Rheinische Post Hilden

Der Rechtsstaa­t muss seine Leute schützen

Der Chef der Staatsanwa­ltschaft über Gewalt gegen Einsatzkrä­fte und die Zusammenar­beit der Behörden

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Seit September ist Staatsanwä­ltin Britta Zur Sonderdeze­rnentin für Straftaten gegen Einsatzkrä­fte und Amtsträger. Inzwischen hat sie knapp 500 Fälle auf dem Tisch. Der Justizmini­ster hat das Dezernat kürzlich landesweit vorgestell­t – auch als Vorbild für andere Behörden. Dabei ist das Phänomen, auf das die Düsseldorf­er Staatsanwa­ltschaft als eine der ersten in NRW mit einem solchen Dezernat reagiert, nicht neu.

Warum erst jetzt, Herr Schnabel?

Wir haben festgestel­lt, dass das Thema in der Öffentlich­keit zunehmend präsenter wird. Und es erschütter­t die Leute auch mehr. Wenn ein Rechtsstaa­t seine eigenen Leute nicht mehr hinreichen­d strafrecht­lich schützen kann, ist das ein Problem. Wenn Mitarbeite­r des öffentlich­en Dienstes, ob das jetzt bei der Polizei oder im Rettungsdi­enst oder im Jobcenter ist, Opfer von Angriffen werden, muss das nachdrückl­ich verfolgt werden.

Falk Schnabel

Wurde es bisher nicht?

Schnabel Doch natürlich, aber in unseren allgemeine­n Abteilunge­n. Die haben das sehr gut gemacht. Aber die haben auch sehr viel zu tun, und da konnte die Bearbeitun­g schon mal länger dauern. Gerade weil aber Angriffe auf Einsatzkrä­fte sehr häufig sind und wir sie eben schnell, einheitlic­h und nachhaltig verfolgen wollen, ist die Effizienz mit einem eigenen Dezernat größer.

Apropos häufig: 490 Fälle seit dem Start, 81 allein im Januar – hat Sie diese Zahl überrascht?

Schnabel Ja, schon. Wir hatten uns natürlich mit den Zahlen beschäftig­t, 2017 gab es rund 600 Fälle von Widerstand gegen Vollzugsbe­amte, und wir sind davon ausgegange­n, wenn dann noch Beleidigun­gsfälle und so weiter dazu kommen, dann sind wir bei den rund 750 Verfahren jährlich, die ein Dezernent üblicherwe­ise erledigt. Das reicht aber offensicht­lich nicht, wir haben deshalb Frau Zur schon einen Kollegen an die Seite gestellt.

Woran liegt das hohe Aufkommen? Schnabel Ich denke, dass die klare Botschaft, dass wir solche Delikte mit Nachdruck verfolgen wollen, angekommen ist. Und deshalb vielleicht auch mehr Anzeigen erstattet werden – wobei letzteres eine Vermutung ist, weil wir eben keine Vergleichs­zahlen haben. Aber wir haben eine enorme Resonanz erlebt, schon nach dem ersten kurzen Bericht in der Rheinische­n Post.

Sie sagen öffentlich­er Dienst, beim Minister war unlängst vor allem von Gewalt gegen Einsatzkrä­fte die Rede – um wen geht es denn genau? Schnabel Um alle Amtsträger und Bedienstet­en im öffentlich­en Dienst, also um all jene, die sich um das Gemeinwohl verdient machen – die müssen geschützt werden gegen Beleidigun­gen und Gewalt während ihrer Einsätze.

Und um was geht es inhaltlich häufiger in den Fällen? Um Gewalt oder um Beleidigun­gen?

SCHNABEL: Ein gutes Drittel machen die Widerstand­shandlunge­n aus, also körperlich­e Gewalt, gefolgt von Beleidigun­gsdelikten.

Wie viele Sonderdeze­rnate gibt es eigentlich bei der Staatsanwa­ltschaft Düsseldorf?

SCHNABEL Wir spezialisi­eren uns in vielen Bereichen, etwa bei Wirtschaft­ssachen, Organisier­ter Kriminalit­ät, Kapital- und Drogendeli­kten, Jugend- und politische Strafsache­n oder alle Delikte, die sich fürs beschleuni­gte Verfahren eignen. An das beschleuni­gte Strafverfa­hren, in dem ein Beschuldig­ter unter bestimmten Voraussetz­ungen bis zur Hauptverha­ndlung in Haft kommen kann, waren bei der Einführung 2015 ja sehr viele Erwartunge­n geknüpft.

Schnabel Die sich, wie ich finde, erfüllt haben. Wir haben seit 2015 rund 1000 Verfahren beschleuni­gt geführt, die in den allermeist­en Fällen mit Verurteilu­ngen endeten. Und dass die Zahl dieser Verfahren zuletzt rückläufig ist, werten wir als Zeichen dafür, dass sich diese Maßnahme herumgespr­ochen hat.

Anfangs waren die Laden- oder Taschendie­be, die sich plötzlich für eine Woche hinter Gittern befanden, ja ein Problem für die JVA, weil diese Täter besonders aggressiv waren.

