Immer wieder die Flüchtlinge
Bei der vierten CDU-Regionalkonferenz in Halle geht es hauptsächlich um die Migration. Merz und Spahn bekommen Applaus. Kramp-Karrenbauer erntet einen Buh-Ruf.
HALLE Der Gong ertönt um Punkt 18 Uhr. Halle 4 in der Messe ist gerappelt voll. Rund 400 Plätze sind besetzt. Die CDU-Mitglieder warten gespannt auf Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn. Es ist die vierte von acht CDU-Regionalkonferenzen zur Vorstellung der drei Kandidaten für den Parteivorsitz, den die langjährige Amtsinhaberin Angela Merkel beim Parteitag Anfang Dezember in Hamburg abgeben wird. Es ist also Halbzeit hier in Halle in Sachsen-Anhalt. Es ist mucksmäuschenstill. Allein, es erscheinen keine Kandidaten. Friedrich Merz schafft es nicht pünktlich, weil er noch bei der Senioren-Union in Magdeburg war und die schlechte Verkehrsverbindung nach Halle ihm die Zeit raubt. Der Auftritt in der Landeshauptstadt ist aber gerade für ihn wichtig. Der Vorsitzende der Senioren-Union, Otto Wulff (85), hat sich für den einstigen Unionsfraktionschef in den Sturm der Entrüstung über dessen Äußerungen zum Asylrecht gestellt. Vieles geht dabei durcheinander. Kurzzeitig wird der Eindruck suggeriert, Zuwanderung würde über das Asylrecht gesteuert. Dabei sind das zwei völlig unterschiedliche Dinge.
18.15 Uhr: Auch Merz ist da. Wie bei den anderen Regionalkonferenzen ziehen die Kandidaten zuerst Nummern, in welcher Reihenfolge sie auf die Bühne gehen. Kramp-Karrenbauer, Frau hin oder her, hat diesmal nicht den Vortritt. Weil sie meistens gleich die Nummer eins gezogen hat, kommt sie jetzt erst zum Schluss dran mit dem Ziehen. Sie dreht die Karte um: Es ist trotzdem die Nummer eins.
Fast den ganzen Abend geht es hauptsächlich um Migration und Flüchtlinge. Alle drei zeigen klare Kante: Zuwanderung steuern, konsequente Abschiebungen, kein Rabatt für Machos gleich welcher Nationalität, Anpassung an die christlich-abendländische Kultur. Bei diesen Schlagworten brandet Applaus auf. Kramp-Karrenbauer erntet aber ein Buhen, als sie sagt, es gebe noch viele andere Themen.
Merz geht in seiner Bewerbungsrede nicht auf die von ihm ausgelöste Asyldebatte ein. Aber der Mann der Finanzwirtschaft schärft sein Profil damit, dass er den „Kontrollverlust“des Staates geißelt, als vor drei Jahren Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen: „Ein Rechtsstaat darf zu keinem Zeitpunkt die Kontrolle verlieren.“Niemals dürfe der Staat die Kontrolle darüber verlieren, wer ins Land komme. Der Beifall ist groß.
Die CDU-Generalsekretärin, vielmehr die scheidende Generalsekretärin, weil sie Parteichefin oder zunächst gar nichts werden oder bleiben will, punktet mit ihrer 40-Prozent-Zielmarke bei Wahlen, ihrem Hoch auf die Heimat und ihrer Aufforderung zum Zusammenhalt durch das „C“im Parteinamen. Merz wischt sie hier im Osten eins aus mit ihrem Hinweis, die Ostdeutschen müssten sich nicht in den Westen „integrieren“. Sie hätten ihre eigene Identität und Leistung. Merz hatte bei „Anne Will“von der Integration der Ostdeutschen nach der Wende gesprochen und dafür von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) verbal Prügel bezogen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, mit 38 Jahren der jüngste Kandidat, steht lockerer als die beiden anderen mit dem Mikro vor dem Pult und nicht hinter ihm. „Ehrenmorde“, „Zwangsheirat“seien „nicht bereichernd“, sagt er. Beifall. Er habe auch keine Lust auf „Sprachpolizei“. Man müsse ohne Schubladen denken und reden.
In Sachsen-Anhalt hat die AfD bei der letzten Landtagswahl rund 25 Prozent bekommen. Und nebenan in Sachsen muss Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bangen, dass die AfD bei der Wahl 2019 die Christdemokraten überholt. Zu dieser Regionalkonferenz sind CDU-Mitglieder aus beiden Ländern gekommen. Das Thema Flüchtlinge steht für sie ganz oben.
Als die Fragerunde beginnt, muss Merz doch als erstes auf das Thema Asyl eingehen. Der Fragesteller bittet den 63-Jährigen, „nicht schon wieder zurückzurudern“, nachdem er seine Äußerung wieder abgemildert habe. Merz schiebt die Schuld den Journalisten zu: Sie hätten ihn falsch wiedergegeben. „Ich bin für die Beibehaltung des Grundrechts auf Asyl“, betont er. Man könne es aber unter den Vorbehalt stellen, dass alles Nähere Gesetze regelten. Wenn Journalisten damit überfordert seien, könne er das noch einmal erklären. Das gefällt den Zuhörern.
Allerdings hatte er in Thüringen gesagt, er sei der Meinung, „dass wir bereit sein müssen, über dieses Grundrecht offen zu reden, ob es in dieser Form fortbestehen kann“.
Nach gut zwei Stunden geht ein junger Mann ans Mikro und klagt: „Wir haben wieder viel zu viel über Migration gesprochen.“Es gebe eine unendlich lange Liste von Problemen: Rente, Altersarmut, Pflege, Mieten, Mindestlohn, Bildung. Er sagt: „Die Hütte brennt.“Dazu nur eine „Speed“-Runde zum Schluss.
Das Publikum geht mit den Kandidaten höflich um. Es klatscht viel. Und für eins ist die Anerkennung einhellig: für diese in der CDU nie dagewesene Möglichkeit, vor der Wahl des oder der Parteivorsitzenden mehrere Kandidaten selbst zu erleben.