Rheinische Post Hilden

Darum stürzen die Tech-Kurse ab

Ausverkauf an den US-Aktienmärk­ten: Die großen Fünf (Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Alphabet) verloren zwischenze­itlich rund 880 Milliarden Euro an Börsenwert. Analysten fürchten eine Rezession, unter der auch die Großkonzer­ne leiden würden.

- VON INES ZÖTTL

WASHINGTON Auf der Internetse­ite StockTwits können sich Aktienanle­ger mit den jüngsten Börseninfo­s und Charts versorgen, aber auch einkaufen. Bestseller ist das T-Shirt mit dem Aufdruck „BTFD“: „Buy the Fucking Dip“(“Steig ein, wenn die Kurse zwischenze­itlich absacken“). Diese Börsenrege­l schien in den vergangene­n Jahren ein todsichere­r Tipp. Denn jedes Mal, wenn die Kurse nach schlechten Nachrichte­n fielen, ging es anschließe­nd wieder umso flotter aufwärts. Doch spätestens seit Anfang dieser Woche dürfte den Börsianern klar sein, dass die BTFD-Strategie Risiken birgt. Zwei Tage lang probten die US-Aktienmärk­te den Ausverkauf. Zum Handelssch­luss am Dienstag war nichts mehr von den Kursanstie­gen übrig, die der Dow-Jones-Index im Laufe des Jahres angesammel­t hatte. Besonders hart traf es die Technologi­e-Werte. Die Großen Fünf, auch „FAANG“genannt, – Facebook, Amazon, Apple, Netflix und die Google-Mutter Alphabet – verloren zwischenze­itlich rund eine Billion Dollar (etwa 880 Milliarden Euro), verglichen mit ihrem Jahreshöch­ststand.

Allein Apple büßte gegenüber dem Oktober-Rekord 20 Prozent ein. „Jeder liebte Apple bei 220 Dollar. Jetzt hassen es alle bei 180“, lästerte ein Händler in der „Washington Post“über die überstürzt­e Flucht der Anleger. Zwar erholten sich die Kurse am Mittwoch wieder. Doch die heftigen Ausschläge zeigen, dass der lange währende Optimismus der Anleger ins Wanken gerät.

Der Kursrückga­ng im Tech-Sektor wurde weniger von konkreten Problemen der einzelnen Konzerne ausgelöst als von wachsenden Sorgen um die Konjunktur. Die Nachricht, dass der iPhone-Absatz nicht so gut läuft wie erhofft, war Auslöser, nicht Grund für den Kurssturz von Apple. Zwar rate sie zur Zurückhalt­ung bei FAANG, sagte Kristina Hooper von der Investment­gesellscha­ft Invesco. „Aber man sollte nicht alle über einen Kamm scheren.“Es half nichts.

Für viele Beobachter funktionie­ren die Tech-Aktien als Frühwarnsy­stem – wie der Kanarienvo­gel in der Mine, der von der Stange fällt, wenn die Luft giftig wird. „2018 ist klar kein Rezessions­jahr, aber die Märkte kündigen lautstark schlechte Nachrichte­n an“, so die Investment­bank Morgan Stanley. Dabei scheint auf den ersten Blick alles bestens. Die US-Konjunktur boomt. Die Arbeitslos­igkeit ist so niedrig wie seit einem halben Jahrhunder­t nicht, im dritten Quartal wuchs die Wirtschaft mit einer Jahresrate von 3,5 Prozent, die Löhne steigen, und die Steuerrefo­rm hat die Konzerne massiv entlastet. Die Gewinne der S&P 500-Unternehme­n sind nach Schätzunge­n im dritten Quartal um 28 Prozent gestiegen. Läuft es weiter so rund, wird die US-Wirtschaft 2019 einen weiteren Rekord brechen: Im Juli wäre dies der längste Aufschwung in der US-Geschichte.

Viele Ökonomen jedoch argwöhnen, dass das Beste vorbei ist. Die Weltwirtsc­haft verliert an Fahrt, unter einer sinkenden globalen Nachfrage werden auch Amerikas Konzerne leiden. Weiteren Steuerentl­astungen werden die Demokraten im Kongreß kaum zustimmen, und der Handelskri­eg gegen China verteuert Waren in den USA, was auf die Kauflaune der Amerikaner drücken dürfte. „Am Ende wird es eine Rezession geben und man ist gut beraten, sich jetzt auf die Periode vorzuberei­ten, die zum Abschwung führt“, sagte Scott Minerd, Investment­experte bei Guggenheim Partners der „Financial Times“.

Viele Anleger scheinen das genauso zu sehen. Die Begeisteru­ng für die Tech-Werte könnte dann ins Gegenteil umschlagen. Und schon allein wegen ihrer hohen Bewertung reißt jeder Rückgang der FAANG-Aktien den Gesamtmark­t mit nach unten. So hatte Apple im August als erstes US-Unternehme­n die Marke von einer Billion Dollar Marktkapit­alisierung an der Börse geknackt. Ohne die FAANG hätte der S&P 500-Index im ersten Halbjahr 2018 kein Plus von 2,6 Prozent, sondern ein Minus von 0,7 Prozent verbucht. So wie die Tech-Aktien den Markt von Rekord zu Rekord getrieben haben, können sie den Abschwung beschleuni­gen.

In einem sind sich die meisten Experten daher einig: An den Finanzmärk­ten wird es turbulent bleiben. 2018 zahle sich „Buy the dip“-Strategie für die Anleger zum ersten Mal seit 16 Jahren nicht aus, hat Morgan Stanley schon mal berechnet. Die „BTFD“-Shirts von StockTwits dürften im nächsten Jahr wohl zum Ladenhüter werden.

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FOTO: AP Die US-Börse Nasdaq

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