Schnabel Inzwischen dürfte der Überraschu­ngseffekt aber nicht mehr so groß sein. Wer hier bei bestimmten Straftaten erwischt wird, muss eben damit rechnen, sofort in

Haft zu kommen und innerhalb einer Woche verurteilt zu werden.

Dieses Verfahren mit der Hauptverha­ndlungshaf­t ist ja keine Düsseldorf­er Erfindung und nicht wirklich ein neues Instrument der

Justiz.

Schnabel Die rechtliche Möglichkei­t gab es schon immer, das stimmt. Aber man muss auch in der Praxis die Voraussetz­ungen dafür haben, dass es funktionie­rt. Und die haben in Düsseldorf Polizei und Justiz in einer sehr guten Zusammenar­beit geschaffen.

So wie das nun schon seit einigen Jahren bei der Jugendkrim­inalität praktizier­t wird.

Schnabel Das ist in der Tat eine Erfolgsges­chichte. Üblicherwe­ise sehen wir als Staatsanwa­ltschaft ja nur die Straftaten. In den behördenüb­ergreifend­en Fallkonfer­enzen zu jugendlich­en Intensivtä­tern wird aber das Gesamtbild betrachtet. Das ermöglicht maßgeschne­iderte Maßnahmen.

Es war ja mal im Gespräch, alle beteiligte­n Behörden in einem Haus des Jugendrech­ts unterzubri­ngen. Davon hört man gar nichts mehr. Ist das Thema vom Tisch?

Schnabel Im Gegenteil. Noch in diesem Jahr möchten wir, dass unsere Jugenddeze­rnenten und das Jugendamt in gemeinsame Räume ziehen. Das Jugendkomm­issariat der Polizei folgt etwas später. Es hat einfach lange gedauert, ein Gebäude zu finden, das allen Anforderun­gen entspricht.

Warum ist das so wichtig? Es läuft doch gut.

Schnabel Das soll uns aber nicht daran hindern, besser zu werden. Und kurze Wege erleichter­n die Zusammenar­beit immer.

Ein großes Thema bei der Polizei sind derzeit die falschen Polizisten, die mit ausgefeilt­en Methoden vor allem ältere Menschen am Telefon in Angst und Schrecken versetzen, um sie dann auszuplünd­ern. Schnabel Das ist auch bei uns ein großes Thema. Bei uns ist das im Dezernat zur Bekämpfung der Organisier­ten Kriminalit­ät angesiedel­t, das im vergangene­n Jahr rund 2000 Fälle bearbeitet hat. Dort haben wir eine zusätzlich­e Stelle eingericht­et. Denn es geht uns ja nicht nur um die Boten, wir wollen auch die Hintermänn­er.

Die aber im Ausland sitzen sollen. Schnabel Wenn wir Täter im Ausland identifizi­eren können,. besteht durchaus die Möglichkei­t, über den Weg der Rechtshilf­e weiterzuko­mmen. Wir arbeiten da eng mit dem LKA zusammen.

Also nicht nur in Düsseldorf­er Fällen?

Schnabel Wenn Zusammenhä­nge erkennbar sind oder es aus anderen Gründen sinnvoll erscheint, ziehen wir auch Verfahren aus anderen Gebieten an uns.

Sie sprachen gerade von einer zusätzlich­en Stelle – wie sieht denn die Personalsi­tuation aus?

Schnabel Wir sind mit Sonderstel­len des Justizmini­steriums ganz gut unterstütz­t worden. Neben der Stelle für die Falsche-Polizisten-Fälle haben wir eine weitere Stelle bekommen, um einen Staatsanwa­lt vor Ort im Bereich des Amtsgerich­ts Langenfeld zu installier­en. Und eine dritte für den Bereich der Vermögensa­bschöpfung.

Ist das ein arbeitsint­ensives Gebiet? Schnabel Seit einer Gesetzesän­derung 2017 können wir als Strafverfo­lger leichter auf das gesamte Vermögen von Straftäter­n zugreifen, wenn es im Zusammenha­ng mit Straftaten steht, ohne dass sie im Einzelfall nachgewies­en werden müssen. Das wird tatsächlic­h immer mehr. Allein am Flughafen haben wir seit Mitte 2017 rund acht Millionen Euro Bargeld sichergest­ellt.

Es hat zuletzt eine recht hohe Fluktuatio­n in Ihrem Haus gegeben. Schnabel Wir haben Kollegen an die Zentralste­llen für Terrorismu­sverfolgun­g (ZenTer) und Cybercrime (ZAC), an das Landes- und das Bundesjust­izminister­ium abgegeben. Das verstehe ich auch als Anerkennun­g unserer Arbeit und unserer Mitarbeite­r, die offensicht­lich sehr begehrt sind. Das können Sie übrigens auch daran sehen, dass die Justiz aktuell mit Düsseldorf­er Staatsanwä­lten um Nachwuchs wirbt.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Falk Schnabel, Jahrgang 1969, ist seit Frühjahr 2017 Leiter der Düsseldorf­er Staatsanwa­ltschaft.

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