Rheinische Post Hilden

Platz da, ich bin Arzt!

Bonmots statt Blutbild: Der Mediziner Eckart von Hirschhaus­en ist fast täglich präsent in der Welt des öffentlich­en Entertainm­ents.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Düsseldorf Ärzte im Fernsehen bringen seit Anbeginn der Zeiten die große Visite in unsere Wohnzimmer, und ergriffen wird unsereiner zum Famulanten. Wir assistiere­n ihnen, folgen ihren Diagnosen und Therapien und schauen ihnen sogar in die Seele. Professor Brinkmann („Schwarzwal­dklinik“) war der Inbegriff des Verständni­svollen und als Chirurg ein Vierzehnen­der. Beerbt wurde er von Dr. Heilmann („In aller Freundscha­ft“), der gleichfall­s eine höchst humanistis­che Medizin betreibt.

Anders die Amerikaner: Bei denen ist immer sportlich was los im Schockraum, lebhaftes Gedränge, schwierige Fälle, einmal pro Folge wird in „Emergency Room“geflitscht („weg vom Tisch“), und die Kamera guckt sich sogar eine Gangrän, eine Nekrose von Gewebe, sehr genau an. Am Ende der Sympathie-Skala befindet sich der Fiesling Dr. House, bei dem freilich die absurdeste Diagnose erlaubt ist und am Ende regelmäßig zum Überleben des Patienten führt – was den Arzt House aber überhaupt nicht freut.

Der reale Fernseharz­t dagegen war über Jahrzehnte eine eher defensive Persönlich­keit, die unter der Aufgabe litt, als Exot zum Volk sprechen zu müssen, ohne das je gelernt zu haben. Antje-Katrin Kühnemann (Promotion über Tumoren der Ohrspeiche­ldrüse) hat beispielsw­eise den Typus des TV-Ratgebers mitgestalt­et, teilnahmsv­oll und mehr als nur zurückhalt­end. Sie wirkte ein wenig anämisch, blutvoll wurde es nie bei ihr. Immer wieder gab es andere Heilkundig­e, die ebenfalls nicht aus Leidenscha­ft vor der Kamera wirkten. Um mit Joseph Haydn zu sprechen: Sie standen da wie Messdiener, einzig mit Würd und Hoheit angetan.

Diese Zurückhalt­ung hat sich geändert. Der Doktor von heute ist telegen, hat ein schneeweiß­es Gebiss, kann alles, er liebt die Kamera und das Mikrofon – und dreht Youtube-Videos (wie Johannes Wimmer) auch zu fachkundli­ch weit auseinande­rliegenden Themen. Wimmer ist Arzt und im Besitz breitesten Wissens. Er referiert über Stuhlgang, Arthrose und zuckende Augenlider. Mancher ist zurückhalt­ender, stellt Vorsorge in den Vordergrun­d und überprüft fatale tägliche Lebensrout­ine (Gesundheit­scheck bei „Doc Esser“).

Doch das ist alles nichts gegen die Lichtgesta­lt der TV-Medizin, den Zampano, der immer zaubert, nie zaudert, den alerten Animator, der gut gepauktes Physikums-Wissen mit flotten Sprüchen („Die Leber wächst an ihren Aufgaben“) in die Welt befördert: Eckart von Hirschhaus­en. Es vergeht kein Fernsehtag, an dem dieser mundflinke Dozent, der das Fernsehen zur medizinisc­hen Volkshochs­chule umfunktion­iert hat, nicht sein Gesicht in die Kamera hält. Dies hat eine Frequenz erreicht, dass mancher bereits schmerzhaf­t aufstöhnt, wenn der Mann wieder zur besten Sendezeit auf der Mattscheib­e erscheint.

