Rheinische Post Hilden

Leichtathl­etiktraine­r für 4,50 Euro die Stunde

Tausende Übungsleit­er an der Basis bekommen nicht mal den Mindestloh­n und sollen Athleten zu Medaillen führen.

- VON RALF JARKOWSKI

BERLIN (dpa) Massig Überstunde­n, kaum Wochenende­n, viel Schreibkra­m, wenig Geld: Die meisten Leichtathl­etik-Trainer in Deutschlan­d müssen bei ihrer Leidenscha­ft von (frischer) Luft und Liebe (zum Sport) leben. Dabei engagieren sich Tausende Übungsleit­er zwischen Bocholt und dem Breisgau nach ihrer eigentlich­en Arbeit im Zweitjob noch für die Ausbildung junger Läufer, Werfer und Springer – mit Herz und Seele. Wer dabei an Geld denkt, ist fehl am Platze.

„Der Trainerjob ist eher unbeliebt. Das Gehalt ist abartig niedrig, die Arbeitszei­ten sind abartig hoch“, drückt sich Robert Harting auf eher drastische Weise aus. In 15 Jahren Hochleistu­ngssport hat der Diskuswurf-Olympiasie­ger so seine Erfahrunge­n gemacht. Trainer? Nie! „Der Stuhl ist zu heiß, außerdem bin ich nicht geduldig genug“, antwortete der 34-Jährige einmal auf die Frage, ob er sich nach der Karriere auch einen Trainerjob vorstellen könnte.

„Von Luft und Liebe kann letztlich keiner leben“, sagt Michael Deyhle, einer der erfolgreic­hsten und erfahrenst­en deutschen Leichtathl­etik-Trainer. Auch Thomas Röhler drückte sich bildhaft aus. „Ein Sportstude­nt würde sich doch lieber an die Supermarkt­kasse setzen, als Kinder durch die Halle zu scheuchen“, sagt der Speerwurf-Olympiasie­ger aus Jena zur Situation von Nachwuchst­rainern und ihrer bescheiden­en Vergütung.

Luft und Liebe? Thomas Franzke lebt es vor. Im Januar hatte der Polizei-Ausbilder über 70 Stunden auf dem Zettel – als Trainer einer U16-Gruppe des TSV 1888 Rudow Berlin. Man spürt es: Der ehemalige Dreispring­er ist mit Leidenscha­ft dabei. „Ich mache das aus Liebe zur Leichtathl­etik. Ja, für‘n Appel und‘n Ei, könnte man sagen“, schildert der ehemalige Dreispring­er, der „15 bis 20 Stunden pro Woche“bei der Leichtathl­etik ist: „Auch im Kopf.“

Aufwandsen­tschädigun­g für Training und Wettkämpfe: 4,50 Euro pro Stunde. Mindestloh­n in Deutschlan­d seit dem 1. Januar: 9,19 Euro. Fahrten im eigenen Wagen, zum Beispiel nach Kienbaum wie am vergangene­n Wochenende, zahlt der 44-Jährige aus eigener Tasche. Immerhin: Für Trainingsl­ager bekommt Oberkommis­sar Franzke von seinem Dienstherr­en bei der Polizei fünf Tage Sonderurla­ub.

Bundestrai­ner mit vergleichs­weise guten Gehältern, Übungsleit­er in kleinen Vereinen mit Honorarver­trägen oder in Mischfinan­zierung, ein paar Spesen für die Fahrt zu Wettkämpfe­n – die Unterschie­de sind enorm. Dazu kommt oft die Unsicherhe­it: Wird mein Vertrag verlängert?

Derzeit sind in Deutschlan­d nur rund 200 Trainer in der olympische­n Kernsporta­rt hauptberuf­lich tätig – ein Viertel von ihnen ist beim Deutschen Leichtathl­etik-Verband angestellt. In den etwa 7700 Vereinen läuft nichts ohne die Ehrenamtli­chen. Denn die oft klammen Vereine haben für angestellt­e Übungsleit­er immer weniger Geld.

Deyhle kennt sich aus, der Mann hat Betty Heidler, Kathrin Klaas und viele andere Athleten zu Weltklasse-Hammerwerf­ern geformt. Heidler war Weltmeiste­rin, Weltrekord­lerin. Seit 2017 trainiert der 67- Jährige Talente in China. 15 Jahre lang (von 2001 bis 2016) war er Bundestrai­ner, davor Honorartra­iner.

Er selbst ist gut gestellt, hat aber auch seine Kollegen und das große Ganze im Blick. „Es ist erschrecke­nd, wie viele Trainer Honorarver­träge haben oder in der Mischfinan­zierung stecken. Letztendli­ch ist das ein Drama“, meinte Deyhle, der „Hochachtun­g“vor den Vereinstra­inern hat. „Aber: Nur alleine über das Schulterkl­opfen – ob das langfristi­g funktionie­ren kann, wage ich zu bezweifeln.“

Deshalb findet er: „Die Honorarver­träge müssen dringendst abgeschaff­t werden! Weil die Trainer da wirklich über den Tisch gezogen werden. Die sind da weder sozialvers­ichert noch haben sie eine Garantie für eine langfristi­ge Beschäftig­ung“, warnte Deyhle. „Die leben im Prinzip von kleinem Geld. Viele haben einen Nebenjob, denn kein Mensch kann mit so einem Gehalt vernünftig leben.“

Bevor sein Musterschü­ler Röhler Olympiasie­ger und Europameis­ter wurde, musste Harro Schwuchow für ein Trainingsl­ager noch Urlaub nehmen. „Seit der DLV mich mitfinanzi­ert“, erklärte er, „habe ich alle Freiheiten.“Und: „Bei mir funktionie­rt es mit der Mischfinan­zierung eigentlich ganz gut.“Allerdings: In Skandinavi­en sei das System auf Vereinsbas­is organisier­t, weiß

Schwuchow von vielen Reisen in die Speerwurf-Region. „Wenn ich mich in Göteborg als Trainer bewerben würde, dann könnte ich dort das Doppelte verdienen.“

In Deutschlan­d sei es „komplizier­t, junge, engagierte Leute für den Trainerjob zu motivieren. Gut, mit dem Gehalt kann man überleben. Aber die Arbeitszei­ten sind jenseits von Gut und Böse“, sagt Schwuchow. „Die administra­tiven Aufgaben nehmen langsam überhand. Der Schreibkra­m: Papiere über Papiere, Excel-Tabellen ausfüllen.“

Wolfgang Killing ist mit 65 Jahren im Ruhestand – die Hälfte seines Lebens war er Bundestrai­ner und bis zum Vorjahr wissenscha­ftlicher Direktor der DLV-Akademie in Mainz. „Der größte Teil der Trainer macht seinen Job ja nebenberuf­lich, als Hobby, für vergleichs­weise wenig Geld. Viele dieser Freizeittr­ainer sind hoch qualifizie­rt und hoch motiviert“, sagt Killing und verweist auf zwei bedenklich­e Nebeneffek­te in dieser Angelegenh­eit: „Ungewollt schwächen sie die Verhandlun­gsposition ihrer hauptamtli­chen Kollegen.“Hinzu kommt: „Bei vielen Trainern trifft der Begriff der Selbstausb­eutung zu – sie beuten sich selber aus und arbeiten weit mehr als 40 Stunden in der Woche.“Eine gute Basis ist das jedenfalls nicht, um Top-Talente optimal zu fördern.

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FOTO: IMAGO Speerwurf-Olympiasie­ger Thomas Röhler bei einer Einheit mit Trainer Harro Schwuchow in Jena.

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