Wo sich die Wahl entscheidet
Pennsylvania galt lange als blauer Wall – nach der Parteifarbe der Demokraten. Trotzdem triumphierte hier 2016 Donald Trump. Die „Midterms“bieten nun die Chance für eine Revanche.
MONESSEN Die Schaufel eines Abrissbaggers schlägt gegen eine rotbraune Ziegelwand. Auf einem Rasenstück liegt verrottetes Holz, aufgeweicht, weil das Haus nur noch Fragmente eines Dachs hatte. Es ist eine der ersten Ruinen, die Lou Mavrakis abreißen lässt, der Direktor für Stadtentwicklung in Monessen. Etwa 400 weitere gibt es in seiner Stadt. Eine der hässlichsten, zentral gelegen an der Schoonmaker Avenue, der einstigen Geschäftsstraße mit ihren nunmehr zerbrochenen Schaufenstern und verrammelten Läden, kann er endlich verschwinden lassen. Ein Lichtblick, aber nur ein kleiner.
Mavrakis, ein Leben lang Anhänger der Demokraten, eine Weile Gewerkschaftsfunktionär, hat auf Donald Trump gesetzt, eher aus Verzweiflung denn aus Überzeugung. Vor der Wahl 2016 schrieb er an Barack Obama, zweimal, mit der Bitte um schnelle Hilfe für seine notleidende Gemeinde. Da eine Antwort ausblieb, lud er schließlich Trump nach Monessen ein. Mavrakis war damals Bürgermeister, und der Populist bekam eine Kulisse, die zu seiner Botschaft passte, als hätte Hollywood sie extra dafür in die Landschaft gesetzt. Zwischen erkalteten Schloten konnte er den Rächer der Abgehängten geben, der die vergessenen Männer und Frauen in den vergessenen Stahltälern aus ihrem Elend erlöst.
In den zwei Jahren seit seinem Wahlsieg hat sich so gut wie nichts verändert in der krisengebeutelten Stadt. An der Schoonmaker Avenue sieht es noch immer aus wie nach einem Luftangriff. Mavrakis verlor seinen Bürgermeisterposten, weil ihm Wähler, die auf ein Wunder gehofft hatten, die Nähe zu Trump nachträglich übel nahmen. Inzwischen leitet der ehemalige Stahlkocher die örtliche „Re-Development Authority“, was in der Praxis nichts anderes bedeutet, als Ruinen niederzureißen, ohne zu wissen, was an ihrer
Stelle entsteht. Er hat 300.000 Dollar aufgetrieben, um wenigstens mit dem Zertrümmern beginnen zu können. Aus dem Weißen Haus, sagt Mavrakis, habe er so wenig gehört wie vor der Wahl Trumps.
Wer glaubt, angesichts enttäuschter Hoffnungen werde er nun zurückkehren ins alte Lager, den belehrt er schnell eines Besseren. „Das System ist schuld, der ganze Laden in Washington, da funktioniert doch nichts mehr“, wettert er. Der Präsident tue ja, was er könne. Seine Stahlzölle hätten in Monessen zwar keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, doch immerhin alte gesichert. Knapp 200 Jobs in einer Kokerei, die es ohne Zollschranken vielleicht auch nicht mehr gäbe. So sieht es Mavrakis, zudem gefällt ihm Trumps rigorose Härte gegenüber Migranten. „Mein Vater kam aus Griechenland, mit gültigen Papieren, und natürlich hat er gleich angefangen, Englisch zu lernen. Heute erwarten all diese Mexikaner, dass jeder hier Spanisch spricht.“
Vor der Wahl 2016 galt Pennsylvania als blauer Wall, blau nach der Parteifarbe der Demokraten, der dem Kandidaten der Republikaner den Weg nach Washington versperren würde wie eine unüberwindbare Mauer. Bekanntlich kam es anders. Weil Pennsylvania zu den Rust-Belt-Staaten gehörte, die Trump den Vorzug vor Hillary Clinton gaben, sitzt der Unternehmer heute im Oval Office. Umso mehr hoffen die Demokraten, dass bei den „Midterms“am Dienstag eine blaue Welle durch Pennsylvania rollt. Dann werden in den USA alle Abgeordneten des Repräsentantenhauses und etwa ein Drittel der Senatoren neu gewählt.
