Ein gemeinsames Leben, zwei Wohnorte
Sie lebt in der gemeinsamen Wohnung in Eller, er lebt in der „Kirschblüte“in Gerresheim, einer Wohngemeinschaft für Demenzkranke.
Sie sind ein spätes Paar. Ihre Liebesgeschichte begann, als beide schon Anfang 60 waren. Vielleicht haben sie deshalb ihr Glück besonders genossen, die intensiven Jahre mit vielen Reisen. „Wir waren immer unterwegs, immer zusammen“, sagt Margret Schaus (80) und lächelt tapfer. Jetzt führen sie ein Leben an zwei Orten: Sie wohnt immer noch in der gemeinsamen Wohnung in Eller, ihr Mann Friedrich Wend (79) in einer Wohngemeinschaft für Demenzkranke der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Gerresheim. Doch jeden Nachmittag verbringt das Paar miteinander, Händchenhaltend – „wie früher im Konzertsaal“.
„La Traviata“füllt den Raum. Die großen Opern, sie gehören zu den gemeinsamen Vorlieben des Paares. Friedrich Wend hat in jungen Jahren mal Gesang studiert, träumte von einer Karriere als Opernsänger. Auch wenn daraus nichts geworden ist, die Liebe zur Musik blieb. Und wenn das Paar nachmittags aus seinem reichen Fundus klassische Musik hört, oft in historischen Aufnah-
Das ist hier total familiär, ein bisschen so wie zu Hause.
Margret Schaus
men, dann summt er leise mit.
Sein Zimmer in der „Kirschblüte“an der Gräulinger Straße ist nur knapp 15 Quadratmeter groß, nichts im Vergleich zu der gemeinsamen Wohnung des Paares. Aber es bietet Raum genug für all das, was nun unverzichtbar ist: neben dem Pflegebett ist Platz für seinen Rollstuhl und ihr kleines Sofa, an der Wand hängt eine Familien-Collage – gerahmte Erinnerung. Jeder der zwölf Bewohner, die in zwei Wohngruppen leben, kann mitbringen, was wichtig ist, um das Zimmer so persönlich zu gestalten wie möglich. Neben diesem Rückzugsort sollen alle an der Gemeinschaft teilhaben, zusammen am großen Tisch essen, und wer kann, hilft in der offenen Küche bei der Zubereitung der Mahlzeiten – oder beim Plätzchenbacken.
Es ist jetzt zwölf Jahre her, als Margret Schaus erste Zeichen von Veränderung bei ihrem Mann bemerkte. Bald darauf lautete die Diagnose: Parkinson. Einige Zeit später erkrankte Friedrich Wend auch an Demenz. Lange Zeit versorgte ihn seine Frau mit Unterstützung eines ambulanten Pflegedienstes zu Hause, bis sie sich vor zweieinhalb Jahren „schweren Herzens“entschloss, ihn in die Obhut eines Düsseldorfer Pflegeheims zu geben. Ein gutes Gefühl hatte sie dabei nicht, „vor allem, als man mir untersagte, bei der Pflege dabei zu sein.“Sie habe sich ausgeschlossen gefühlt. Mit der Zeit wuchs ihr Unbehagen, es sei immer schwieriger für sie gewesen, ihn allein zu lassen. Zum Schluss war sie jeden Tag 13 Stunden bei ihrem Mann. „Da blieb für anderes überhaupt keine Zeit, und jeden Tag bin ich tieftraurig nach Hause gegangen“. – Dann lernte sie die „Kirschblüte“in Gerresheim kennen – erfuhr von diesem neuen Wohnkonzept der Awo für Demenzkranke. Allein schon die kleinen Einheiten mit nur sechs Bewohnern in einer Wohngemeinschaft haben sie sofort überzeugt. „Das ist hier total familiär“, meint Margret Schaus, und ein bisschen so wie zu Hause. „Da wird der Tisch hübsch gedeckt mit schönem Geschirr und Servietten“,
und auf die Wünsche der Einzelnen eingegangen. So wird bei Friedrich Wend schon früh am Morgen das Radio mit klassischer Musik eingeschaltet, damit er sanft in den Tag findet.
Seit August lebt er nun in der Wohngemeinschaft, und jeden Nachmittag um 15 Uhr kommt seine Frau mit ihrem Auto nach Gerresheim, unternehmungslustig wie eh und je. Bei schönem Wetter ist der Grafenberger Wildpark oft ihr gemeinsames Ziel, manchmal auch die Altstadt und das Rheinufer oder der historische Kern von Gerresheim. „Aber erst, wenn man mit dem Rollstuhl unterwegs ist, merkt man, wie viele Stolperkanten es gibt.“Und wie häufig Treppen einen Café-Besuch verhindern. Zurück in der „Kirschblüte“meint Margret Schaus: „Es kommt mir vor, als wären wir schon viel länger hier, so vertraut ist mir alles.“Es müsste viel mehr solcher Einrichtungen geben, findet sie, „wo ein Mensch mit Demenz mit Respekt behandelt wird und man sich als Angehörige ernstgenommen fühlt.“Und wo es Friedrich Wend niemand übelnimmt, wenn er mal wieder ungehalten ist. Hier darf er grantig sein, weil alle wissen, dass dies ein Ausdruck seiner Krankheit ist. Wenn seine Frau dann abends nach Hause fährt – aber erst wenn ihr Mann wohlversorgt im Bett liegt – hat sie anders als früher ein gutes Gefühl. „Wir haben auch jetzt noch ein schönes Leben“, sagt sie.