Bertelsmann-Manager führt die Werkself
Für viele ist Fernando Carro ein Unbekannter. Das liegt daran, dass er bei Bayer 04 vor allem hinter den Kulissen agiert.
LEVERKUSEN Fußball ist eine große Liebe von Fernando Carro de Prada. Als Kind frönte der gebürtige Spanier mit Leidenschaft dem Nationalsport der halben Welt, doch zu mehr als der Schulmannschaft reichte es nicht. Als Dauerkartenbesitzer beim FC Barcelona war er Stammgast im legendären Camp Nou, einer der größten Bühnen des internationalen Fußballs. In seiner Jugend habe er sich oft vorgestellt, dass er eine der großen Sportzeitungen Spaniens leite, erzählte er unlängst. Irgendwas mit Fußball, das war sein Traum. Doch es kam zunächst ganz anders.
In der katalanischen Hauptstadt besuchte er eine deutsche Schule und wuchs zweisprachig auf. Anschließend folgte eine Ausbildung zum Industriekaufmann, dann ein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens. Die Zeit in den Semesterferien verbrachte er unter anderem als Sportjournalist in Österreich, wo er zeitweise im Haushalt von Hans Krankl wohnte. In den späten 1970er Jahren spielte der Österreicher für den FC Barcelona – Carros Mutter war seine Spanischlehrerin. Beruflich zog es Carro jedoch nach Gütersloh zu Bertelsmann. Er arbeitete sich zügig hoch, bis in die obersten Managementebenen. Später wurde er Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer der Arvato AG mit knapp 70.000 Beschäftigten. Doch dann öffnete sich für den Topmanager die Tür in die Bundesliga.
Seit dem 15. Mai 2018 ist er der Boss von Bayer Leverkusen, das er mit seiner Erfahrung aus der freien Wirtschaft verändern soll. Ihm zur Seite steht Sportgeschäftsführer Rudi Völler. Für Carro ist es die perfekte Verbindung aus Leidenschaft und Beruf. Bei öffentlichen Auftritten schwärmt er davon, dass die Stelle als Chef des Werksklubs der beste Job seines Lebens sei. Und dass es viele Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen freier Wirtschaft und einem Bundesligisten mit internationalem Anspruch gebe.
Er versteht sich als Menschenführer, Teamspieler, Macher und langfristigen Strategen im Sinne des Vereins. Entscheidungsfreudig ist er auf jeden Fall. Das haben die ersten knapp neun Monate gezeigt. Aus sportlichen Fragen hält er sich weitgehend raus. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Michael Schade stellt sich Carro nach Pflichtspielen nicht vor die Kameras, um seine Einschätzung abzugeben. Dafür gebe es die sportlichen Verantwortlichen, betont er gerne.
Ehrgeizig ist er freilich trotzdem. Bei Schades Verabschiedung Ende August hob er hervor, dass die Währung im Fußball Punkte seien und die Saison möglichst auf einem Champions-League-Platz enden solle. Die Anwesenden, darunter Ex-Coach Heiko Herrlich, konnten die Vorgabe kaum missverstehen. Als es dann sportlich nicht wie gewünscht lief, war von Carro zumindest öffentlich keine Silbe zur ständig gestellten Trainerfrage zu hören.
Intern gilt Carro indes als kommunikativ, strukturiert und zielstrebig. Im Vergleich zu seinem Vorgänger geht der Vater dreier jugendlicher Kinder durchaus als Kumpeltyp durch. Das hält ihn allerdings nicht davon ab, alte Machtstrukturen aufzubrechen. In seiner kurzen Zeit im Amt wurde in Peter Bosz bereits ein neuer Trainer verpflichtet, Sportdirektor Jonas Boldt durch Simon Rolfes ersetzt, und es wurden einige Direktorenposten neu geschaffen.
Carro greift durch, ohne sein Tun dabei mit Fanfaren zu untermalen. Derart entschlossenes Handeln wünscht sich sicher auch Coach Bosz für seine Werkself, die am Donnerstag (18.55 Uhr) im Sechzehntelfinal-Hinspiel der Europa League beim russischen Klub FK Krasnodar gefordert ist. Das ist zwar nicht das Camp Nou, aber trotzdem eine Chance, sich auf der europäischen Fußballbühne zu beweisen.