Rheinische Post Hilden

BVB sorgt sich um deutschen Nachwuchs

Der nationale Fußball werde links und rechts überholt, klagt der Dortmunder Sportdirek­tor Michael Zorc.

- VON ROBERT PETERS

DORTMUND Die Feststellu­ng ist nicht neu. Aber sie ist alarmieren­d. Diesmal wird sie in Dortmund erhoben. Michael Zorc, Sportdirek­tor des Bundesliga-Tabellenfü­hrers Borussia, sagt in einem Gespräch mit dem Mitglieder­magazin des Vereins: „Wir haben im deutschen Nachwuchs zurzeit nicht diese absolute Topqualitä­t. Ich habe das Gefühl, dass der deutsche Fußball links und rechts überholt wird.“Dieses Gefühl teilt Lars Ricken, der seit Jahren sehr erfolgreic­h die Jugendarbe­it des Klubs koordinier­t. Er zeigt auf die Bilanz der Nachwuchsm­annschafte­n im Deutschen Fußball-Bund. Und er betont: „Das Abschneide­n in den vergangene­n Jahren war, von Ausnahmen abgesehen, nicht so gut.“

Zu einem ganz ähnlichen Eindruck gelangt Stefan Kuntz, der Trainer der deutschen U21, bereits im Sommer. Es steht noch nicht einmal fest, dass die Nationalma­nnschaft sich bei der Weltmeiste­rschaft auf schwer vorstellba­re Weise blamieren wird, da erklärt Kuntz in einem Gespräch mit unserer Redaktion: „Derzeit überholen uns andere Nationen. Sie sind uns gegenüber in vielen Bereichen schneller, dynamische­r und genauer – sie haben ihr System weiterentw­ickelt, angepasst und setzen diese Veränderun­gen auch um.“

Der Umkehrschl­uss: In Deutschlan­d werden Ausbildung, Talentsich­tung und Trainingsi­nhalte offenbar nicht angepasst. Kuntz sieht nicht nur fußballeri­sche Mängel, sondern auch klare Defizite in der Persönlich­keitsentwi­cklung. „Einstellun­g und Mentalität der Jugendlich­en nehmen neue Formen an“, sagt er. Und als er merkt, dass das ein wenig allgemein und damit beschönige­nd klingt, antwortet er auf die Frage, ob es dem deutschen Nachwuchs zu gut gehe: „Dieses Gefühl kann man nicht von der Hand weisen.“

Später im Sommer, als die A-Nationalma­nnschaft nach einer verheerend­en WM-Vorrunde schon wieder zu Hause ist, wird er bei einem Trainerkon­gress in Dresden noch konkreter. „Die Talente in den U-Mannschaft­en werden weniger, das ist ein Alarmzeich­en“, sagt Kuntz, „den Spielern wird zu viel abgenommen, sie regeln die Konflikte nicht mehr. Und wenn es bei einem Verein nicht klappt, wird einfach der nächste genommen. Dann kommt aber irgendwann der Punkt, an dem du gegen einen gleichstar­ken Gegner spielen musst, der diese Durchsetzu­ngsfähigke­it hat.“Was er nicht sagt, was aber jeder hört: Die frühzeitig­e Rundumvers­orgung 20-jähriger Großverdie­ner führt zu Wettbewerb­snachteile­n.

Es ist überhaupt kein Zufall, dass sich diese Wettbewerb­snachteile deutscher Nachwuchss­pieler nicht nur im Abschneide­n der DFB-Juniorenma­nnschaften offenbart. Sie zeigt sich auch in den Aufgeboten vor allem der führenden Teams in der Bundesliga. Beim BVB spielen Jadon Sancho (18), Jacob Bruun Larsen (20), Christian Pulisic (20) und Dan-Axel Zagadou (19) wesentlich­e Rollen. Für Bayern München stürmt Kingsley Coman (22), in Mönchengla­dbach verteidigt Nico Elvedi (22), für Eintracht Frankfurt greift Luka Jovic (21) mit Gerd-Müller-Torquoten an. Und Schalke (noch nicht wieder führend) leistet sich als Wette auf eine vielverspr­echende Zukunft das 18-jährige Talent Rabbi Matondo für stolze neun Millionen Euro. Auf dem heimischen Markt und in der zu Recht immer mal wieder gefeierten Knappensch­miede von Norbert Elgert, die in vergangene­n Jahren zuverlässi­g Nachschub für den Profifußba­ll schuf, gibt es offensicht­lich kein geeignetes Angebot.

Was tun? Der DFB setzt mit einem an Wunderglau­ben grenzenden Vertrauen auf seine neue Akademie, die Ausbildung und Forschung auf dem Gelände der ehemaligen Frankfurte­r Galopprenn­bahn konzentrie­ren soll. Von den Möglichkei­ten der neuen Fußballzen­trale des Landes ist vor allem Oliver Bierhoff restlos begeistert. Das ist kein Wunder, denn er betreibt den Bau der Akademie mit dem Nachdruck des DFB-Direktors, der für die Nationalma­nnschaften und die Fußballent­wicklung zuständig ist.

Ricken, der an der Basis vermutlich

einen noch etwas tieferen Einblick in die Materie gewonnen hat, sieht ein besonderes Problem der deutschen Nachwuchss­pieler nicht nur in der Überversor­gung durch Klubs und Spielerber­ater und der Unterverso­rgung mit Durchsetzu­ngswillen und kreativem Umgang mit schwierige­n Situation. Er glaubt, dass deutsche Spieler „im internatio­nalen Vergleich ein bis zwei Jahre hinterherh­inken“, weil sie das deutsche Schulsyste­m ganz anders fordert als die Kollegen im Ausland. Es sei ein Unterschie­d, „ob du morgens um acht Uhr individuel­l trainierst, danach sieben Stunden Schule hat und am Abend erste ien Mannschaft­seinheit absolviers­t, oder ob du dich – wie in England – schon in so jungen Jahren vornehmlic­h auf den Fußball konzentrie­ren kannst“.

Das Schulsyste­m kann und wird Ricken selbst mit der Autorität des Nachwuchsk­oordinator­s von Borussia Dortmund nicht ändern können. Das weiß er, mahnt allerdings, es gebe Optimierun­gsbedarf. Derartige Erkenntnis­se bewirken noch keinen Umschwung. Auch das weiß Ricken. Denn es handelt sich nach seiner Meinung nicht um ein Problem im „Bereich der 16- bis 20-Jährigen, man muss die Thematik leider größer fassen“. Leider.

 ?? FOTO: DPA ?? Ein Beispiel für den Vorsprung Englands: Der Dortmunder Jadon Sancho lässt den Frankfurte­r Sebastian Rode ins Leere rutschen.
FOTO: DPA Ein Beispiel für den Vorsprung Englands: Der Dortmunder Jadon Sancho lässt den Frankfurte­r Sebastian Rode ins Leere rutschen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany