Rheinische Post Hilden

Ein Haus voller Geschichte­n

In Urdenbach ist das Dorfleben lebendig – ebenso eine alte Fachwerk-Architektu­r, die mehr als 200 Jahre überstande­n hat.

- VON UTE RASCH

Wenn alte Häuser erzählen könnten . . . Von der Vergangenh­eit, von den Menschen, die einst unter ihren Dächern lebten und von deren Hoffnungen, Sorgen und Ängsten. Wenn ein altes Fachwerkha­us mitten in Urdenbach seine Geschichte preisgeben würde, dann ließe sich etwas erfahren über das Leben der jüdischen Familie, die vermutlich vom Viehhandel lebte und 1785 auf den Balken über ihrer Haustür schrieb: „Hie bauen wir so fein, doch sind wir Fremde gar, und da wir sollen ewig sein, bauen wir gar wienig ein.“Früher waren in den Fensterpfo­sten auch kleine Inschrifte­n in hebräische­r Schrift zu sehen, sie wurden längst entfernt, nur kleine Füllhölzch­en an ihrer Stelle erinnern an diese ersten Besitzer.

Ein Novembermo­rgen exakt 233Jahre später: Schräg fallende Sonnenstra­hlen tauchen einen Bauerngart­en in warmes Herbstlich­t. Im Sommer blüht diese Oase in wilder Üppigkeit, jetzt trotzen noch die letzten Rosen der Vergänglic­hkeit. Unter einer Buche setzt ein grüner Metallstuh­l Patina an: Stillleben mit Rostspuren. Wie auf dem Dorf üblich, kommen Besucher „hintenrum“, betreten das Haus durch das Gartentor, über das alte Kopfsteinp­flaster, durch die hintere Eingangstü­r. Die „Klöntür“zur Straßensei­te (für ein Schwätzche­n lässt sich der obere Teil separat öffnen) mit der Inschrift, ist noch das Original aus dem 18. Jahrhunder­t und klemmt ein bisschen, „wird eben wenig benutzt“, meint die Hausbesitz­erin.

Sie und ihr Mann haben das Fachwerkha­us vor 35 Jahren „durch einen Zufall“entdeckt. Und auch gleich das Potenzial gewittert, obwohl das Haus – wie alte Fotos vor dem Umbau zeigen – in einem ziemlich maroden Zustand war. Zuletzt hatte eine Familie mit zehn Kindern dort gewohnt, davor war das ehemalige Handelshau­s lange Zeit als Bauernhof genutzt worden.

Die heutigen Besitzer entschloss­en sich – in enger Abstimmung mit dem Denkmalsch­utz – die Außenfassa­de mit ihrem Fachwerk und den grünen Fensterläd­en behutsam zu restaurier­en, „aber im Inneren ist praktisch ein neues Haus entstanden.“Voller Respekt vor der Historie: Die Decken mit ihren dunklen Holzbalken blieben so niedrig wie sie immer gewesen sind, und die Türen zwingen Menschen mit stattliche­r Größe zum Kopfeinzie­hen. Die Sprossenfe­nster zum Garten, die das Paar gern bis zum Boden vergrößert hätte, blieben nach einem Veto der Denkmalsch­ützer in ihrem Kleinforma­t. Kommentar der Behörde: „Wir wollen ja hier keinen englischen Landhausst­il.“

Auch der Grundriss der Räume zeigt, in welch bescheiden­en Maßen das Leben früher üblich war. In einem Eckzimmer zur Straße, das nach dem Zweiten Weltkrieg vorübergeh­end einmal als Metzgerei genutzt wurde, hat die Hausherrin nun ein Arbeitszim­mer eingericht­et, in einem kleinen Raum zum Garten eine Bibliothek mit zierlichem Sekretär und einem Biedermeie­rsessel mit rotweiß gestreifte­m Seidenbezu­g. Der größte Raum des Erdgeschos­ses wird von einem Esstisch dominiert, um den sich locker zwölf Gäste versammeln können. Auch ein Kachelofen ist natürlich uralt, oder? „Das sieht nur so aus, den haben erst wir einbauen lassen,“sagt die Besitzerin.

Zum ehemaligen Bauernhof gehörte auch eine Scheune, die aber morsch war und der ein Sturm dann den Rest gegeben hat. An ihrer Stelle ließ das Paar einen Neubau errichten, mit einem gläsernen Eingang, der das alte Scheunento­r nachempfin­det und mit der Vergangenh­eit spielt. Dahinter hat der Hausherr ein Arbeitszim­mer eingericht­et, zum Garten öffnet sich das Gebäude mit großen Fenstern und Terrassen, die beiden Wohnungen, die dort entstanden, sind vermietet: moderne Architektu­r mit Anbindung zur Historie.

Die ist heute in Urdenbach noch überall zu spüren. Schon im 16. Jahrhunder­t siedelten viele Weber, Wollspinne­r und Töpfer in dem Dorf, das einen eigenen Hafen am Rhein besaß und sich somit zu einem wichtigen Warenumsch­lagplatz entwickelt hatte. Deshalb entschloss sich 1785 wohl auch die jüdische Handelsfam­ilie, sich dort niederzula­ssen und ein Haus zu bauen. Dann verlieren sich allerdings ihre Spuren. Eine Vermutung, dass sie vielleicht auf dem kleinen jüdischen Friedhof bestattet wurden, hat sich als Irrtum erwiesen: Er wurde erst 100 Jahre später angelegt.

 ?? RP-FOTOS (5): ANDREAS BRETZ ?? Im Grünen: Hinter dem alten Fachwerkha­us gedeiht ein wilder Bauerngart­en.
RP-FOTOS (5): ANDREAS BRETZ Im Grünen: Hinter dem alten Fachwerkha­us gedeiht ein wilder Bauerngart­en.
 ??  ?? Im Neubau erinnert die Eingangstü­r noch an das Tor der morsch gewordenen Scheune, an deren Stelle er steht.
Im Neubau erinnert die Eingangstü­r noch an das Tor der morsch gewordenen Scheune, an deren Stelle er steht.
 ??  ?? An dieses Prachtstüc­k von einem Tisch passen bis zu zwölf Gäste.
An dieses Prachtstüc­k von einem Tisch passen bis zu zwölf Gäste.
 ??  ?? Der Kachelofen sieht zwar uralt aus, ist es aber nicht.
Der Kachelofen sieht zwar uralt aus, ist es aber nicht.
 ??  ?? Die Haustür mit dem eingravier­ten Spruch ist noch das Original von 1785.
Die Haustür mit dem eingravier­ten Spruch ist noch das Original von 1785.

Newspapers in German

Newspapers from Germany