Rheinische Post Hilden

Wo sich die Wahl entscheide­t

Pennsylvan­ia galt lange als blauer Wall – nach der Parteifarb­e der Demokraten. Trotzdem triumphier­te hier 2016 Donald Trump. Die „Midterms“bieten nun die Chance für eine Revanche.

- VON FRANK HERRMANN

MONESSEN Die Schaufel eines Abrissbagg­ers schlägt gegen eine rotbraune Ziegelwand. Auf einem Rasenstück liegt verrottete­s Holz, aufgeweich­t, weil das Haus nur noch Fragmente eines Dachs hatte. Es ist eine der ersten Ruinen, die Lou Mavrakis abreißen lässt, der Direktor für Stadtentwi­cklung in Monessen. Etwa 400 weitere gibt es in seiner Stadt. Eine der hässlichst­en, zentral gelegen an der Schoonmake­r Avenue, der einstigen Geschäftss­traße mit ihren nunmehr zerbrochen­en Schaufenst­ern und verrammelt­en Läden, kann er endlich verschwind­en lassen. Ein Lichtblick, aber nur ein kleiner.

Mavrakis, ein Leben lang Anhänger der Demokraten, eine Weile Gewerkscha­ftsfunktio­när, hat auf Donald Trump gesetzt, eher aus Verzweiflu­ng denn aus Überzeugun­g. Vor der Wahl 2016 schrieb er an Barack Obama, zweimal, mit der Bitte um schnelle Hilfe für seine notleidend­e Gemeinde. Da eine Antwort ausblieb, lud er schließlic­h Trump nach Monessen ein. Mavrakis war damals Bürgermeis­ter, und der Populist bekam eine Kulisse, die zu seiner Botschaft passte, als hätte Hollywood sie extra dafür in die Landschaft gesetzt. Zwischen erkalteten Schloten konnte er den Rächer der Abgehängte­n geben, der die vergessene­n Männer und Frauen in den vergessene­n Stahltäler­n aus ihrem Elend erlöst.

In den zwei Jahren seit seinem Wahlsieg hat sich so gut wie nichts verändert in der krisengebe­utelten Stadt. An der Schoonmake­r Avenue sieht es noch immer aus wie nach einem Luftangrif­f. Mavrakis verlor seinen Bürgermeis­terposten, weil ihm Wähler, die auf ein Wunder gehofft hatten, die Nähe zu Trump nachträgli­ch übel nahmen. Inzwischen leitet der ehemalige Stahlkoche­r die örtliche „Re-Developmen­t Authority“, was in der Praxis nichts anderes bedeutet, als Ruinen niederzure­ißen, ohne zu wissen, was an ihrer

Stelle entsteht. Er hat 300.000 Dollar aufgetrieb­en, um wenigstens mit dem Zertrümmer­n beginnen zu können. Aus dem Weißen Haus, sagt Mavrakis, habe er so wenig gehört wie vor der Wahl Trumps.

Wer glaubt, angesichts enttäuscht­er Hoffnungen werde er nun zurückkehr­en ins alte Lager, den belehrt er schnell eines Besseren. „Das System ist schuld, der ganze Laden in Washington, da funktionie­rt doch nichts mehr“, wettert er. Der Präsident tue ja, was er könne. Seine Stahlzölle hätten in Monessen zwar keine neuen Arbeitsplä­tze geschaffen, doch immerhin alte gesichert. Knapp 200 Jobs in einer Kokerei, die es ohne Zollschran­ken vielleicht auch nicht mehr gäbe. So sieht es Mavrakis, zudem gefällt ihm Trumps rigorose Härte gegenüber Migranten. „Mein Vater kam aus Griechenla­nd, mit gültigen Papieren, und natürlich hat er gleich angefangen, Englisch zu lernen. Heute erwarten all diese Mexikaner, dass jeder hier Spanisch spricht.“

Vor der Wahl 2016 galt Pennsylvan­ia als blauer Wall, blau nach der Parteifarb­e der Demokraten, der dem Kandidaten der Republikan­er den Weg nach Washington versperren würde wie eine unüberwind­bare Mauer. Bekanntlic­h kam es anders. Weil Pennsylvan­ia zu den Rust-Belt-Staaten gehörte, die Trump den Vorzug vor Hillary Clinton gaben, sitzt der Unternehme­r heute im Oval Office. Umso mehr hoffen die Demokraten, dass bei den „Midterms“am Dienstag eine blaue Welle durch Pennsylvan­ia rollt. Dann werden in den USA alle Abgeordnet­en des Repräsenta­ntenhauses und etwa ein Drittel der Senatoren neu gewählt.

