Erbarmen, die Hessen wählen
Die Grünen hadern mit der Vorstellung, Stärkste zu werden. Die CDU fürchtet genau das. Und die SPD hofft auf eine „Erlösung“. Viele Emotionen kurz vor den Landtagswahlen.
hoffen, dass es so bleibt. Bloß weiter auf diesem Weg! Hinz skizziert die lange Liste der schwarz-grünen Erfolge und wie die nächsten Schritte aussehen. Nach dem Schülerticket für Bus und Bahn für einen Euro in ganz Hessen soll das Seniorenticket folgen, dann das für alle.
Einen Abend später. In Dieburg ist alles anders. Gleißende Scheinwerfer, Einlasskontrolle. Rock und Pop und Emtertainment bis zur Selbstironie. Der CDU-Regierungschef mache eine gute Politik; „sogar meinem Hund geht es besser“, sagt die Interviewte im eingespielten Video. Alle lachen. Es wirkt ein wenig wie Pfeifen im Wald. Denn wie die Grünen Bammel vor zu viel Erfolg haben, schwant den Christdemokraten, dass es auf ihre Kosten gehen könnte: „Verdrehen Sie die Prioritäten nicht“, mahnt die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel. Mit den Grünen sei es in Hessen zwar „besser gegangen als gedacht“. Aber dass die Grünen nächsten Sonntag deshalb besser abschneiden könnten als die CDU, will sie dann doch nicht. „Kurs halten“, wiederholt „Landesvater“und CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier. Und Merkel greift sicherheitshalber zu Adenauers Slogan aus den 50er Jahren und appelliert: „Keine Experimente.“
Das ist das andere Gespenst in den aktuellen Albträumen der CDU: Dass es für Grün-Rot-Rot oder Rot-GrünRot reichen und nach Bouffier auch Merkel aus der Regierung reißen könnte. Bouffier und Merkel werfen sich die Stichworte zu, wie Hessen nach einem Linksrutsch absteigen würde. Bouffier lässt die Schüler unter einem Linksbündnis zu Versuchskaninchen werden,
Merkel nennt den unfertigen Flughafen im rot-rot-grünen Berlin und die Verweigerung von Abschiebungen im rot-rot-grünen Thüringen. 8% 13% 7% 21% 4% Da könne der Bund dann auch keine gute Politik mehr machen.
Ah, Bundespolitik. Da hat sie das Unwort selbst geliefert. Dabei steht es doch unter Hessens Wahlkämpfern auf dem Index. Bald entschuldigt sich die Kanzlerin. „Wir haben keine gute Figur abgegeben in Berlin“– und nimmt auch dieses Eingeständnis als Mahnung: Das Gebaren im Bund möge kein Wahlmotiv für Hessen sein. „Sie kriegen auch wieder die Gelegenheit, uns eins auszuwischen, aber nicht am Sonntag“, bittet die Kanzlerin.
Mehrfach baut sie Elisabeth Blank in ihre Rede ein. Die freundliche alte Dame ist 1954 in die CDU eingetreten 26% 21% und feiert an diesem Abend ihren hundertsten Geburtstag. Natürlich gibt es einen Blumenstrauß von der Kanzlerin, die 1954 geboren wurde. Und von Bouffier ein Bild zur Spannbreite der CDU. Er spricht einerseits von Frau Blank und andererseits von einem kleinen Jungen, der zwei Stunden angestanden habe, um ein Autogramm von Bouffier zu bekommen. Es ist eine Spannbreite, die die Frage aufwirft, ob die CDU an dem Tag Wähler hinzugewinnen kann. Zwischen der Hundertjährigen und der Autogrammjägerin ist kaum die Rede von Zukunftsprojekten. Außer „Chancen“und hektischen Reaktionen auf die Nachricht, dass nun auch Frankfurt auf der Liste der von Fahrverboten bedrohten Städte landete. Merkel verspricht das „volle Programm“. Die Grünen warnen davor, auf diese Weise den Druck von der Autoindustrie zu nehmen. Wer wohl womit beim Wähler besser punktet?
Am selben Tag im Odenwald. Thorsten Schäfer-Gümbel, der SPD-Spitzenkandidat, scherzt mit der Schauspielerin Jessica Schwarz, die in Michelstadt ein Café und ein Hotel namens „Träumerei“aufgemacht hat. Früher hätten Wahlkampfstrategen den Herausforderer dringend davon abgehalten, sich mit dem Schriftzug „Träumerei“und der Botschaft „träum weiter“ablichten zu lassen. Aber früher wäre Schäfer-Gümbel ja auch Herausforderer gewesen. Heute weiß er nicht so genau, ob das Ringen um Platz eins und zwei CDU und Grüne ohne ihn austragen.
1739 Tage dauere für ihn der Wahlkampf schon, sagt Schäfer-Gümbel zum Auftakt beim Wahlkampftreff. Aber in „fünf Tagen, vier Stunden und 25 Minuten“sei es vorbei. Die Aussicht habe etwas „Erlösendes“, bekennt der SPD-Landeschef. An den Tischen sitzen Abgeordnete, der Landrat, der Bürgermeister, Wahlkämpfer, Genossen. Die Aussicht, hier weitere Wähler zu gewinnen, ist also ähnlich wie bei Merkel und Bouffier mit ihren geladenen Gästen: nahe null. Da schadet es auch nicht, dass er mit Versatzstücken aus seiner Standardrede einsteigt. Wohnungsnot an erster Stelle. Das scheint nicht das größte Problem im Odenwald zu sein. Die Fragesteller wollen lieber wissen, wie es unter einer SPD-Regierung mit der Landwirtschaft, mit den Schafen und den Wölfen weitergeht. Da muss der Kandidat passen.
Die Frage nach einem Linksbündnis kommt auch. Versehen mit der Befürchtung, dafür den richtigen Zeitpunkt vielleicht schon verpasst zu haben. Doch Schäfer-Gümbel klingt heilfroh, dass es nach der letzten Wahl nicht dazu kam. Er erinnert an die Krawalle bei der EZB-Eröffnung in Frankfurt und bekennt sich: „An dem Tag wäre ich zurückgetreten.“Die SPD schickt die Polizisten und der Koalitionspartner die gewaltbereiten Demonstranten, eine solche Koalition mag sich Schäfer-Gümbel lieber nicht vorstellen. Sein Ziel sei es, „erneut SchwarzGrün zu verhindern“. Ansonsten sei „in Hessen alles möglich“. Besondere Sympathie hat er aber auch für die Grünen nicht mehr. Die stünden doch gar nicht mehr für Veränderung, denn dem typischen Grünen-Wähler sei es doch „nur wichtig, dass er für seinen SUV einen Parkplatz vor dem Kindergarten findet“.
Fünf Fragen und eine Tasse Tee weiter hat es für Schäfer-Gümbel eine Entwicklung gegeben. „Noch fünf Tage, vier Stunden und 44 Minuten“, stellt er bei seiner Verabschiedung in Michelstadt fest. Und sagt voraus: „Dann werden wir alle eine Überraschung erleben.“Genau das fürchten auch Merkel und Bouffier und Hinz und Habeck. Mit allerdings sehr unterschiedlichen Begleitahnungen.