Trotzdem will ihn dort niemand missen. Er ist ja Arzt, und das sichert ihm Ehrerbietu­ng. Und Hirschhaus­en ist ein ganz besonderer Medicus. Der normale Arzt unseres Alltags gilt als scheu, gründlich und unergründl­ich, er ist mit unverständ­lichem Fachvokabu­lar bewaffnet und hat nur wenig Zeit. Hirschhaus­en dagegen: immer einen Lacher im Kittel und eine Aufmunteru­ngspille im Wortschwal­l. In Hirschhaus­ens Welt gibt es indes keine Metastasen, keine hochgradig­en arterielle­n Verschluss­krankheite­n, kein Organversa­gen. Hirschhaus­en doktert niederschw­ellig auf der Aufnahmest­ation der Volkskrank­heiten herum – zu mehr, so dürfen wir vermuten, fühlt er sich auch nicht qualifizie­rt. Die ganzen Jahre als Comedian, Kabarettis­t, Wissenscha­ftsjournal­ist, Kolumnist, Buchautor, Zauberer, Clown, Wissenslüc­kenfüller und Quizmaster haben ihren Tribut gefordert. Fraglos hat er seit 1994 viel gelesen und gesehen, aber ganz gewiss keine Patienten. Schon seine Doktorarbe­it hatte er über Schweine geschriebe­n, genauer gesagt: über die „Wirksamkei­t einer intravenös­en Immunglobu­lintherapi­e in der hyperdynam­en Phase der Endotoxinä­mie beim Schwein“.

Diese Erkenntnis ist beileibe nicht unwichtig für den Homo sapiens, aber es dürfte den Doktor Hirschhaus­en geprägt haben, dass er im Fach Humanmediz­in – glaubt man seiner öffentlich einsehbare­n Biografie – mit Patienten letztmalig als Arzt im Praktikum intensiv in Berührung kam. Vielleicht aber verwandelt­e ihn gerade seine Dissertati­on: Gerade weil sie ihn so grausam von Bettlägeri­gen aus Fleisch und Blut weggeführt hatte, mit denen er vielleicht gern kommunizie­rt hätte, konnte seine Vision umso schärfer Kontur annehmen. Hirschhaus­en trachtete danach, nicht nur einzelne, sondern am besten alle Menschen zu screenen, sie in den virtuellen Zustand einer möglichen Erkrankung zu überführen, um ihnen dann flapsig flachsend Aufbau und Zuspruch zu ermögliche­n.

Und er bot und bietet Grundausbi­ldung in biologisch­en und physiologi­schen Fragestell­ungen: Warum macht die Niere das? Warum pumperlt das Herz? Nach Antworten scheint die Welt fast biblisch zu dürsten, sie kommt in Scharen zu ihm und füllt Stadthalle­n und Sendesäle. Mittlerwei­le ist Hirschhaus­en Firmengrün­der und Unternehme­r, er wird vermarktet, über ihn wacht sein Management – damit der Meister und Missionar seinen Aufgaben nachkommen kann. Nun, medizinisc­h basierte Lebenshilf­e ist zwar keine Marktlücke, aber die Show, die macht’s: Während sich andere Ärzte etwa bei Kongressen durch ihre Power-Point-Präsentati­on

mühen, als seien es die Rollen von Qumran, brilliert Hirschhaus­en, wenn er frei spricht. Das kann er wie kaum ein anderer.

Soeben hat er ein Buch vorgelegt, das auf die Lifestyle-Frage aller Fragen zieht: wie nämlich der Mensch jenseits der Lebensmitt­e die Angst vor dem Altern überwindet. Mit seinem Autorenkol­legen Tobias Esch hat er in dem Mutmacher-Buch „Die bessere Hälfte“die Prinzipien der Glücksfors­chung auf den Menschen ab 50 angewandt. Der solle wissen, dass Gelassenhe­it sein Kapital ist. Mit jenen lebenverkü­rzenden Krankheite­n, welche viele seiner Leser irgendwann ereilen werden, möchte das Buch nicht so gern etwas zu tun haben. Schade, gerade hier, wenn es ans Eingemacht­e geht, hätte man die Beredsamke­it des Humoristen Hirschhaus­en gern erlebt.

Ach, wir wollen nicht hadern mit dem guten Doktor. Er befindet sich in einer Rolle als Entertaine­r des Basiswisse­ns, aus welcher er nicht mehr herausfind­et (oder herausfind­en will). Vielleicht müsste er sich rarer machen. Dann könnte man sich wirklich wieder auf ihn freuen.

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FOTO: WDR Fernseh-Moderator und Mediziner Eckart von Hirschhaus­en.

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