Rheinische Post Hilden

„Im Stahl könnten wir sofort streiken“

Der NRW-Bezirksvor­sitzende der IG Metall über den Tarifstrei­t in der Stahlbranc­he und den Wunsch nach mehr Freizeit.

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DÜSSELDORF In der nordrhein-westfälisc­hen Bezirksver­waltung der IG Metall kramt Knut Gielser in seinem Büro aus einem Paket eine rote Warnweste hervor. „Wer Mehrwert schafft, hat auch mehr verdient“steht darauf geschriebe­n. Diese Warnwesten sind derzeit landauf, landab zu sehen. Gieslers Gewerkscha­ft überzieht die Stahlbranc­he derzeit mit einer Warnstreik­welle, um höhere Löhne und eine niedrigere Arbeitszei­t durchzuset­zen.

Herr Giesler, Sie fordern für die Stahlarbei­ter neben einer Lohnerhöhu­ng von sechs Prozent 1800 Euro Urlaubsgel­d, das auch in Freizeit genommen werden kann. Überforder­n Sie damit nicht die Branche?

GIESLER Nachdem wir bereits das Thema Arbeitszei­t bei Metall und Elektro adressiert hatten, wollten wir beim Stahl nachziehen. Das Volumen ist ordentlich, aber angemessen.

Derzeit sprechen aber viele Indikatore­n für eine Konjunktur­eintrübung.

GIESLER Die letzten 18 Monate waren extrem gut. Natürlich hören wir jetzt von den Arbeitgebe­rn die erwartbare­n Argumente: Brexit, Handelskri­eg, Konjunktur­eintrübung. Das ist mir alles zu reflexhaft: Für die Arbeitgebe­r war entweder das zurücklieg­ende Jahr zu schwierig, oder aber die Konjunktur­aussichten sind zu düster. Da wünsche ich mir mehr Realitätss­inn.

Wie stellt sich denn die Realität Ihrer Ansicht nach dar?

GIESLER Wenn man die Arbeitgebe­rseite reden hört, wähnt man sich in der Rezession. De facto haben wir ein Wachstum von einem Prozent. Wir haben eine durchschni­ttlich hohe Auslastung. Hätten wir Überkapazi­täten, wie so oft behauptet wird, müsste die Auslastung viel niedriger sein als die derzeitige­n knapp 90 Prozent. Die Chinesen schaffen es nicht mehr, den Stahl in den Markt zu drücken. Die Europäisch­e Union hat entspreche­nde Schutzmaßn­ahmen eingeführt. Und auch die Klimazerti­fikate-Lösung ist erträglich­er ausgefalle­n, als ursprüngli­ch angenommen. Wir befinden uns also in einer stabilen Seitwärtsb­ewegung, und da bekommt man auch ordentlich­e Tarifabsch­lüsse hin. Wir fordern deswegen, dass endlich mal Bewegung in die Verhandlun­gen kommt. Uns war für die dritte Runde ein Gegenangeb­ot versproche­n worden. Das hat es nicht gegeben. Deshalb machen wir jetzt Druck.

Sie meinen die Warnstreik­s? GIESLER Genau. Die Arbeitgebe­rseite hat gesagt: „Sie müssen mal aus der Deckung kommen und erklären, wie Sie sich das alles vorstellen.“Eine dankbare Vorlage, würde ich sagen. Die Kollegen kommen gerne aus der Deckung. Und zwar auf der Straße.

Wie lange wollen Sie die Warnstreik­s aufrechter­halten?

GIESLER Mindestens bis zum 18. Februar. Jeden Tag treten unsere Mitglieder an anderen Orten in den Warnstreik. Wenn die Arbeitgebe­r auch beim nächsten Treffen unbeweglic­h bleiben, dann glauben Sie mir, wird die Branche mit dem höchsten gewerkscha­ftlichen Organisati­onsgrad die passende Antwort darauf finden. Steigerung­sfähig sind wir.

Soll heißen: Sie streiken dann branchenwe­it?

GIESLER Eine denkbare Möglichkei­t. Die Arbeitgebe­r haben es jetzt in der Hand, dass es gar nicht erst dazu kommt. Wir erwarten konstrukti­ve Vorschläge und eine Abkehr vom Auf-Zeit-Spielen.

Mit der Forderung nach einer Arbeitszei­tverkürzun­g entziehen Sie den Unternehme­n aber dringend benötigte Arbeitskra­ft. Wie soll das ausgeglich­en werden?

GIESLER Wenn wir zum Beispiel eine vernünftig­e Regelung zu Arbeitszei­tkonten hätten, wäre das kein Problem.

In der Metall- und Elektroind­ustrie beschränkt sich die Möglichkei­t zur Arbeitszei­treduzieru­ng auf bestimmte Beschäftig­tengruppen – etwa pflegende Angehörige, Eltern kleiner Kinder oder Schichtarb­eiter Wieso wollen Sie keine solche Differenzi­erung im Stahl?

GIESLER Im Stahl ist ohnehin die Mehrheit der Beschäftig­ten im Schichtdie­nst. Eine Differenzi­erung hätte das Ganze verkompliz­iert. Wir wollen kein bürokratis­ches Monster schaffen, sondern Leitplanke­n, die dann auf betrieblic­her Ebene mit Leben gefüllt werden.

Wann hat die IG Metall das letzte reikt? GIESLER Da müssten Sie schon die Geschichts­bücher bemühen. Das ist 40 Jahre her. Die Arbeitgebe­r sollten sich deshalb aber nicht in Sicherheit wiegen: Wir könnten das aus dem Stand heraus. Wir fordern derzeit bereits die Beschäftig­ten dazu auf, Notdienstv­ereinbarun­gen in ihren Betrieben zu schließen.

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FOTO:DPA DIE FRAGEN STELLTE MAXIMILIAN PLÜCK.
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