auch Barbara ließ den Rest Fleisch auf ihrem Teller.

Wir putzten uns die Hände mit den feuchten Tüchern ab. Sie rochen nach Zitrone, aber auch etwas fies.

„Vielleicht können wir schon mal nach Hause gehen“, sagte ich. „Wir haben ja unseren Schlüssel.“

Barbara schüttelte den Kopf. „Im Dunkeln? Das erlaubt die uns nie!“

Liesel tanzte jetzt um die Männer herum, dann stieg sie auf einmal auf einen Tisch, zog sich den Rock ganz hoch und wiegte sich in den Hüften.

Die Männer grapschten nach ihren Schenkeln.

„Finger weg!“, kreischte Liesel. „Nur gucken!“

Dann ließ sie sich auf den Po plumpsen.

Die Männer klatschten in die Hände.

„Äpfel, Äpfel, Äpfel“, brüllten sie. Liesel schnipste der Wirtin mit den Fingern.

Die verschwand nach hinten und kam mit zwei Äpfeln zurück.

Liesel stellte sich vor den Tisch, knöpfte ihre Bluse auf und schob sich die Äpfel in den Büstenhalt­er.

Dann legte sie die Hände unter ihre Brüste. „Wer hat Lust auf was Saftiges?“

„Ich, ich, ich“, johlten die Männer. Einer nach dem anderen beugte sich vor und biss in einen Apfel.

Liesel stöhnte. „Und schön den Saft ablecken.“

Ich merkte, dass ich weinte. Da stand Herr Schatz auf einmal neben mir. „Ist doch nicht so schlimm.“Er strich mir über den Kopf. „Du bist müde. Ist ja auch längst Schlafensz­eit.“

Er machte seiner Frau ein Zeichen.

Die packte Liesel beim Arm und zog sie hinter die Theke.

Aber Liesel wehrte sich – „Spielverde­rberin!“– und schlug ihr feste auf die Finger.

Da ging auch der Wirt hinüber und redete auf Liesel ein.

„Dummes Gör“, hörten wir sie lallen.

Auf dem Heimweg hakten Barbara und ich Liesel unter, damit sie nicht hinfiel.

Die heulte nur. „Schon wieder ein Korsett versaut! Die Flecken krieg ich nie wieder raus, nie, nie, nie wieder.“

Am nächsten Morgen war ich schon um fünf Uhr wach. Ich freute mich so, dass Onkel Maaßen uns abholte.

Zu Hause war Streit.

Außer Dirk, der auf mich zustolpert­e und „Amie, Amie“rief, merkte keiner, dass ich wieder da war.

Vater wollte mit ein paar Kollegen ins Ruhrgebiet fahren, um Pater Leppich zu hören.

„Was stellst du dich so an?“, schimpfte er. „Der Mann ist Gefängnisp­astor.“

„Weißt du, wie die Leute den nennen?“, schimpfte Mutter zurück.

Vater grinste. „Maschineng­ewehr Gottes.“

„Das ist schon schlimm genug. Aber man nennt ihn auch ‹den schwarzen Goebbels›.“

„Woher willst du das wissen?“„Aus dem Fernsehen.“

„Die sind doch alle gekauft!“Irgendwie hatte Mutter Oberwasser, das merkte ich, obwohl Vater lachte.

Er ging seine Stiefel polieren. Die wollte er nämlich anziehen, wenn er ins Ruhrgebiet fuhr.

Einen Pater wollte er sprechen hören?

„Will Vati wieder katholisch werden?“

Mutter guckte mich komisch an. „Quatsch!“

Fräulein Maslow kam Eier kaufen. „Sie wählen doch sicher auch die CDU, Frau Albers.“

„Ich wähle dasselbe wie mein Vater, die FDP.“

„Die sind auch gut. Und was wählt Ihr Mann?“

Mutter zog verlegen die Schultern hoch.

Fräulein Maslow machte große Augen. „Geht er etwa gar nicht wählen?“

„Doch, sicher, aber er . . . er streicht einfach alles durch.“

„Sie Ärmste!“Fräulein Maslow nahm Mutter in den Arm. „Das hätte ich niemals gedacht, dass Ihr Mann Nazi ist . . . Nach allem, was er mitgemacht hat . . .“

Sie schnalzte mit der Zunge. „Dabei ist er doch so ein feiner Mensch und ein guter Christ durch und durch.“

Was redete die denn da?

Die Nazis hießen eigentlich Nationalso­zialisten und waren Hitlers Partei gewesen. Sie hatten den Krieg angezettel­t.

Das hatten wir bei Herrn Struwe in der Schule gelernt.

Die Nazis hatten die Menschen verachtet und alle, die ihnen nicht gefielen, umgebracht, aber heute gab es sie nicht mehr. Sie waren sogar verboten.

Deshalb konnte Vater überhaupt kein Nazi sein.

Fräulein Maslow legte die gut eingewicke­lten Eier in ihr Einkaufsne­tz.

„Ich werde ihm mal gründlich ins Gewissen reden, wenn ich ihn das nächste Mal sehe. Haben Sie noch Erbsen da? Und ein paar Buschbohne­n könnten wir auch gebrauchen.“

Barbara und ich waren jetzt richtige Freundinne­n.

Tante Liesel hatte mir zu Weihnachte­n eine Barbiepupp­e geschickt.

(Fortsetzun­g folgt)

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