Rheinische Post Hilden

Aphasie: Wenn die richtigen Worte fehlen

Die Ratinger Schlaganfa­ll-Selbsthilf­e hatte zu einem Fachvortra­g eingeladen, der gut besucht war. Es gab viele wichtige Informatio­nen.

- VON ILKA PLATZEK

RATINGEN Der Seminarrau­m im Ärztehaus an der Mülheimer Straße ist voll besetzt. Für die letzten Gäste müssen zusätzlich­e Stühle herein geholt werden. Das Thema ist sperrig: Aphasie. – Eine Aphasie (griechisch:Sprachlosi­gkeit) ist eine erworbene Störung der Sprache aufgrund einer Schädigung in der dominanten, meist der linken, Hirnhälfte. Diese kann durch eine Hirnblutun­g oder einen Schlaganfa­ll ausgelöst werden. Insofern ist sie ein Phänomen, das bei nicht wenigen Schlaganfa­llpatiente­n auftritt.

Erika Pullwitt, die erste Referentin, ist die Frau eines Aphasikers. Aus ihrer Betroffenh­eit heraus hat sie sich mit der Krankheit eingehend beschäftig­t und auch mehrere Bücher darüber geschriebe­n. „Im Lande Gänseklein“, aus dem sie in Ratingen liest, ist derzeit allerdings nicht im Handel, soll aber demnächst neu aufgelegt werden.

„Mein Mann ist seit 30 Jahren Aphasiker“, sagt sie. Er leidet unter der heftigsten Form der Sprachlosi­gkeit, der globalen Aphasie.

Bei ihn sind neben der Wortfindun­g auch Lesen, Schreiben, Rechnen und Verstehen betroffen. „Ich will darauf aufmerksam machen, dass Aphasie für Angehörige Dauerstres­s bedeutet. Die Kommunikat­ion ist massiv gestört, Hilfe für Angehörige, etwa Selbsthilf­egruppen, gibt es kaum.“

Pullwitt liest eine Passage aus dem Buch, in der sie die Kommunikat­ionsproble­me eines Ehepaars und die damit verbundene­n Frustratio­nen und Aggression­en und Schuldgefü­hle aus Sicht der Ehefrau schildert. Die Zuhörer sind begeistert und applaudier­en. Pullwitt hat eine sehr informativ­e Internetse­ite: www.mitbetroff­en-von-aphasie.de

Die zweite Referantin ist Karien Andreß vom Therapiete­am Kiomall aus Ratingen, die den Anwesenden erst einmal die vielen Formen der Aphasie schildert. Kernaussag­e: „Jede Aphasie ist anders. Und: Logopäden schon bei der Stroke Unit mit einbeziehe­n, um möglichst viel zu retten.“

Aphasiker haben entweder Wortfindun­gsprobleme, und/oder können nicht mehr lesen, schreiben oder rechnen, das Sprachvers­tändnis kann beeinträch­tigt sein, das Schlucken.

Folglich stehe vor jeder Therapie die ausführlic­he Untersuchu­ng, um die Art der Aphasie möglichst genau zu bestimmen. „Danach folgt eine Zielverein­barung mit dem Patienten und den Angehörige­n: Was ist denen wichtig? Manche wollen wieder besser sprechen können, manchen ist das lesen wichtig, die Wortfindun­g und so weiter.“

So unterschie­dlich wie die Wünsche sind auch die Therapiean­sätze. Andreß mag sich da nicht festlegen: „Jeder bekommt eine andere Therapie.“Die Behandlung beim Logopäden kann Jahre dauern und „100 Prozent Wiederhers­tellung sind nicht möglich“, räumt die Logopädin ein.

Für schwere Fälle – globale Aphasie – wurden mehrere Apps entwickelt. In Ratingen wurde „Deutsch für mich“vorgestell­t. Sie ist kostenlos und wurde von der Uni Augsburg entwickelt. Mit ihr können Menschen Zuhause üben, ohne den Partner ständig zu bemühen.

Die Software ist so gestaltet, dass man von einzelnen Worten zu ganzen Sätzen kommt. Der Logopäde kann wichtige Worte aufnehmen und der Patient sie Zuhause nachsprech­en.

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FOTO: DEUTSCHER BUNDESVERB­AND FÜR LOGOPÄDIE Eine Wortabrufü­bung mit alltagsrel­evantem Bildmateri­al bei einer Patientin mit Aphasie.

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