Wiesbaden könnte die Wende sein
Zuletzt hatten Gerichte für viele Städte Fahrverbote für ältere Diesel-Fahrzeuge angeordnet. In Essen soll sogar ein Stück Autobahn gesperrt werden. In Hessen kommt eine Stadt nun ohne Sperrung aus. Ist das die Lösung?
DÜSSELDORF Wiesbaden könnte irgendwann als Wendepunkt gelten. Denn obwohl auch in der hessischen Landeshauptstadt die europaweit gültigen Stickoxid-Grenzwerte überschritten werden, gelang es der Stadt am Mittwoch vor Gericht, Fahrverbote für ältere Diesel-Fahrzeuge abzuwenden. Stattdessen sollen andere Maßnahmen ergriffen werden, um die Belastung von zuletzt 48 Mikrogramm im Jahresmittel unter den geltenden Grenzwert von maximal 40 Mikrogramm zu bringen.
Es war eine weitere Episode in dem Diesel-Drama, das momentan vor deutschen Gerichten aufgeführt wird: Hier die Deutsche Umwelthilfe, der vermeintliche Vorkämpfer für saubere Luft in den Städten, dort die Kommunen und Bezirksregierungen, die angeblich viel zu wenig tun, um die Atemwege ihrer Bürger zu schützen. 35 Verfahren laufen momentan deutschlandweit – und viele davon endeten zuletzt anders als der gestrige Tag in Wiesbaden.
Für immer mehr Städte ordneten Gerichte Fahrverbote für ältere Diesel-Fahrzeuge an, weil sie dies als die erfolgversprechendste Maßnahme für kurzfristige Erfolge sahen – auch in NRW, in dem im Ländervergleich die meisten Städte im Fokus stehen. Düsseldorf, Köln, Gelsenkirchen, Bochum, Bonn und Dortmund drohen Fahrverbote, in Essen soll sogar ein Abschnitt der A40 für alte Diesel abgeriegelt werden.
Die Unsicherheit war enorm: Pendler fürchteten, nicht mehr zur Arbeit zu kommen, Handwerker
40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft
70 60 Montage eines Dieselverbotsschilds in Hamburg wussten nicht, ob sie ihre Kunden künftig noch erreichen. Mit jedem Urteil stieg die Nervosität in Wirtschaft und Politik.
Entsprechend groß ist die Erleichterung nach dem Urteil in Wiesbaden. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sagte: „Wiesbaden zeigt: Wer aktuelle Luftreinhaltepläne hat, verhindert Fahrverbote. Andere Kommunen sollten diesem guten Beispiel folgen.“Und auch die Deutsche Umwelthilfe, die zusammen mit dem ökologischen Verkehrsclub Deutschland gegen den Luftreinhalteplan der Stadt geklagt hatte, frohlockte, es handele sich um das „bisher ehrgeizigste Maßnahmenpaket für eine Verkehrswende“.
Und nun soll es durch die Novellierung des Bundesimmissionsschutzgesetzes im Idealfall so weitergehen, weil klargestellt wird, dass Fahrverbote aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erst ab einem Jahresmittelwert von mehr als 50 Mikrogramm Stickoxid in Betracht kommen sollen. So hat es die große Koalition in Berlin auf den Weg gebracht, so sieht es auch die Landesregierung in NRW, denn Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte früh von „rechtswidrigen“Urteilen gesprochen und dies mit der Verhältnismäßigkeit begründet.
In den kommenden Monaten dürfte sich zeigen, wie die Gerichte die Lage beurteilen. Das Oberverwaltungsgericht Münster teilte am Mittwoch mit, dass es im Juli ein Urteil für Aachen und im August für Köln und Bonn sprechen wolle. Zuvor soll es im Mai einen öffentlichen Beweis- und Erörterungstermin geben,
in dem auch Sachverständige gehört werden.
Vor Gerichten wird sich erweisen, ob die Änderungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes auch wirklich zur Vermeidung von Fahrverboten führen. Bei der Deutschen Umwelthilfe blickt man dem Fortgang der Verhandlungen jedenfalls gelassen entgegen. „Durch die heutige Mitteilung der EU und das von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Gesetz ändert sich überhaupt nichts“, sagt Rechtsanwalt Remo Klinger, der die Umwelthilfe in den Verfahren vor Gericht vertritt: „Es galt auch bislang, dass alle anderen Maßnahmen geprüft werden und Fahrverbote nur das letzte Mittel sind. Das Gesetz hat die Linie der Gerichte lediglich aufgegriffen.“An der eigenen Linie will er festhalten. „Wir haben ja nie Fahrverbotsklagen erhoben“, sagt Klinger: „Wir freuen uns sogar, wenn es ohne Fahrverbote gelingt wie jetzt im Fall von Wiesbaden.“(mit dpa)