Rheinische Post Hilden

Neuigkeite­n vom letzten Rock-Poeten

Ein neuer Roman und alle Gedichte frisch im Schuber: Wolf Wondratsch­ek zu lesen, bleibt ein Erlebnis.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

WIEN Man kann sich diesen Augenblick nicht poetisch genug vorstellen: Wie Wolf Wondratsch­ek durchs Dezember-kalte und schon dunkle Wien stromert, wie er in einem Antiquaria­t landet und plötzlich dieses Bändchen in den Händen hält mit vier Erzählunge­n von Vladimir Nabokov. 1996 war das, und danach sei nichts mehr so wie vorher gewesen, sagt er. „Es war ein Erlebnis, das in meinem Leben alles verändert hat.“So geht die Dichter-Legende – von ihm selbst erzählt. Seither ist

„Wer gefallen will, hat in der Literatur nichts verloren“

Wolf Wondratsch­ek Schriftste­ller

Wondratsch­ek also Nabokov und seiner Erzählkuns­t auf der Spur. Kein Tag ohne Nabokov-Lektüre und ohne Verbeugung. Und kaum ein Tag ohne eigene Prosa; und was für eine Prosa, die dem großen Russen möglichst nahe kommen soll. Nabokov hat aus dem Dichter und vielleicht letzten Rock-Poeten Wondratsch­ek den Stil-sensiblen Erzähler werden lassen.

Die jüngste Schöpfung dieser Metamorpho­se ist der Roman „Selbstbild mit russischem Klavier“. Eine Geschichte über einen einst bedeutende­n Pianisten aus Russland namens Suvorin, den der Erzähler in einem Kaffeehaus zu Wien trifft. Dieses Buch ist eine solche Sprachschö­nheit; es könnte es glatt zum Literature­reignis des Jahres bringen, wäre es nicht von diesem Wondratsch­ek und darum immer auch dezent verdächtig. Wie aber der Poet erst einmal reinen Tisch macht, bevor die Geschichte beginnt in diesem Roman, ist famos: „Im Kaffeehaus. Alle Tische besetzt. Alle Witze erzählt. Alle Zeitungen gelesen. Fremde und einheimisc­he. Die Kellner tanzen. Die Lust eine brennende Zigarre. An meinem Tisch ein Russe.“Dieser Suvorin ist einer, der Applaus verabscheu­te und den Mächtigen seines Staates dadurch bald verdächtig und zu einem Staatsfein­d wurde. Von da an ging es so steil bergab, bis die Existenz an nichts mehr erinnerte, was früher gewesen ist. Alles der Kunst zuliebe und der vollkommen­en Schönheit.

„Wer gefallen will, hat auf einem Konzertpod­ium nichts verloren“, heißt die hohe Lehre des Kunstschaf­fenden. Das ist auch eine Wondratsch­ek-Lehre. „Wer gefallen will, soll Bestseller schreiben und hat in der Literatur nichts zu suchen“, sagt er im Gespräch. Ihm sei es völlig egal, ob er Leser habe, hat er immer wieder betont, und nie zu leise, damit es auch möglichst viele, ach was: damit es alle hören. Geräuschlo­s sind seine scheinbare­n Marktverwe­igerungen jedenfalls nie über die Bühne gegangen.

Etwa seine Berliner Verkaufsau­sstellung mit einigen lyrischen Unikaten von ihm zum Einzelprei­s von je 9800 Euro. Oder sein Roman „Selbstbild mit Ratte“, dessen einziges Exemplar er vor vier Jahren an einen privaten Mäzen verhökerte – für 40.000 Euro. Ein Buch, ein Leser – kein Bestseller. So etwas leistet sich einer, der seit seinem spektakulä­ren, gar von Marcel Reich-Ranicki gerühmten Debüt „Früher begann der Tag mit einer Schusswund­e“1969 praktisch nie erfolglos war.

Sein Leben und Arbeiten ist randvoll solcher Geschichte­n. Wondratsch­ek, der schon als Kind schreiben wollte und folglich kaum abwarten konnte, erwachsen, Dichter, verliebt und arm zu sein. Eine erste Chance dazu bot sich ihm früh, genauer: Er ergriff sie mit 15, als er die Schule schmiss und nach Paris türmte. Was für ein Leben! Und mit „Cantos“von Ezra Pound in der Tasche unter den Brücken der Seine Schulter an Schulter mit anderen Entlaufene­n pennen. Alles war richtig damals. Und wahr. Zwar sei er auch in Paris ein Schüler geblieben, allerdings mit einem ganz anderen Lehrplan, seinem eigenen. „Ich wollte nie mehr schlafen müssen“, erinnerte er sich. „Ich war darauf gefasst, dass ein Leben, das diesen Namen verdient, kurz sein müsse.“

Wondratsch­ek, der bad boy, der sich am Boxring rumtrieb und sich im entspreche­nden Milieu pudelwohl fühlte, der mit texanische­n Cowboy-Stiefeln aus Krokodilha­ut breitbeini­g durch die Straßen lief als käme er gerade vom Schusswech­sel. Wondratsch­ek, der von Diogenes angeheuert wurde und dem Verleger zur Bedingung machte, dafür ein Abendessen mit Friedrich Dürrenmatt zu bekommen (was dann

in der piekfeinen Züricher Kronenhall­e auch stattfand).

Wondratsch­ek, der beim nächsten Buch bei Diogenes gleich wieder rausflog, weil er diesmal nicht mit Geld, sondern tatsächlic­h mit Gold entlohnt werden wollte. Ohnehin fühlte er sich beim renommiert­en Verlag nicht mehr ganz so wohl. Dort, wo auch Paulo Coelho und Donna Leon veröffentl­icht werde, habe er nichts mehr zu suchen gehabt, sagt er. Eine ziemlich pompöse Geste; eine typische Wondratsch­ek-Geste.

Vor kurzem ist er 75 geworden, und sein Verlag hat das groß gefeiert. Doch ein Rock-Poet ist er geblieben. Ein echter Dichter, immer aus der Zeit gefallen, wie es sich für einen gehört, der zeitlos schreiben will. Das kann man ganz in Ruhe nachlesen, in den 13, jetzt frisch veröffentl­ichten Bänden seiner gesammelte­n Lyrik. Freches und Rauhes, Ungehobelt­es, Feinsinnig­es, Verliebtes. „Ich brauche dich / Ich hänge in der Luft / Und du kannst fliegen“. Sollte und müsste man alles lesen.

Vielleicht könnte man im kommenden Jahr Wolf Wondratsch­ek einfach mal alle Literaturp­reise hierzuland­e verleihen (von denen er etliche auch verdient hätte) und schauen, was dann passiert. Wahrschein­lich würde er sich freuen, dass ihm diese Ehre mit 75 Jahren zuteil würde und so noch Zeit genug bliebe, all die schönen Preisgelde­r ordentlich durchzubri­ngen.

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FOTO: LAIF Der Schriftste­ller Wolf Wondratsch­ek in Berlin.

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