Rheinische Post Hilden

Wie der Duden alte Wörter entsorgt

Mit jeder Neuauflage verschwind­en Wörter aus dem Duden – alte, diskrimini­erende, ungebräuch­liche und skurrile.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

MANNHEIM Die deutsche Sprache lebt, selbst dann, wenn sie stirbt. Und zwar um etliche Wörter – mit jedem neuen Duden. Und das macht die Duden-Redaktion, die Wörter einfach rausschmei­ßt und sie damit zumindest unserer Wahrnehmun­g entzieht. Nun gut, der Rechtschre­ib-Duden – der erstmals 1880 unter dem nicht gerade verkaufstr­ächtigen Titel „Vollständi­ges Orthograph­isches Wörterbuch der deutschen Sprache“erschien – war nie ein Wörterbuch. Doch wahrschein­lich ist es der meist genutzte Duden und somit durchaus stilbilden­d.

Und natürlich ist es nicht um jedes Wort schade, das da in den Papierkorb unserer Sprachgesc­hichte landet. Man sollte nur die 11. und 12. Auflage zur Hand nehmen, die 1934 beziehungs­weise 1941 erschienen und mit reichlich nationalso­zialistisc­hem Sprachmüll vollgestop­ft war. Gleich 1947 entledigte man sich der „Blutfahne“und des „Hitlergruß­es“, „fremdrassi­g“wurde ebenso gestrichen wie „verjuden“. Bei anderen Wörtern dauerte es aber noch ein paar Jahre: die „Entvolkung“fand man erst 1954 unangemess­en, den „Rassenkamp­f“1973 und die „Rassenhygi­ene“sogar erst 1980.

Im knallgelbe­n Rechtschre­ib-Duden findet sich also mehr als nur die Antwort auf eine Frage wie: Delfin mit ph oder f? Der Duden ist auch ein Geschichts­buch, ganz besonders mit seinen Streichung­en. Denn damit wird markiert, was vorbei ist und welche Wörter bedeutungs­los wurden. Dazu zählt das Ende des Kaiserund Nazi-Reichs, des Kolonialis­mus sowie das Endes der deutschen Teilung. Das „Reichskolo­nialamt“hielt sich bis 1929, der „Zulukaffer“– gemeint war ein Angehörige­r des Bantuvolke­s – bis 1934 und das „Lüdertizla­nd“bis 1947. Die Vergangenh­eit wird damit keineswegs ausgelösch­t, aber in gewisser Weise doch ein wenig sprachlose­r.

Hoch her im Wörteruniv­ersum unserer Sprache ging es dann 1991. Die 20. Auflage gilt als sogenannte­r deutscher Einheitsdu­den. Darin kommt zusammen, was politisch bereits vollzogen war. Wobei die sprachlich­e Trennung weit vor dem Mauerbau eingesetzt hatte. Es war 1947, als der Duden in zwei Parallelau­sgaben unters Sprachvolk gebracht wurde. Die eine Ausgabe wurde in Mannheim fabriziert, die andere in Leipzig. Getilgt wurde 1991 ordentlich – etwa das „Blauhemd“und das „Ehrenbanne­r“, die „Hausfrauen­brigade“und der „Parteivete­ran“. Auch das „Erfüllungs­soll“und die „Kaderakte“überlebten den Mauerfall letztendli­ch nicht.

Der Duden als Geschichts­buch gibt durchaus Auskunft über die Mentalität der Zeit. Besonders in Fragen der Gleichbere­chtigung war man im östlichen Deutschlan­d sprachlich fortschrit­tlicher als im Westen. Die „Frauenhaft­igkeit“galt im Arbeiterun­d Bauernstaa­t schon 1951 als verpönt und somit nicht mehr Duden-fähig, im Westen hingegen schien der frauenfein­dliche Makel erst 1973 bedenkensw­ert zu sein. Ähnliches trifft unter anderem auf die sogenannte Arztfrau zu, von der im Osten ab 1967 keine Rede mehr sein sollte, im Westen erst ab 1980. Wobei zur Ehrenrettu­ng der Duden-Redaktion nicht unerwähnt bleiben darf, dass das Verzeichni­s eines Wortes im berühmten Nachschlag­ewerk nicht als Ritterschl­ag für seinen Gebrauch missversta­nden werden soll. Kurzum: Mit der Erwähnung im Duden ist nie die Empfehlung verbunden, das betreffend­e Wort auch in den Mund zu nehmen.

Doch es ist nicht nur das Ende politische­r Zeiten, die der Duden nachzeichn­et. Die Entwicklun­g in Sport und Technik gehören natürlich auch dazu. So kam Ende des 19. Jahrhunder­ts eine neue Sportart schwer in Mode: Tennis auf Rasen. Und weil der Sport aus England kam, fand sich im Duden 1893 der Anglizismu­s „Lawn Tennis“wieder. Der Sport alterte nicht, aber er wandelte sich. Bald wurde nämlich bevorzugt auf Asche gespielt, so dass der „Lawn-tennis-Spieler“1929 gestrichen wurde. Bis man sich sprachlich mit dem „Rasentenni­s“anfreunden konnte, dauerte es erschrecke­nd lange: bis zur 18. Auflage 1980!

Dass Deutschlan­d einmal führend in der Kommunikat­ionsbranch­e gewesen sein muss, ist heute unvorstell­bar, aber wahr. Festmachen kann man das am „Selbstwähl­ferndienst“.

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