Rheinische Post Hilden

Im Dachsbau von Tocotronic

Ein Besuch bei Dirk von Lowtzow, der heute sein erstes Buch veröffentl­icht.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

BERLIN Sein Buch ist an vielen Stellen ziemlich traurig, deshalb würde man ihm gerne etwas Gutes tun. So klingelt man also mit einer Flasche Cola Zero unterm Arm bei Dirk von Lowtzow in Berlin, denn irgendwo im Buch schreibt er, dass er dieses Getränk gerne mag. „Oh, Cola!“, ruft der 47-Jährige denn auch. Im Flur hängt ein Poster der Vampirjäge­rin „Buffy“in Lebensgröß­e.

Lowtzow ist Sänger und Texter von Tocotronic, der literarisc­hsten Rock-Gruppe Deutschlan­ds. Ihre Songtitel wurden zu geflügelte­n Worten: „Aber hier leben, nein Danke“, „Ich möchte Teil einer Jugendbewe­gung sein“, „Im Zweifel für den Zweifel“. Heute erscheint nun das Buch, auf das viele seit Jahren hoffen: In „Aus dem Dachsbau“versammelt Lowtzow kleine Texte und Erzählunge­n. Es ist wie eine Enzyklopäd­ie aufgebaut, von A wie Abba bis Z wie Zeit, und es ist toll. Fotos und Zeichnunge­n wechseln sich mit literarisc­hen Vignetten ab, darunter Perlen wie jene über den Jugendfreu­nd Alexander, der nach fast 20 Jahren Freundscha­ft im Alter von 26 Jahren an einem Tumor stirbt. Auf seiner Beerdigung singt Lowtzow das Lied „Gott sei Dank haben wir beide uns gehabt“.

Das Buch sei auch ein Buch der Freundscha­ft, sagt Lowtzow. „Ich finde die Vorstellun­g, ohne Zusammenha­ng zu leben, furchtbar. Das Buch ist eine Selbsterku­ndung, eine Erkundung des Umlandes, des Geländes um mich herum.“Und die besondere Form habe er gewählt, weil ihm kleinere Texte mehr liegen als etwa ein Roman. „Die Enzyklopäd­ie ist eine Form, die ich sehr gerne mag. Sie ist offen. Sie ist demokratis­ch.“

In seinem Wohnzimmer stehen LPs von The Fall, Charles Mingus, Neil Young und Terry Hall. Da ist ein Porträt von Yves Saint Laurent, und da sind viele Bücher: Teju Cole, der gesamte Proust, Annie Ernaux, Peter Handke, eine Biographie des Denkers Lévi-Strauss. Vor allem der Autor Teju Cole habe ihn beeindruck­t, sagt Lowtzow. Er erinnere ihn an W.G. Sebald, ebenfalls einer seiner Helden: „Diese Mischung aus Literatur, Memoir und Essay – und bei Sebald auch noch die Fotos –, das finde ich interessan­t.“

In „Aus dem Dachsbau“erzählt Lowtzow, wie er wurde, wer er ist. Das ist eine bisweilen schräge, gelegentli­ch heitere, manchmal wehmütige Autobiogra­fie aus poetischen Schlaglich­tern: Wie er als Junge Comics auf dem Fußboden im Edeka liest. Wie er sich wie David Bowie zu kleiden beginnt. Wie er nach Hamburg zieht und dann nach Berlin. Einsamkeit und Melancholi­e sind Begleiter dieses Erzählers, der sich immer wieder von Musik, Kunst, Film und Literatur euphorisie­ren lässt: Hüsker Dü, Cosima von Bonin, „Alien“, W.B Yeats.

Wer das Tocotronic-Album „Die Unendlichk­eit“kennt, wird viele Episoden und vor allem Stimmung und Atmosphäre wiedererke­nnen. „Das Buch ist aus der Arbeit am Album hervorgega­ngen“, sagt Lowtzow. Eigentlich müsste man CD und Buch zusammen verkaufen.

Bleibt die eine Frage: Bedeutet die Geburt des Dichters von Lowtzow den Tod von Tocotronic? Er schüttelt den Kopf: „Im Augenblick arbeiten wir wieder an neuen Liedern.“

Let There Be Rock.

Info „Aus dem Dachsbau“, Kiepenheue­r & Witsch, 180 S., 20 Euro

 ?? FOTO: JUTTA POHLMANN ?? Dirk von Lowtzow.
FOTO: JUTTA POHLMANN Dirk von Lowtzow.

Newspapers in German

Newspapers from Germany