Countdown: Silvester ist der Tag der Wahrheit
In den vergangenen Monaten ist viel passiert. Der Traum vom Lauf über zehn Kilometer rückt jeden Tag ein bisschen näher.
LANGENFELD Vielleicht wird es eine unendliche Geschichte. Man weiß es manchmal nicht so genau. Es ist auf jeden Fall kaum zu glauben, wie schnell die Zeit gerannt ist – schneller als ich. Damit sind wir mitten im Thema. Angefangen hat alles im Mai, als ich mit meinem Ausdauer-Training nicht mehr glücklich bin. Damals habe ich mich mit meinem Trainer Kim Steinigans im Sportpark Landwehr zusammengesetzt. Seine Idee: Wir setzen alles auf null. Kim will, dass ich mit Brustgurt und Uhr laufe. Kim will, dass ich
„Schon müde, junger Mann? Ein bisschen mehr Tempo bitte“
Unbekannter Zuschauer
auch Grundlagen-Ausdauer trainiere. Nach einer Testphase von gut einem Monat mit vom Sportpark geliehener Technik bin ich überzeugt: Das bringt was. Ich kaufe mir eine Ausrüstung mit Trainings-Computer, Brustgurt und Verbindungskabel zum Rechner. Ich will weitermachen. Mein Ziel ist es von Anfang an, bis zum Ende dieses Jahres wieder vernünftig zehn Kilometer am Stück laufen zu können. Jetzt läuft vor allem der Countdown und es gibt keine Fluchtmöglichkeit mehr. Der Traum: Ich schaffe es am 31. Dezember. Im Moment hat es etwas Unwirkliches.
Dass ich mal Probleme mit meinem Mini-Computer am Handgelenkt hatte, entlockt mir nur noch ein müdes Lächeln. Die Bedienung der Tasten und das Programmieren gehen mir zügig von der Hand. Grundsätzlich ist das Produkt des Herstellers auf Norwegen aber wohl in eiskalter Polar-Luft hergestellt, denn es reagiert auf Berührungen sehr empfindlich. Falls das mit dem Synchronisieren und der Übertragung der Daten geklappt hat, staune ich immer wieder. In erster Linie über mich selbst.
Na klar: Den Sommer haben wir inzwischen hinter uns. Bis in den September hinein ist es ein Vergnügen, dass ich mich jeden Sonntag morgens um sechs Uhr aus dem Haus schleiche und in der gebotenen Ruhe meine Runden drehe. Hinten in der Tasche meiner Laufhose habe ich zwei Dinge – den Hausschlüssel und einen Fünf-Euro-Schein. Auf dem Rückweg kann ich immer rasch beim Bäcker hineinspringen, um frische Brötchen zu kaufen. Angst davor, als verschwitzter Freizeit-Möchtegern-Top-Athlet schief angesehen zu werden? Sicher nicht. Wenn du bei einem „Lauf“über 80 oder 90 Minuten im untersten Bereich der ausgerechneten Herzfrequenz zu bleiben hast, schwitzt du nicht. Mein Trainer Kim hat mir trotzdem eingebläut: „Das ist Grundlagentraining und muss sein. Halte durch. Es lohnt sich.“Ich gebe zu: Einmal bin ich so genervt vom Gepiepe meiner Laufuhr, die jedes Verlassen der erlaubten Herzfrequenz moniert, dass ich das Ganze am liebsten in ein Kornfeld am Rande meiner Laufstrecke werfe. Inzwischen weiß ich: Kim hat Recht.
Die Zeit des Draußen-Laufens ist für mich vorbei. Das ist einerseits schade, weil ich mir ein paar durchaus schöne Stellen als Versteck für meine Halb-Liter-Trinkflasche ausgesucht hatte (die in der Hand mitzuschleppen, bringt wenig Vergnügen). Vermissen werde ich auch das eine oder andere kurze Treffen mit Anwohnern. Echt großartig ist jene September-Szene, als mich ein vor einem Haus stehender alter Mann begrüßt: „Junger Mann, schon müde? Etwas mehr Tempo bitte.“Er muss um die 80 oder etwas darüber sein und stützt sich auf seinem Stock ab. Das breite Grinsen auf seinem Gesicht werde ich so schnell bestimmt nicht vergessen.
Mittlerweile erledige ich meine Hausaufgaben auf dem Laufband im Sportpark Landwehr. Es ist deutlich trockener als draußen und die Technik hilft mir entscheidend dabei, auf mein Ziel hinzuarbeiten. Klammheimlich hat sich das Programm übrigens entschlossen, das Pensum zu erhöhen. Seit ein paar Wochen stehen fünf Ausdauer-Einheiten im Stundenplan – neben weiteren Formen körperlicher Ertüchtigung. „Core-Training“und andere Übungen für die Körperstabilität erledige ich weiterhin höchstens im heimischen Keller. Sie lassen mich immer noch albern aussehen. Für einen Augenblick muss mein Trainer vielleicht stark sein: Manchmal lasse ich diesen Teil auch weg. Anders
„Grundlagentraining muss sein. Halt durch, denn es lohnt sich“
Sportpark-Trainer Kim Steinigans
ist es beim zusätzlichen Krafttraining: Das hilft, das passt.
Beispiel für einen Wochenplan: 45 Minuten Tempolauf (Montag), 40 Minuten lockeres Joggen (Mittwoch), 1 Stunden 10 Minuten Intervall-Training (Freitag), 45 Minuten mittellanger Lauf (Samstag), 1 Stunde 25 Minuten langer Lauf (Sonntag). Letzteren mag ich immer noch nicht. Tempolauf (wobei Tempo relativ ist), lockeres Joggen und mittellanger Lauf sind in Ordnung und ausgerechnet das besonders anstrengende Intervall liebe ich längst. Es gibt mir eine ziemlich genaue Ahnung von dem, was am 31. Dezember auf mich zukommt. Der Countdown läuft. Wir ziehen das definitiv voll durch. Versprochen.
Michael Deutzmann