Das neue Trio und eine andere Tonart
Drei Parteichefs ohne Kabinettsrang – im neuen Koalitionsausschuss kommt jetzt alles auf das Zusammenspiel der Solisten an.
BERLIN Im Koalitionsausschuss von Union und SPD ist jetzt Musik. Jedenfalls kehrt mit Andrea Nahles, Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder ein neuer Ton ein. Alle drei Parteivorsitzenden sind vergleichsweise kurz im Amt, keiner von ihnen ist im Bundeskabinett und sie stehen gleichermaßen unter Erfolgsdruck. In diesem neuen Trio aber sind sie Solisten. Die Sozialdemokratin, die gern in die Tasten haut, der Christsoziale mit dem Paukenschlag und die Christdemokratin, die sich natürlich als erste Geige versteht. Ihr Zusammenspiel wird die Koalition retten, ihr Missklang wird sie spalten.
Für CDU, CSU und SPD geht es nach langer Zeitverschwendung vor allem mit dem erbitterten Kampf um die Migrationspolitik innerhalb der Union nun um Stabilisierung. Und Profilierung vor der Europawahl, den Kommunalwahlen und den Landtagswahlen in diesem Jahr. Dann wird sich auch entscheiden, ob die Koalition im Bund regulär bis 2021 hält. Spätestens im Herbst wird Zwischenbilanz gezogen. Dafür schlagen die drei Parteien Pflöcke ein. Personell, inhaltlich, formal. Der Koalitionsausschuss, bisher ein selten tagendes Gremium im Krisenfall, soll eine Routineveranstaltung werden. Möglichst alle vier Wochen. Ohne Drama. Einfach abarbeiten. Am Mittwochabend wurde der Aufschlag dazu gemacht.
Wer die von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgeschlagene „Respekt-Rente“– 447 Euro mehr Rente im Monat für geringverdienende Arbeitnehmer mit 35 Beitragsjahren ohne Bedürftigkeitsprüfung – als Konfliktstoff Nummer eins vermutete, findet das Thema an fünfter Stelle der Tagesordnung. Weiter oben stehen Energie, Klima, Autoindustrie, Bahn, der von den USA und Russland gekündigte INF-Vertrag über das Verbot von landgestützten atomaren Mittelstreckenraketen, weiter unten der Wolf. Nach seiner erfolgreichen Wiederansiedelung ist er mancherorts zum Problem für Bauern und Schäfer geworden.
Gradmesser für die nächsten Monate wird sein, wie Nahles, Söder und Kramp-Karrenbauer ihre Politik durchsetzen können – beziehungsweise wie glaubwürdig sie den jeweiligen Markenkern ihrer Partei herausstellen und sich so voneinander abgrenzen können. Bei Kramp-Karrenbauer fällt auf, dass sie selbst an einem Tabu der Kanzlerin rühren kann, ohne einen großen Aufschrei zu ernten. Notfalls, als ultima ratio, wie die neue CDU-Chefin betont, wäre eine Schließung der Grenzen nicht ausgeschlossen, sollten noch einmal wie 2015 Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kommen wollen. Dieser Satz aus dem Munde Merkels hätte das Zerwürfnis mit der CSU im vorigen Jahr vermutlich verhindert. Mit Kramp-Karrenbauer rücken die Schwesterparteien wieder enger zusammen. Ob es je so kommen würde, wie Kramp-Karrenbauer es als letztes Mittel beschreibt, ist völlig offen. Aber das interessiert Freund und Gegner gerade weniger. Und Merkel, die spätestens 2021 ganz abtreten will, lässt ihre Favoritin als Nachfolgerin auch für das Kanzleramt gewähren.
Söder hat es in diesem neuen Dreiklang der Parteivorsitzenden im Koalitionsausschuss am schwersten. Sein Ministerpräsidentenamt in Bayern hält ihn überwiegend fern aus Berlin – wofür er grundsätzlich dankbar ist, weil ihm die Hauptstadt nach eigenem Bekunden überhaupt nicht behagt. Dem Franken war zumindest bisher seine Distanz zum Zentrum der Macht anzumerken, er hielt es nicht oft und nicht lange aus in Sitzungen und Beratungen, berichten Teilnehmer. Söder zieht das Festzelt dem Kanzleramt vor. Er muss aber schnell zeigen, dass der Wechsel von Horst Seehofer zu ihm Aufbruch bedeutet, denn für die CSU ist in diesem Jahr die Europawahl entscheidend, und die ist schon im Mai. Sein Parteikollege Manfred Weber braucht als Spitzenkandidat der Europäischen
Volkspartei Rückenwind aus Deutschland, aus Bayern. Imerhin will er auch der nächste EU-Kommissionspräsident werden.
Andrea Nahles hat zu Wochenbeginn so etwas wie einen Befreiungsschlag hingelegt. Das Hartz-IV-Trauma aus der Zeit von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) soll durch eine Reform der damaligen Sozialreformen endlich überwunden werden. So anstrengend das für CDU und CSU wird, Nahles gilt beim Koalitionspartner als verlässliche Verhandlungspartnerin.
Union und SPD schärfen also ihre Profile – mit neuer Beinfreiheit ihrer Vorsitzenden ohne Kabinettsrang, der sie zu größerer Koalitionsdisziplin zwingen würde. Zurück zur Musik, zum neuen Dreiklang. In Dur gilt dieser als heiter oder fröhlich. Im Übermaß, dem „verschärften Klang“, führt er zu einem höheren „Auflösungsbedürfnis“. Alles in allem eine Herausforderung für Angela Merkel. Immer noch die Dirigentin.