Rheinische Post Hilden

Die Tonhalle feiert Leonard Bernstein

Der Komponist wäre dieses Jahr 100 geworden. Nun kommt seine Mammutprod­uktion „Mass“zur Aufführung.

- VON ARMIN KAUMANNS

Noch sind die Stühle auf der Bühne leer. In diesem verwaisten Orchestera­ufbau wirkt das gute Dutzend junger Leute irgendwie verloren, das sich auf den Stufen der Chorempore und im Parkett mehr oder weniger herumfläzt. Alles Absicht. Denn hier, an diesem Nachmittag, geht es ums Wesentlich­e: den Ausdruck. Die jungen Leute sind Sängerinne­n und Sänger, einige kommen von der Musical-Sektion der Essener Folkwang-Hochschule, andere vom Theater Gelsenkirc­hen. Allesamt Spezialist­en für den „Street Choir“, wie ihn der große Leonard Bernstein (1918-1990) in seiner „Mass“verwendet – ein Ensemble von drei Chören, das die Grenzen des Genres nach Kräften durcheinan­derbringt. Anlässlich Bernsteins 100. Geburtstag­s kommt die „Mass“in die Tonhalle. Ein Großprojek­t.

Susanne Frey redet auf die Sänger ein, detailvers­essen. Sie ringt um jede Geste, um individuel­len, glaubhafte­n Ausdruck. „Es geht ja ums Miteinande­r“, gibt sie vom Parkett aus einen Impuls, bevor das „Laudamus te“noch einmal erklingt. Eine anschwelle­nde, mitreißend­e Litanei, die Bernstein in die Mitte seiner Kompositio­n gesetzt hat. Nach und nach stimmen die Sänger ein, versammeln sich schließlic­h an der Rampe zum finalen Gotteslob, das dem alles andere als konformen Werk einen hoffnungsv­ollen Ausdruck verleiht. Kaum ist der letzte Ton gesungen, klettert Regisseuri­n Frey wieder hoch ans Klavier, versammelt die Gruppe um sich wie auch Dirigentin Ana-Maria Dafova und Pianist Pascal Adoumbou. „Das darf nicht traurig wirken oder misstrauis­ch“, mahnt sie. „Und schleicht nicht rum, sondern geht lieber ein paar Schritte und bleibt dann stehen.“

Seit September wächst „Mass“zusammen. Neben dem mit Solisten besetzten „Street Choir“sind der Jugendchor der Chorakadem­ie und der Musikverei­n mit von der Partie. Hinzukommt der Bariton Jubilant Sykes. Neben den Düsseldorf­er Symphonike­rn sitzt eine Rock- und Bluesband auf der Bühne. An die 250 Musiker also. Außerdem wird in der Tonhalle ein Bühnenbild eingericht­et, das die Spannung zwischen einer idealen und einer beschädigt­en Natur ausdrücken soll. Dafür hat Peter Sommerer die Ideen geliefert. Denn Bernsteins „Mass“ist eigentlich ein Theaterstü­ck für Sänger, Instrument­alisten und Tänzer, mit dem der Komponist der „West Side Story“1971 den Geist der 68er beschwor – mit den Anti-Vietnam-, Schwulen-, Naturschut­z- und Black-Power-Bewegungen. All das eingebette­t in eine aus den Fugen geratende Messfeier. Im Raum steht die Frage, an was wir noch glauben können.

Für die Tonhalle musste aus dem Theaterstü­ck eine maßgeschne­iderte Version werden, die ohne Tänzer auskommt und die das Theatrale reduziert. Gleichwohl dürfen

sich die Konzertbes­ucher auf einige szenische Überraschu­ngen gefasst machen, die sich der Stab um die erstmals für Düsseldorf arbeitende Regisseuri­n ausgedacht hat. Der Aufwand ist immens. Allein 20 Bühnenprob­en sind angesetzt. Der Tonhallen-Etat ist ausgereizt. Finanziell­e Unterstütz­ung kommt vom Rheinische­n Kuratorium.

Inzwischen geht es fetzig zu bei der Probe. Die Musik rauscht in swingenden Siebenacht­eln, Solo und Chorus wechseln gospelhaft, neben dem Klavier kommt Musik punktgenau vom Band. Die Sänger haben Spaß an Hippie-Gesten und am Groove von Rock und Soul. „And it was good“wird zu einer Hymne der Hoffnung.

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FOTO: IMAGO Leonard Bernstein im Jahr 1983 bei einem Auftritt im Vatikan. Der US-amerikanis­che Komponist und Dirigent, der 1990 gestorben ist, wäre dieses Jahr 100 geworden.

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