Für die französischen Klänge im Leben
Eine neue 13-CD-Box ist dem bedeutenden, 1891 in Straßburg geborenen Dirigenten Charles Munch gewidmet.
Der Elsässer Charles Munch (ursprünglich „Münch“geschrieben) gehörte zur Dirigenten-Garde, die noch mit ein paar großen Komponisten des späten 19. Jahrhunderts in Kontakt gekommen ist. Munch war Zeitgenosse von Maurice Ravel und leitete Uraufführungen vieler Werke vorrangig französischer Komponisten: Albert Roussel, Arthur Honegger, Henri Dutilleux. Honegger titulierte Munch gar als „besten Dirigenten aller Zeiten“. Jetzt hat das Label Warner eine Box mit 13 CDs herausgebracht – zum 50. Todestag des französischen Pultstars.
In der Schatulle befinden sich vor allem Aufnahmen französischer Werke des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die Einspielungen stammen großenteils aus den 60er Jahren und sind aufnahmetechnisch exzellent. Munchs Dirigat ist exakt, reich an Akzenten, aber vollkommen schnörkellos. Mätzchen und Effekthascherei gibt es hier nicht. Bestes Beispiel: Die „Symphonie fantastique“von Hector Berlioz. Wie viele Dirigenten lassen im Hexen-Finale die Flöte mit betont schauerlichem Glissando abgleiten! Solche Äußerlichkeiten sind Munch fremd. Doch dann entfesselt er mit dem Orchestre de Paris ein „Dies irae“, dass die Erde bebt. Der Dirigent muss dabei nicht forcieren, weil er den gesamten Zündstoff der Partitur ausfindig macht und gezielt einsetzt für eine explosive Darbietung.
Von der Klarheit des Dirigierstils profitieren auch Ravel-Kompositionen wie die Suite Nr. 2 aus „Daphnis et Chloé“und das Klavierkonzert G-Dur. Die groß angelegte Steigerung des luftig sprudelnden Beginns der Suite gelingt dem Pariser Orchester unter Munchs Stabführung vollkommen natürlich. Nichts wirkt erzwungen, sondern scheint wie von selbst zu geschehen. Für solche Momente mag der Titel „Pult-Magier“erfunden worden sein. Vorzüglich auch das G-Dur-Konzert: Am Klavier sitzt eine Ravel-Spezialistin der Nachkriegszeit: Nicole Henriot-Schweitzer. Ihr Spiel passt zum Dirigat: Es ist geprägt von starken Kontrasten zwischen zupackendem Anschlag und sehr sanften, gefühlvollen Klängen, die aus dem Instrument strömen. Auch hier ist der Hörer befreit von falschen Pointen.
Trotz der Gradlinigkeit wirken die Darbietungen nie geglättet. Man gewinnt nicht den Eindruck wie manchmal bei Herbert von Karajan, dass der Dirigent einen Schönheitspreis gewinnen will. Deutlich wird das bei einer der wenigen deutschen Kompositionen in der Box, der Symphonie Nr. 1 von Johannes Brahms. Eisern lässt er das Orchester durch den paukenden Beginn marschieren, verzichtet auf Tempo-Schwankungen, als regiere hier das Metronom. Und doch steckt alles voller Leben – magische Momente, die ebenso stark wie unbeschreiblich sind. Zu starkem Impetus findet das Orchester auch im Finalsatz, der beim Hören so prächtig um die Ohren fliegt, dass eventueller Überdruss an dem vielleicht zu häufig aufgeführten Gipfelwerk der Romantik hinwegweht.
Munch ist der etwas aus dem Fokus geratene Weltklasse-Dirigent des mittleren 20. Jahrhunderts. Für den Schatten eines Karajan, Solti, Furtwängler und Klemperer ist er aber zu schade. Die Hommage-Box wirft wieder ein Licht auf den klugen, energischen, aber nie mit Blendwerk hantierenden Gestalter romantischer Orchestermusik.
Info „Charles Munch – The Complete Recordings on Warner Classics“, Box mit 13 CDs, Warner Classics, ca. 35 Euro.