Somerset, eine Kleinstadt im Allegheny-Gebirge. In der Nähe hat ein Kohlebergwerk seinen Betrieb aufgenommen, eine Premiere, wie es sie in Pennsylvania lange nicht
Ggab. Im Keller einer Versicherungsagentur trifft sich die Ortsgruppe der Republikaner. Aufkleber für Autostoßstangen liegen bereit, auf denen steht: „Donald Trump 2020“. Bruce Hottle hat nichts auszusetzen an der Arbeit des Präsidenten: „Er macht exakt das, was er versprach.“Hottle ist Besitzer einer kleinen Fabrik, die Betonfertigteile für Autobahnen und Abwassersysteme herstellt. Alles, schwärmt er, sei unter Trump besser geworden, die Auftragslage, die Stimmung, die Bürokratie. Indem Trump Vorschriften lockere und Verordnungen streiche, bleibe ihm, Bruce Hottle, jede Menge Papierkram erspart.
Soll am Dienstag eine blaue Welle über Pennsylvania hinwegrollen, dann müsste sie auch Media erfassen. Eine Siedlung im Speckgürtel um Philadelphia, Einfamilienhäuser, sehr große Garagen, idyllisch gelegen zwischen Pferdekoppeln und Apfelgärten. In Media lebt die obere Mittelschicht, normalerweise stehen Demokraten hier auf verlorenem Posten. Diesmal, hofft Mary Gay Scanlon, könnte sich das ändern. Weshalb sie, das blonde Haar unkompliziert zum Pferdeschwanz zusammengebunden, zwischen bunt gefärbten Laubbäumen von Tür zu Tür zieht. Immer wieder treffe sie Republikaner, die ihr anvertrauten, dass sie ihre Partei nicht mehr wiedererkennen, nicht in der Sprache Donald Trumps, erzählt Scanlon. „Ja, in dem Sinne wird es wohl eine Abstimmung über Trump.“
Mit seinen frauenfeindlichen Sprüchen, der Hetze gegen Migranten und der Verharmlosung sexueller Übergriffe hat der Präsident eine Rekordzahl von Frauen dazu gebracht, sich für ein Mandat im Repräsentantenhaus zu bewerben. 197 sind es bei den Demokraten, fast die Hälfte aller Kandidaten der Partei. Viele sind neu auf der politischen Bühne, so wie Mary Gay Scanlon, 60 Jahre alt, Rechtsanwältin, dreifache Mutter. Sie sei angetreten, weil sie das Gefühl hatte, alles, wofür sie gearbeitet habe, werde auf einmal infrage gestellt. „Wir haben eine Regierung, deren Führung nicht an den Rechtsstaat zu glauben scheint, nicht an Fair Play, nicht an Chancengleichheit. Das ist nicht Amerika.“Außerdem wolle man doch, dass Heranwachsende aufschauen könnten zu den Leuten an der Spitze des Staates. „Stattdessen haben wir eine Regierung, die sich bei jedem Streit in die Gosse begibt“, schimpft die Juristin.
Allein im Speckgürtel um Philadelphia sind es vier Kandidatinnen, die für die Demokraten ins Abgeordnetenhaus aufrücken wollen. Vier Praktikerinnen, wie Scanlon betont. „Wenn wir vier nach Washington schauen, fragen wir uns, warum immer so viel Ego im Spiel sein muss. So viel männliches Ego“, sagt sie noch, bevor sie weiterzieht. In ihrem Wahlkampfbüro hängt an einer gelben Wandzeitung ein alarmierender Spruch. „Geht wählen, als hinge das Leben eurer Kinder davon ab!“
Pennsylvania