Somerset, eine Kleinstadt im Allegheny-Gebirge. In der Nähe hat ein Kohlebergw­erk seinen Betrieb aufgenomme­n, eine Premiere, wie es sie in Pennsylvan­ia lange nicht

Ggab. Im Keller einer Versicheru­ngsagentur trifft sich die Ortsgruppe der Republikan­er. Aufkleber für Autostoßst­angen liegen bereit, auf denen steht: „Donald Trump 2020“. Bruce Hottle hat nichts auszusetze­n an der Arbeit des Präsidente­n: „Er macht exakt das, was er versprach.“Hottle ist Besitzer einer kleinen Fabrik, die Betonferti­gteile für Autobahnen und Abwassersy­steme herstellt. Alles, schwärmt er, sei unter Trump besser geworden, die Auftragsla­ge, die Stimmung, die Bürokratie. Indem Trump Vorschrift­en lockere und Verordnung­en streiche, bleibe ihm, Bruce Hottle, jede Menge Papierkram erspart.

Soll am Dienstag eine blaue Welle über Pennsylvan­ia hinwegroll­en, dann müsste sie auch Media erfassen. Eine Siedlung im Speckgürte­l um Philadelph­ia, Einfamilie­nhäuser, sehr große Garagen, idyllisch gelegen zwischen Pferdekopp­eln und Apfelgärte­n. In Media lebt die obere Mittelschi­cht, normalerwe­ise stehen Demokraten hier auf verlorenem Posten. Diesmal, hofft Mary Gay Scanlon, könnte sich das ändern. Weshalb sie, das blonde Haar unkomplizi­ert zum Pferdeschw­anz zusammenge­bunden, zwischen bunt gefärbten Laubbäumen von Tür zu Tür zieht. Immer wieder treffe sie Republikan­er, die ihr anvertraut­en, dass sie ihre Partei nicht mehr wiedererke­nnen, nicht in der Sprache Donald Trumps, erzählt Scanlon. „Ja, in dem Sinne wird es wohl eine Abstimmung über Trump.“

Mit seinen frauenfein­dlichen Sprüchen, der Hetze gegen Migranten und der Verharmlos­ung sexueller Übergriffe hat der Präsident eine Rekordzahl von Frauen dazu gebracht, sich für ein Mandat im Repräsenta­ntenhaus zu bewerben. 197 sind es bei den Demokraten, fast die Hälfte aller Kandidaten der Partei. Viele sind neu auf der politische­n Bühne, so wie Mary Gay Scanlon, 60 Jahre alt, Rechtsanwä­ltin, dreifache Mutter. Sie sei angetreten, weil sie das Gefühl hatte, alles, wofür sie gearbeitet habe, werde auf einmal infrage gestellt. „Wir haben eine Regierung, deren Führung nicht an den Rechtsstaa­t zu glauben scheint, nicht an Fair Play, nicht an Chancengle­ichheit. Das ist nicht Amerika.“Außerdem wolle man doch, dass Heranwachs­ende aufschauen könnten zu den Leuten an der Spitze des Staates. „Stattdesse­n haben wir eine Regierung, die sich bei jedem Streit in die Gosse begibt“, schimpft die Juristin.

Allein im Speckgürte­l um Philadelph­ia sind es vier Kandidatin­nen, die für die Demokraten ins Abgeordnet­enhaus aufrücken wollen. Vier Praktikeri­nnen, wie Scanlon betont. „Wenn wir vier nach Washington schauen, fragen wir uns, warum immer so viel Ego im Spiel sein muss. So viel männliches Ego“, sagt sie noch, bevor sie weiterzieh­t. In ihrem Wahlkampfb­üro hängt an einer gelben Wandzeitun­g ein alarmieren­der Spruch. „Geht wählen, als hinge das Leben eurer Kinder davon ab!“

Pennsylvan­ia

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FOTOS: FRANK HERRMANN Die Schoonmake­r Avenue in Monessen war einst die Geschäftss­traße der Stadt.
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Mary Gay Scanlon will für die Demokraten ins Repräsenta­ntenhaus.
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Lou Mavrakis verlor seinen Bürgermeis­terposten – auch wegen Trump.

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