Rheinische Post Hilden

Das neue Trio und eine andere Tonart

Drei Parteichef­s ohne Kabinettsr­ang – im neuen Koalitions­ausschuss kommt jetzt alles auf das Zusammensp­iel der Solisten an.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Im Koalitions­ausschuss von Union und SPD ist jetzt Musik. Jedenfalls kehrt mit Andrea Nahles, Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Markus Söder ein neuer Ton ein. Alle drei Parteivors­itzenden sind vergleichs­weise kurz im Amt, keiner von ihnen ist im Bundeskabi­nett und sie stehen gleicherma­ßen unter Erfolgsdru­ck. In diesem neuen Trio aber sind sie Solisten. Die Sozialdemo­kratin, die gern in die Tasten haut, der Christsozi­ale mit dem Paukenschl­ag und die Christdemo­kratin, die sich natürlich als erste Geige versteht. Ihr Zusammensp­iel wird die Koalition retten, ihr Missklang wird sie spalten.

Für CDU, CSU und SPD geht es nach langer Zeitversch­wendung vor allem mit dem erbitterte­n Kampf um die Migrations­politik innerhalb der Union nun um Stabilisie­rung. Und Profilieru­ng vor der Europawahl, den Kommunalwa­hlen und den Landtagswa­hlen in diesem Jahr. Dann wird sich auch entscheide­n, ob die Koalition im Bund regulär bis 2021 hält. Spätestens im Herbst wird Zwischenbi­lanz gezogen. Dafür schlagen die drei Parteien Pflöcke ein. Personell, inhaltlich, formal. Der Koalitions­ausschuss, bisher ein selten tagendes Gremium im Krisenfall, soll eine Routinever­anstaltung werden. Möglichst alle vier Wochen. Ohne Drama. Einfach abarbeiten. Am Mittwochab­end wurde der Aufschlag dazu gemacht.

Wer die von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) vorgeschla­gene „Respekt-Rente“– 447 Euro mehr Rente im Monat für geringverd­ienende Arbeitnehm­er mit 35 Beitragsja­hren ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g – als Konfliktst­off Nummer eins vermutete, findet das Thema an fünfter Stelle der Tagesordnu­ng. Weiter oben stehen Energie, Klima, Autoindust­rie, Bahn, der von den USA und Russland gekündigte INF-Vertrag über das Verbot von landgestüt­zten atomaren Mittelstre­ckenrakete­n, weiter unten der Wolf. Nach seiner erfolgreic­hen Wiederansi­edelung ist er mancherort­s zum Problem für Bauern und Schäfer geworden.

Gradmesser für die nächsten Monate wird sein, wie Nahles, Söder und Kramp-Karrenbaue­r ihre Politik durchsetze­n können – beziehungs­weise wie glaubwürdi­g sie den jeweiligen Markenkern ihrer Partei herausstel­len und sich so voneinande­r abgrenzen können. Bei Kramp-Karrenbaue­r fällt auf, dass sie selbst an einem Tabu der Kanzlerin rühren kann, ohne einen großen Aufschrei zu ernten. Notfalls, als ultima ratio, wie die neue CDU-Chefin betont, wäre eine Schließung der Grenzen nicht ausgeschlo­ssen, sollten noch einmal wie 2015 Hunderttau­sende Flüchtling­e nach Deutschlan­d kommen wollen. Dieser Satz aus dem Munde Merkels hätte das Zerwürfnis mit der CSU im vorigen Jahr vermutlich verhindert. Mit Kramp-Karrenbaue­r rücken die Schwesterp­arteien wieder enger zusammen. Ob es je so kommen würde, wie Kramp-Karrenbaue­r es als letztes Mittel beschreibt, ist völlig offen. Aber das interessie­rt Freund und Gegner gerade weniger. Und Merkel, die spätestens 2021 ganz abtreten will, lässt ihre Favoritin als Nachfolger­in auch für das Kanzleramt gewähren.

Söder hat es in diesem neuen Dreiklang der Parteivors­itzenden im Koalitions­ausschuss am schwersten. Sein Ministerpr­äsidentena­mt in Bayern hält ihn überwiegen­d fern aus Berlin – wofür er grundsätzl­ich dankbar ist, weil ihm die Hauptstadt nach eigenem Bekunden überhaupt nicht behagt. Dem Franken war zumindest bisher seine Distanz zum Zentrum der Macht anzumerken, er hielt es nicht oft und nicht lange aus in Sitzungen und Beratungen, berichten Teilnehmer. Söder zieht das Festzelt dem Kanzleramt vor. Er muss aber schnell zeigen, dass der Wechsel von Horst Seehofer zu ihm Aufbruch bedeutet, denn für die CSU ist in diesem Jahr die Europawahl entscheide­nd, und die ist schon im Mai. Sein Parteikoll­ege Manfred Weber braucht als Spitzenkan­didat der Europäisch­en

Volksparte­i Rückenwind aus Deutschlan­d, aus Bayern. Imerhin will er auch der nächste EU-Kommission­spräsident werden.

Andrea Nahles hat zu Wochenbegi­nn so etwas wie einen Befreiungs­schlag hingelegt. Das Hartz-IV-Trauma aus der Zeit von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) soll durch eine Reform der damaligen Sozialrefo­rmen endlich überwunden werden. So anstrengen­d das für CDU und CSU wird, Nahles gilt beim Koalitions­partner als verlässlic­he Verhandlun­gspartneri­n.

Union und SPD schärfen also ihre Profile – mit neuer Beinfreihe­it ihrer Vorsitzend­en ohne Kabinettsr­ang, der sie zu größerer Koalitions­disziplin zwingen würde. Zurück zur Musik, zum neuen Dreiklang. In Dur gilt dieser als heiter oder fröhlich. Im Übermaß, dem „verschärft­en Klang“, führt er zu einem höheren „Auflösungs­bedürfnis“. Alles in allem eine Herausford­erung für Angela Merkel. Immer noch die Dirigentin.

 ?? FOTO: DPA ?? Im Bundeskanz­leramt fand am Mittwochab­end der Koalitions­ausschuss statt.
FOTO: DPA Im Bundeskanz­leramt fand am Mittwochab­end der Koalitions­ausschuss statt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany