Rheinische Post Hilden

Wiesbaden könnte die Wende sein

Zuletzt hatten Gerichte für viele Städte Fahrverbot­e für ältere Diesel-Fahrzeuge angeordnet. In Essen soll sogar ein Stück Autobahn gesperrt werden. In Hessen kommt eine Stadt nun ohne Sperrung aus. Ist das die Lösung?

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Wiesbaden könnte irgendwann als Wendepunkt gelten. Denn obwohl auch in der hessischen Landeshaup­tstadt die europaweit gültigen Stickoxid-Grenzwerte überschrit­ten werden, gelang es der Stadt am Mittwoch vor Gericht, Fahrverbot­e für ältere Diesel-Fahrzeuge abzuwenden. Stattdesse­n sollen andere Maßnahmen ergriffen werden, um die Belastung von zuletzt 48 Mikrogramm im Jahresmitt­el unter den geltenden Grenzwert von maximal 40 Mikrogramm zu bringen.

Es war eine weitere Episode in dem Diesel-Drama, das momentan vor deutschen Gerichten aufgeführt wird: Hier die Deutsche Umwelthilf­e, der vermeintli­che Vorkämpfer für saubere Luft in den Städten, dort die Kommunen und Bezirksreg­ierungen, die angeblich viel zu wenig tun, um die Atemwege ihrer Bürger zu schützen. 35 Verfahren laufen momentan deutschlan­dweit – und viele davon endeten zuletzt anders als der gestrige Tag in Wiesbaden.

Für immer mehr Städte ordneten Gerichte Fahrverbot­e für ältere Diesel-Fahrzeuge an, weil sie dies als die erfolgvers­prechendst­e Maßnahme für kurzfristi­ge Erfolge sahen – auch in NRW, in dem im Länderverg­leich die meisten Städte im Fokus stehen. Düsseldorf, Köln, Gelsenkirc­hen, Bochum, Bonn und Dortmund drohen Fahrverbot­e, in Essen soll sogar ein Abschnitt der A40 für alte Diesel abgeriegel­t werden.

Die Unsicherhe­it war enorm: Pendler fürchteten, nicht mehr zur Arbeit zu kommen, Handwerker

40 Mikrogramm Stickstoff­dioxid pro Kubikmeter Luft

70 60 Montage eines Dieselverb­otsschilds in Hamburg wussten nicht, ob sie ihre Kunden künftig noch erreichen. Mit jedem Urteil stieg die Nervosität in Wirtschaft und Politik.

Entspreche­nd groß ist die Erleichter­ung nach dem Urteil in Wiesbaden. Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) sagte: „Wiesbaden zeigt: Wer aktuelle Luftreinha­ltepläne hat, verhindert Fahrverbot­e. Andere Kommunen sollten diesem guten Beispiel folgen.“Und auch die Deutsche Umwelthilf­e, die zusammen mit dem ökologisch­en Verkehrscl­ub Deutschlan­d gegen den Luftreinha­lteplan der Stadt geklagt hatte, frohlockte, es handele sich um das „bisher ehrgeizigs­te Maßnahmenp­aket für eine Verkehrswe­nde“.

Und nun soll es durch die Novellieru­ng des Bundesimmi­ssionsschu­tzgesetzes im Idealfall so weitergehe­n, weil klargestel­lt wird, dass Fahrverbot­e aus Gründen der Verhältnis­mäßigkeit erst ab einem Jahresmitt­elwert von mehr als 50 Mikrogramm Stickoxid in Betracht kommen sollen. So hat es die große Koalition in Berlin auf den Weg gebracht, so sieht es auch die Landesregi­erung in NRW, denn Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) hatte früh von „rechtswidr­igen“Urteilen gesprochen und dies mit der Verhältnis­mäßigkeit begründet.

In den kommenden Monaten dürfte sich zeigen, wie die Gerichte die Lage beurteilen. Das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster teilte am Mittwoch mit, dass es im Juli ein Urteil für Aachen und im August für Köln und Bonn sprechen wolle. Zuvor soll es im Mai einen öffentlich­en Beweis- und Erörterung­stermin geben,

in dem auch Sachverstä­ndige gehört werden.

Vor Gerichten wird sich erweisen, ob die Änderungen des Bundesimmi­ssionsschu­tzgesetzes auch wirklich zur Vermeidung von Fahrverbot­en führen. Bei der Deutschen Umwelthilf­e blickt man dem Fortgang der Verhandlun­gen jedenfalls gelassen entgegen. „Durch die heutige Mitteilung der EU und das von der Bundesregi­erung auf den Weg gebrachte Gesetz ändert sich überhaupt nichts“, sagt Rechtsanwa­lt Remo Klinger, der die Umwelthilf­e in den Verfahren vor Gericht vertritt: „Es galt auch bislang, dass alle anderen Maßnahmen geprüft werden und Fahrverbot­e nur das letzte Mittel sind. Das Gesetz hat die Linie der Gerichte lediglich aufgegriff­en.“An der eigenen Linie will er festhalten. „Wir haben ja nie Fahrverbot­sklagen erhoben“, sagt Klinger: „Wir freuen uns sogar, wenn es ohne Fahrverbot­e gelingt wie jetzt im Fall von Wiesbaden.“(mit dpa)

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